Interview

Kristian Costa-Zahn: ‚Der Fall von Vice ist noch ganz frisch‘

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Mit Geschichten um VIVA und Echt verbuchte ARD Kultur zahlreiche junge Zuschauer. Costa-Zahn bekam auch deshalb eine Vertragsverlängerung. Nun schaut man auf das journalistische Angebot Vice.

Herr Costa-Zahn, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Vertragsverlängerung als Programmgeschäftsführer von ARD Kultur! Welche Ziele möchten Sie in den kommenden drei Jahren für ARD Kultur kurz-, mittel- und langfristig umsetzen?
Unser Meta-Ziel ist die Kultur in der ARD zu stärken und möglichst viele Menschen mit dem Kulturangebot der ARD in Kontakt zu bringen. Für unsere Inhalte werden wir weiterhin den Kurs verfolgen, breitenwirksame große Geschichten aus der Kultur zu erzählen, Portfoliolücken zu schließen sowie gesellschaftliche Themen über Kultur zu transportieren. Unser Portal ist in ständiger Weiterentwicklung, hier wird es im Laufe des nächsten Jahres auch strategische Anpassungen geben. Das Netzwerk mit der deutschen Kulturlandschaft sowie die Präsenz bei relevanten Kulturveranstaltungen wird weiter ausgebaut. Und wir bekommen ab Januar auch mehr Verantwortung mit der Kuratierung der Kultur-Inhalte in der ARD Mediathek und der Steuerung der Social Media Kanäle «ttt – titel thesen temperamente» mit einer eigenständigen Kultur-Community.

Die Politik diskutiert derzeit über ein mögliches Ende von 3sat. Sehen Sie eine Möglichkeit, Formate wie «Nano» oder andere Kultursendungen in Ihrem Team aufzufangen und weiterzuführen?
Diese Überlegungen sind für ARD Kultur mit seinem 12-köpfigen Team nicht relevant. Als rein digitales Kulturangebot haben wir einen klaren Fokus. Mit 3sat verbindet uns eine Partnerschaft, beispielsweise bei der linearen Auswertung einiger unserer Digital Originals oder Zusammenarbeit auf den Buchmessen.

Sie arbeiten eng mit Bettina Kasten zusammen. Wie sieht Ihre Zusammenarbeit konkret aus, und wie teilen Sie sich die Verantwortung für ARD Kultur?
Wir teilen uns die Programmgeschäftsführung 50/50. Einige Themen bearbeiten wir gemeinsam, bei anderen teilen wir uns auf. Zudem hat jeder noch eine andere Rolle. Bei mir ist das die Steuerung der Inhalte als Head of Content und Bettina hat das Projekt- und Partnermanagement im Blick.

Trotz eines eher nüchternen Namens wie „ARD Kultur“ überraschen Sie mit spannenden Projekten. Zuletzt gab es Reportagen über Taylor Swift, Echt und VIVA – Themen, die man eher bei der privaten Konkurrenz vermuten würde. Warum setzen Sie gerade auf solche Inhalte?
Als ARD ist es unsere Aufgabe, Kultur für alle zu vermitteln, sowohl was Altersgruppen angeht als auch soziale Milieus. Als digitales Angebot sind unsere Inhalte auf die Eroberungszielgruppen von ARD Mediathek und ARD Audiothek zugespitzt, das sind aktuell die 20-49-Jährigen, da jüngere Zielgruppen über KiKA und funk erreicht werden und ältere über das lineare Fernsehen. Im Fokus sind also Geschichten, die für 20-49-Jährige relevant sind. So kommen wir zu unserem Inhalte Portfolio der letzten 3 Jahre.

Mit der dreiteiligen Doku «Die Vice-Story – Gosse. Gonzo. Größenwahn.» blicken Sie auf eine der spannendsten Rise-and-Fall-Geschichten der Medienwelt. Was hat Sie an der Vice-Geschichte besonders fasziniert, und warum ist sie heute noch so relevant?
Heute ist sie noch relevant, weil der Fall von Vice noch ganz frisch ist. In Deutschland wurde ja erst in diesem Jahr die Tür abgeschlossen, sodass die Geschichte brandaktuell ist und wir der Meinung waren, dass sie auch noch in 2024 erzählt werden muss. Vice war auf so vielen Ebenen ein besonderes Phänomen, dass wir die Geschichte als sehr erzählenswert empfinden, nicht nur wegen Rise & Fall, sondern auch wegen der Relevanz und unendlich vielen interessanten Sidestories. Ich persönlich hatte auch einige berufliche Anknüpfungspunkte mit Vice, u. a. durch die Produktion «Beyond Fashion» für ARD Kultur.

Vice steht exemplarisch für den Aufstieg und Niedergang eines Medienimperiums. Was unterscheidet Vice Ihrer Meinung nach von anderen Unternehmen, die an ihrem eigenen Anspruch gescheitert sind?
Vice hatte als Innovations- und Disruptionstreiber einen großen und bleibenden Einfluss auf Journalismus, Medien und Kultur. Zudem war es eine Zeit lang eine der führenden globalen Jugendmarken, was die Betrachtung umso spannender macht, wie man eine derartige Errungenschaft so schnell wieder verspielen kann. Es gibt durchaus einige Parallelen zu der VIVA-Story, die wir im letzten Jahr erzählt haben, auch wenn die Gründe des Scheiterns ganz andere sind. Bei Vice spielen Größenwahn, Fehleinschätzungen und heiße Luft, vor allem auf Leitungsebene in den USA, eine große Rolle, zudem Veränderungen im Markt, auf die man hätte anders reagieren müssen.

Die Dokumentation beleuchtet, wie Vice journalistische und moralische Grenzen verschoben hat. Wie stellen Sie diese Ambivalenz zwischen Innovation und Grenzüberschreitung in der Serie dar?
Wir lassen die Geschichte von Zeitzeugen und Beteiligten aus Deutschland, den USA und UK erzählen. Die Geschichte ist eine internationale und so erzählen wir sie auch, natürlich mit starkem Deutschland-Bezug. Über Archiv und Footage nehmen wir die Zuschauenden mit um die Welt und durch mehrere Jahrzehnte Vice-Geschichte. Die verschiedenen Ambivalenzen, z.B. die Vermischung von Journalismus und Werbung oder die Fluchtbegleitung eines mutmaßlichen Mörders erzählen wir in der Chronologie der Ereignisse.

Die Vice-Story führt die Zuschauer von Berlin bis nach Nordkorea, Belize und die Ukraine. Wie schwierig war die internationale Zusammenarbeit, um diese komplexe Geschichte visuell und inhaltlich zusammenzuführen?
Es wurde in den USA, in Deutschland und in UK gedreht, alle weiteren Schauplätze sind über Archivmaterial erlebbar. Wir sind sehr froh, dass wir spannende ProtagonistInnen gefunden haben, die die Geschichten in Belize, Nordkorea, der Ukraine etc. erlebt haben und wir dadurch eine ganz andere Nähe zu den Geschehnissen bekommen.

Vice galt als Sprungbrett für Nachwuchsjournalisten. Welche Lehren können junge Medienschaffende heute aus dem Erfolg und dem Scheitern von Vice ziehen?
Im positiven Sinne bleiben sicher Innovationsgeist, Spontaneität und die Beschäftigung mit ungewöhnlicheren Themen hängen. Die Lehren aus dem Scheitern sind sicher vielschichtig, das sollte jede (medienschaffende) Person nach dem Anschauen der Vice-Story für sich beantworten.

Der Vice-Mitgründer Gavin McInnes wird ebenfalls thematisiert – eine kontroverse Persönlichkeit, die später die Proud Boys gründete. Wie schwierig war es, ihn und seine polarisierende Geschichte in die Doku einzubinden?
Die Einbindung von Gavin McInnes war eine besondere Aufgabe. Er ist als Mitgründer von Vice ein extrem spannender Zeitzeuge, der gerade die frühen Jahre von Vice im Kern mitbekommen und das Phänomen auch nach seinem Ausscheiden sehr genau beobachtet hat. Zum anderen ist er eine extrem ambivalente und problematische Persönlichkeit, weshalb wir ihn dringend einordnen mussten. Die Proud Boys haben mit Vice nichts zu tun, aber da Gavin ein wichtiger Teil der Geschichte ist, mussten wir an der Stelle auch seinen Strang noch weitererzählen.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Die VICE-Story - Gosse. Gonzo. Größenwahn.» ist in der ARD Mediathek abrufbar.

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