Interview

‚Ich wollte Zirkusdirektor werden und bin beim Fernsehen gelandet‘

von

UFA Documentary-Produzent Simon Tanschek spricht mit Quotenmeter über die groß angelegte Dokumentation, die am Samstag ausgestrahlt wird.

Was hat Sie persönlich an der Geschichte von Bernhard Paul und dem «Circus Roncalli» so fasziniert, dass Sie eine Dokumentation darüber machen wollten?
Bernhard Paul ist ein Macher, wie es sie heute kaum noch gibt. Jemand, der gegen alle Widerstände seinen Traum verfolgt, und sich nicht von seinem Weg abbringen lässt.

Die Serie thematisiert den Kampf von Bernhard Paul gegen die etablierten Zirkusse. Was war für Sie die größte Herausforderung, diese Konflikte authentisch darzustellen?
Die größte Herausforderung war es, die noch wenigen Zeitzeug:innen zu finden und ihr persönliches Vertrauen zu gewinnen. Das ging nur über die authentische und nicht vorgegaukelte Leidenschaft und das Verständnis für die Zirkuswelt. Wie sich der Machtkampf zwischen den Zirkus-Dynastien und der Neid gegenüber Roncalli damals durch die Medien gezogen hat, haben wir erst durch die tolle Recherche meines Regie-Kollegen Lukas Hofmann und den Archiv-Producer:innen Vanessa Christoffers und Hermann Pölking gesehen. Wahnsinn, wieviel spannendes Material sie gefunden haben.

Sie erwähnten, dass Sie als Kind selbst vom Zirkus träumten. Inwiefern hat diese Verbindung Ihre Arbeit an der Dokumentation beeinflusst?
Ich wollte Zirkusdirektor werden und bin beim Fernsehen gelandet (lacht). Ich habe schon als Kind jeden deutschen Großzirkus besucht, alles darüber gesammelt und seine Geschichte studiert. Als die Zirkusse meiner Kindheit verschwanden und durch die Pandemie auch die letzten Verbliebenen nicht mehr reisen konnten, habe ich gedacht, es wäre an der Zeit, diese Geschichten zu erzählen. Eine Geschichte, die jetzt aktueller ist denn je. Roncalli hat zu Krisenzeiten, wie beispielsweise die des Kalten Krieges oder Tschernobyl, die Menschen in eine Traumwelt entführt und zum Lächeln gebracht. Gleichzeitig hat Bernhard Paul die Etablierten einer ganzen Branche gegen sich aufgebracht, weil er eine andere Vision hatte als die anderen. Ich würde gerne mit der spannenden Gründergeschichte die Sicht auf den Zirkus im Allgemeinen verändern und wieder eine junge Zielgruppe dafür begeistern, so wie diese Welt mich begeistert hat.

Die Paul-Familie hat die Kameras nah an sich herangelassen. Wie haben Sie dieses Vertrauen gewonnen, und gab es Momente, in denen Grenzen gezogen wurden?
Ehrlich gesagt fing alles mit einem Foto von meinem Opa an, der mir über meinen Playmobil-Zirkus ein echtes Modellzelt baute. Dieses Foto war, glaube ich, einer der Türöffner bei Bernhard Paul. Das und mein Detailwissen über die Zirkuswelt. Ich habe ihm sehr früh klar gemacht, dass wir bei diesem Projekt keine beweihräuchernde Portrait- oder Zirkusdoku drehen, sondern die Zirkuswelt von einer ganz neuen Seite zeigen wollen. Wir wollen sie nicht entzaubern, sondern durch die menschliche Seite hinter der Scheinwelt zeigen, wie spannend diese Welt wirklich ist. Dafür mussten wir mehrfach an emotionale Grenzen gehen. Auch bei Bernhard Paul. Wir haben Zeug:innen und Geschichten aufgetan, die weh tun. Manchmal hätte mich Roncalli am liebsten den Löwen zum Fraß vorgeworfen, sofern es dort noch welche gäbe. (lacht) Für das große Vertrauen und die Offenheit von Bernhard Paul, seiner Familie, dem Team des Circus Roncalli und all den Protagonist:innen, die wir auf dem Weg getroffen haben, bin ich unendlich dankbar.

Der «Circus Roncalli» ist ein Symbol für Kreativität und Widerstandsfähigkeit. Welche Botschaften wollten Sie mit der Dokumentation transportieren, insbesondere im Hinblick auf die heutige Gesellschaft?
Wenn man fest an seinen Traum glaubt, muss man dafür kämpfen. Das klingt so banal, aber wir haben manchmal verlernt, dass man für seine Ideen und Visionen einstehen muss. Nur so können sich Dinge verändern und besser werden. Nicht, wenn wir alles so machen, wie wir es immer gemacht haben. Aber dafür muss man bereit sein, auch Opfer zu bringen. Bernhard Paul sagt immer „Unter hohem Druck entsteht aus Kohle Diamant.“

Intrigen, Verrat und die Konkurrenzkämpfe sind zentrale Elemente der Geschichte. Welcher Moment hat Sie bei der Recherche oder den Dreharbeiten besonders bewegt?
Zentrale Momente sind für mich viel mehr der Triumph des kleinen Jungen, der mit seinem Traum alle einfängt und begeistert. Die Konkurrenzkämpfe und der Neid der anderen zeigt dabei nur, dass man nicht aufgeben und sich nicht vom Weg abbringen lassen soll, wenn man fest an etwas glaubt. Deshalb passt die Geschichte auch so gut in die Weihnachtszeit. Es geht nicht um Intrigen und Verrat. Sie sind nur wie in jeder Welt die Herausforderungen unserer Heldenreise, an denen wir wachsen.

Von Europa bis New York: Der «Circus Roncalli» ist heute weltweit bekannt. Wie haben Sie diese internationale Dimension in der Dokumentation eingebunden?
Es war sehr früh klar, dass der erste internationale Erfolg von Roncalli in Moskau, quasi als früher Friedensbotschafter mitten im Kalten Krieg, der Höhepunkt des 80er Jahre- Erzählstrangs sein soll. Für den Einstieg in die Rahmenhandlung im Hier und Jetzt hätte ich mir keinen besseren Ort als das westliche „Capitol of Entertainment“, New York, vorstellen können. Dass dieser Traum von Bernhard Paul, der ihm in den 80ern von Andy Warhol vorausprophezeit wurde, in unserer Drehzeit Wirklichkeit wurde, konnte keiner ahnen. Mit diesem internationalen Höhepunkt beginnen wir die Serie und unseren Film. Sogar Robert de Niro war zu Gast.

Welche Bedeutung hatte die visuelle Inszenierung für die Serie, insbesondere die Mischung aus historischem Material und neuen Aufnahmen?
Für unsere hauptsächlich aus Archivmaterial erzählten Filme wollten wir als Rahmen einen magischen Mikrokosmos für die Interviews und vereinzelte Moodbilder schaffen. Wir wussten, dass wir keine Zirkusstadt aufbauen können, wie bei einer fiktionalen Produktion. Bernhard Paul ist ein leidenschaftlicher Sammler, der von allen Zirkus-Dynastien Wagen gesammelt und in einem unglaublich großen Lager konserviert hat. Dieses Lager sollte der zentrale Schauplatz werden. Eine super Idee unseres Buchautors Christoph Mathieu, die unser DoP Bernd Hermes mit seinem Team mit einfachsten Mitteln wirklich magisch in Szene gesetzt hat. Wir haben ein kleines Wagenrondell um eine Manege gestellt in denen die Protagonist:innen in ihren Interviews saßen. Hierdurch sollten sie emotional in eine Zeitreise eintauchen. Das hat noch besser funktioniert als wir dachten. Roncalli Kapellmeister Georg Pommer oder auch der legendäre Dompteur René Strickler, die sich hier nach langer Zeit wiedertrafen, waren schon vor Drehbeginn sehr ergriffen von der Atmosphäre, da sie dies an die Anfangszeiten erinnerte. Bei den wenigen nachgestellten Bildern haben wir darauf geachtet, dass zwischen Archiv- und neugedrehtem Material eine homogene Verbindung entsteht.

Sie geben exklusive Einblicke in die New-York-Premiere und das Privatleben der Familie. Welche dieser Momente sind für Sie persönlich besonders herausgestochen?
Da unsere Doku vor allem die Gründungsgeschichte der ersten 10 Jahre von 1976 in Bonn bis 1986 in Moskau erzählt, spielt die Familie in unserem Haupthandlungsstrang noch gar keine entscheidende Rolle. Die älteste Tochter Vivian ist erst 1989 geboren und Lili erst 1998. Nur die „Romeo und Julia“-Lovestory von Bernhard und seiner Frau Eliana Paul ist in Folge 3 ein zentrales Element. Sie war damals beim Konkurrenten Circus Krone. In den kurzen Moodbildern hat Bernhards Tochter Lili, ihre Mutter im Originalkostüm von damals verkörpert. Die Ähnlichkeit zu ihrer Mutter ist verblüffend. Und natürlich gibt es auch ein paar Einblicke in das New York-Gastspiel. Hier geht es vor allem um die Kinder, die in die großen Fußstapfen ihres Vaters treten. Mich haben besonders die privaten Archivaufnahmen, als sie noch ganz klein waren, berührt.

Guy Laliberté, Gründer des Cirque du Soleil, sieht Roncalli als Inspiration. Wie zeigt Ihre Serie den Einfluss von Bernhard Paul auf die Zirkuswelt und darüber hinaus?
Da dieser Einfluss erst richtig Ende der 80er begann, ist das der Stoff für eine Fortsetzung. (lacht) Aber natürlich finden bei uns am Rande auch die vielen Innovationen von Bernhard Paul und Roncalli statt. Der berühmte rote Punkt auf der Nase, mit dem einen schon die Artist:innen am Eingang empfangen, und natürlich das Storytelling, dass Bernhard erst in den Circus gebracht hat, auch die Tier-Hologramme, mit dem er sich ganz klar gegen Tiere in der Manege positionierte. Uns geht es aber vor allem um die emotionale Reise eines Jungen bzw. Mannes, der seinen Traum bis heute mit Einfallsreichtum gegen alle Widerstände verteidigt. Auf diese so noch nie erzählte Geschichte, haben wir uns fokussiert.

Was waren die größten Schwierigkeiten bei der Produktion – sei es inhaltlich, logistisch oder emotional?
Wie so oft bei Dokumentarfilmen spielt Zeit eine große Rolle und davon hatten wir nie genug. Wir mussten unsere Zeitpläne an den der viel beschäftigten und reisenden Familie Paul anpassen. Bei zeitweise vier Zirkussen gleichzeitig, drei Weihnachtsmärkten und einem Varieté ist das logistisch und auch emotional eine Herausforderung. Die ARD, allen voran der federführende Sender NDR, musste hier an die Grenze der organisatorischen Flexibilität gehen. Diese Bereitschaft und natürlich die Unterstützung der Nordmedia-Förderung aus dem Land Niedersachsen und Bremen, haben das Projekt überhaupt erst möglich gemacht. Ich bin meinem Produzentenpartner Marc Lepetit und seinem Team hier sehr dankbar. Ohne seine Hands-On-Unterstützung hätte ich den Spagat zwischen Produktion und Regie des Projekts nicht hinbekommen. Auch der konstruktive und wertschätzende Input von Marc Brasse, der in der ARD sehr früh für das Projekt gekämpft hat, und den WDR- bzw. SWR-Kolleginnen Barbara Schmitz und Katharina Ringsgwandl hat das Projekt bereichert und nach vorne gebracht. Jeder im Team musste ständig flexibel sein und auf die Herausforderungen der Welt, in die wir eintauchen durften, reagieren. Das ging nur mit einem Produktionspartner wie Cineteam aus Hannover. Wir haben hier einen Glücksgriff getan und kennen kaum jemanden in dem Bereich, der unter solchem Druck so hochwertig produzieren kann, wie das Team von Sven und Marie Junker. Was allen voran unser Haupt-Editor Jan Christian-Pohl, aber auch unser zweiter Editor Marcelino Simon bis kurz vor der weihnachtlichen Veröffentlichungstermin hier geleistet haben, ist mehr als eine Extrameile.

Die Serie endet mit einem Ausblick auf die Zukunft des «Circus Roncalli». Was glauben Sie, wird Bernhard Pauls Vermächtnis für die nächste Generation sein?
Eigentlich endet die Serie damit, dass wir noch nicht wissen, wie der Circus Roncalli der Zukunft aussehen wird. Das Gastspiel in New York war aber schon eine großartige Vorausschau auf das Jubiläum im Jahr2026. Wenn Roncalli hier auch wieder diese Mischung zwischen Nostalgie und zukunftsweisenden Innovationen trifft, dann bin ich sehr gespannt auf das Gastspiel zum 50-Jährigen. Ein paar Fotos und Ideen hat Bernhard Paul schon mit mir geteilt. Ich kann nur sagen, da kommt wieder etwas, was wir so noch nicht gesehen haben. Mit der vielen Liebe, die die ganze Familie und die vielen jahrelangen treuen Mitarbeiter:innen aus dem Roncalli-Team in die Gestaltung des Programms legt, wird Roncalli noch viele Generationen begeistern. Und dass trotz aller Kontrahenten, die ihn in den Anfängen belächelten mit Worten wie: „Das wird eine Eintagsfliege“.

Danke für Ihre Zeit!

«Roncalli – Macht der Manage» ist in der ARD Mediathek abrufbar und wird am 4. Januar 2025 im Ersten ausgestrahlt.

Kurz-URL: qmde.de/157741
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