Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat sich in den vergangenen Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Nach dem WM-Titel 2014 verpasste es der Verband den Erfolg als Basis zu nutzen, um weitere Erfolgsgeschichten zu schreiben. Stattdessen hielten einzelne Personen zu lange an ihren Positionen fest, auch sportlich verpasste man es einen Neuanfang mit hungrigen Talenten zu starten. Das Ergebnis dieser jahrelangen Misswirtschaft zeigte sich 2022 bei der Weltmeisterschaft in Katar, bei der man wie vier Jahre zuvor in Russland in der Gruppenphase scheiterte.
Das Problem: Die UFA Documentary begleitete das Team des damaligen Bundestrainers und heutigen Barcelona-Erfolgscoach Hansi Flick mit der Kamera und produzierte vier Folgen für eine Amazon-Doku-Serie. Die Premiere von «All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar» knapp ein Jahr nach dem Turnier dürfte auch zu Flicks Entlassung als Bundestrainer beigetragen haben, denn die Serie erschien kurz vor dem Länderspiel gegen Japan, das man in Dortmund krachend mit 1:4 verlor. Der DFB verpflichtet daraufhin Julian Nagelsmann, der sich als Glücksgriff für den Verband herausstellen sollte. Weniger als ein Jahr vor der prestigeträchtigen Heim-Europameisterschaft nahm der Ex-Bayern-Trainer die Arbeit auf.
Auch dieses Turnier ließ der DFB von einem Kamera-Team begleiten. Anders als in Katar behielt man jedoch Mitsprache-Recht, was letztlich gezeigt werden würde. Tom Häussler, der für die ARD die eher unkritische Doku-Serie «Unparteiisch» über die Arbeit der Bundesliga-Schiedsrichter umsetzte, arbeitete erneut mit dem DFB zusammen. Herausgekommen ist «Unser Team – Die Heim-EM 2024», was eher an einen besseren Werbefilm statt einer Dokumentation mit Tiefgang erinnert. Gleich zu Beginn irritiert der Film damit, dass die Geschehnisse im Vorfeld der EM nicht chronologisch abgearbeitet werden. Man beginnt irgendwann im Februar mit der DFB-Rückkehr von Spielmacher Toni Kroos, der seine Nationalmannschaftskarriere eigentlich schon beendet hatte und seine Schuhe im Sommer endgültig an den Nagel hing. Warum das überhaupt nötig war, zeigt sich erst einige Szenen später, als auf die desaströsen Länderspiele im November gegen die Türkei und in Österreich eingegangen wurde. Ein kausaler Zusammenhang lässt sich allenfalls erahnen. Dass sich die Zusammenarbeit zwischen Kroos und Nagelsmann schon deutlich vor Februar 2024 angebahnt hatte, wird nicht erwähnt.
Verzicht auf Heldenreise und Würdigungen
Toni Kroos ist mit dem Ausscheiden im Viertelfinale gegen Spanien eine epische Krönung seiner Karriere mit dem Titelgewinn verwehrt geblieben. Einer der erfolgreichsten deutschen Fußballer aller Zeiten kommt in der Doku ohnehin kaum vor. Ein einziges Mal sitzt Kroos, dessen Bruder immerhin als RTL-Experte tätig ist, vor der Kamera und gibt seine Einschätzung ab. Erinnerungen an einen epischen Abschluss, wie in Sönke Wortmann in «Deutschland. Ein Sommermärchen» bei Oliver Kahns letztem DFB-Spiel inszeniert, bleiben in Häusslers «Unser Team» Fehlanzeige.
Generell verzichtet das 90-minütige „RTL Original“ auf große Heldengeschichten. Die Hoffnungsträger der Mannschaft, die „Magier“ des Teams, wie Julian Nagelsmann Florian Wirtz und Jamal Musiala nannte, sitzen nie gemeinsam in den unzähligen Off-Interviews. Stattdessen dreschen die Spieler Phrasen wie: „Wenn wir Spanien schlagen, ist alles möglich.“ Auch das Risiko Manuel Neuer nach seiner schweren Ski-Verletzung nach der WM 2022 ins Tor zurückzuholen, wird kaum bis gar nicht thematisiert. Dass der Torhüter in seinem gehobenen Sportler-Alter nicht mehr frei von Kritik ist, wird mit Nagelsmanns Hinweis weggewischt, dass Topteams von nicht so guten Teams unterscheide, dass diese einen Torhüter hätten, der Bälle halte, den andere vielleicht nicht hielten. „Und das hat der Manuel gemacht.“ Gemeint war Neuers Parade im Gruppenspiel gegen Ungarn. Der Torwart selbst äußerte sich im Nachgang: „Natürlich schaut man sich das auch danach nochmal an, auch in der Analyse zusammen mit meinem Torwarttrainer. Das sah ganz gut aus in den ersten beiden Spielen und das wollen wir natürlich weiterhin mitnehmen.“ Was „das“ eigentlich konkret ist, erfährt der Zuschauer nicht, da das Meeting nur außerhalb des Besprechungszimmers gefilmt wurde. Der Film bleibt sportlich gesehen nichts-sagend.
Gänsehaut muss sein
Abseits des Platzes versuchte Häussler die verschiedenen Protagonisten hinter dem Team zu beleuchten. Eine besondere Rolle kam Team-Koch Anton Schmaus zu, der vor dem Spanien-Spiel die letzte Kabinenansprache hielt. In diesen wenigen Momenten, in denen der Zuschauer einen unvermittelten Blick ins Innenleben bekommt, sind die Bilder am eindrücklichsten. Leider dürfen die Szenen quasi nie für sich selbst sprechen. Immer ist ein Spieler oder Trainer aus dem Off zu hören und versucht irgendwelche Einschätzungen abzugeben. Das zerstört leider mehr als, dass es hilft.
Zuvor war Schmaus bei seiner eigentlichen Arbeit begleitet worden. Allerdings wirkt diese Szene überhaupt nicht nach. Er wird beim Schneiden von grünem Gemüse interviewt und faselt dabei vor sich hin: „Ich mache das schon seit sieben Jahren.“ Schnitt „Ja, große Aufgabe.“ Schnitt „Verantwortungsvolle Aufgabe.“ Schnitt „Kochen können viele. Viele wahrscheinlich auch besser als ich, aber es muss auch immer das Gesamtpaket passen. Und ich hoffe wir können unseren Beitrag dazu leisten, dass es dieses Jahr einfach richtig gut wird.“ Was Anton Schmaus letztlich für die Spieler kocht, bleibt DFB-Geheimnis. Was sein „Gesamtpaket“ konkret ist, ebenfalls. Dass Ernährung in der heutigen Zeit von Spielern, Vereinen und Verbänden sehr ernst genommen wird, ist kein sport-physiologisches Geheimnis mehr. Es ist somit eine weitere vertane Chance dieser Doku, unter Anleitung eines Experten auch mal in den Kochtopf zu blicken.
Als dritte Säule von «Unser Team» werden die Fans während des Turniers beim Gucken der Spiele begleitet. Die Szenen erstrecken sich von Orchestermitgliedern der Hamburger Elbphilharmonie, zu Bremer Intensivpflegern, ostfriesischen Fans, die in einem Leuchtturm gucken, Bundeswehr-Soldaten, die in Litauen stationiert sind, über Frauen in einem Gefängnis bis hin zum ehemaligen DFB-Kicker Pierre Littbarski, der 1990 Weltmeister wurde und das Eröffnungsspiel gegen Schottland auf einem Kreuzfahrtschiff als Experte und Stimmungsmacher verfolgte. Während die meisten Szenen es schaffen, den Film emotional aufzuladen, mutet besonders die Kreuzfahrt-Szenerie kurios an. Und sie wird dann sogar von einem Reisenden getoppt, der in die Kamera blökt, dass er lieber in der Disco war, statt das Spiel zu verfolgen. Die Fans aus allen Teilen Deutschlands werden von Spiel zu Spiel ausgetauscht, sodass auch hier keinerlei Anknüpfungspunkte entstehen. Die Frage bleibt: Hat sich der Disco-Gänger von der entstandenen Euphorie packen lassen und am Ende dann doch ein Spiel verfolgt?
«Unser Team» kann keinesfalls mit vergangenen Nationalmannschafts-Dokumentationen mithalten. Im Vergleich zu Sönke Wortmanns «Deutschland. Ein Sommermärchen» fehlte dem Film von Tom Häussler die letzte Überzeugung wirklich hinter die Kulissen blicken zu wollen oder zu können. Während «All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar» einen ungeschönten Blick in das Innenleben einer defekten Mannschaft lieferte, geht «Unser Team – Die Heim-EM 2024» nicht über einen besseren Image-Film des DFB hinaus. Zahlreiche Heldenstorys werden gar nicht erst aufgegriffen, Erzählungen werden begonnen, finden aber keinen Bogen und bleiben somit in der Luft. Wie viel Schuld die Produzenten tatsächlich trifft, bleibt fraglich. Der DFB hatte Einfluss auf die endgültige Fassung und vermied es trotz der emotional eigentlich eher positiv besetzten Heim-EM wirkliche Eindrücke zu liefern.
«Unser Team – Die Heim-EM 2024» ist auf RTL+ abrufbar.
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