Siebenstädter hatte immer alles in Zweifel gezogen, was jemand offiziell versicherte, behauptete und zur Wahrheit erklärte. Er hatte in Wunden gestochert, im Dreck gewühlt, die Leute zur Weißglut gebracht. Die ungehörige Frage war seine Form von Aufrichtigkeit, die einzige, der er sich verpflichtet fühlte. Kurt Siebenstädter hat es als Hauptstadtjournalist weit gebracht, doch das System, das ihn gefördert hat, will nichts mehr von ihm wissen: Bitterböse und packend erzählt Christoph Peters vom letzten Aufbäumen und der Selbstdemontage eines Mannes, der spürt, dass seine Zeit abgelaufen ist. Eine schonungslose Bestandsaufnahme der politischen Kultur eines ganzen Landes.
Siebenstädter hat schon alles gesehen. Als Moderator einer Politsendung im Radio kennt er die Spielregeln der Berliner Spitzenpolitik, das Schattenreich der Hinterzimmer, die Gnadenlosigkeit eines Betriebs, in dem es nur um Machterhalt geht. Siebenstädter ist so beliebt wie berüchtigt, einer, der an nichts glaubt und sich prädestiniert fühlt, die Lügen der Eliten aufzudecken. Doch mit der Corona-Krise ändert sich das Spiel: Siebenstädter hegt ebenso Zweifel an den staatlichen Maßnahmen wie Abscheu vor den Verschwörungsgläubigen. Unerwartet erhält er ein Angebot der Liberalen, die Seiten zu wechseln, während Maria Andriessen, der aufsteigende Stern der Sozialdemokratie, sich mehr für ihn zu interessieren scheint, als es für einen verheirateten Mann angemessen wäre. Vor allem aber spürt Siebenstädter, dass seine Zeit langsam abläuft - warum also nicht alles auf eine Karte setzen?
Die Süddeutsche Zeitung berichtet: „«Der Sandkasten» spielt an zwei Tagen in Berlin, dem 9. und 10. November 2020, Corona-Zeit, Lockdown, und ist unter anderem ein Schlüsselroman. Christian Linder, Wolfgang Kubicki, Jens Spahn oder Karl Lauterbach haben allesamt prägnante Auftritte, wenn auch nicht unter ihrem Klarnamen, denn Peters legt Wert darauf, der Fiktion Raum zu lassen: Zwar ist er ein ausgezeichneter Beobachter, der in wenigen Zeilen das Charakteristische an diesen öffentlichen Figuren herausarbeiten kann (‚der Prototyp einer überholten Politikergeneration, skrupellos, machtgeil, sexistisch: der fleischgewordene Herrenwitz‘), doch stehen sie, wie der Protagonist Kurt Siebenstädter auch, nur als Chiffren eines leer drehenden Betriebs, einer Machterhaltungsmaschinerie inmitten eines künstlich stillgelegten Landes. (...)
Christoph Peters gelingt in «Der Sandkasten» etwas, das gar nicht hoch genug geschätzt werden kann: Er zeigt diese Atmosphäre in all ihren Ambivalenzen, stellt Haltungen aus, schaut durch den Filter von Siebenstädters Lebenserfahrung und Idiosynkrasien auf die Welt, ohne dabei denunziatorisch zu werden. Darüber hinaus bleibt Peters auf der Plotebene hochgradig unterhaltsam, bis hin zu einem frühmorgendlichen Showdown in Form eines Interviews mit dem Gesundheitsminister, in dem Siebenstädter, um es vorsichtig zu sagen, selbst für seine Verhältnisse übergriffig wird“.
Der Autor von «Der Sandkasten» Christoph Peters ist laut Christoph Schröder, SWR2, „einer der größten Schriftsteller der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“. Sein Buch mit 256 Seiten ist am 31. August 2022 erschienen und kostet als Hardcover 22,00 Euro. Christoph Peters wurde 1966 in Kalkar geboren. Er ist Autor zahlreicher Romane und Erzählungsbände und wurde für seine Bücher mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Wolfgang-Koeppen-Preis (2018), dem Thomas-Valentin-Literaturpreis der Stadt Lippstadt (2021) und dem Niederrheinischen Literaturpreis (1999 und 2022). Christoph Peters lebt in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm bei Luchterhand die ersten beiden Teile einer an Wolfgang Koeppen angelehnten Trilogie: «Der Sandkasten» (2022) und «Krähen im Park» (2023).
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel