Hallo Herr von Hirschhausen. Wann haben Sie das letzte Mal Alkohol „konsumiert“?
Am 18. Januar, als meine letzte Samstagabendshow «Was kann der Mensch» nach 15 Jahren im ARD-Unterhaltungsfernsehen lief! Das war schon ein spezieller Abend, mit einem lachenden und einem weinenden Auge, Abschied und Neubeginn. Den habe ich mit einem privaten public viewing und einer schönen Flasche Wein begangen und den „Dry January“ mal kurz unterbrochen. Ich bin ja nicht weg, sondern nur woanders. Die neue Reportage «Hirschhausen und die Macht des Alkohols» ist der Beginn einer neuen Serie von gesundheitsbezogenen Filmen für den Montagabend. Also weniger Entertainment, mehr Relevanz und Recherche, aber nie langweilig.
Warum ist Alkohol trotz seiner nachgewiesenen Gefahren weiterhin gesellschaftlich so akzeptiert?
Wir üben das ja von Klein auf ein! Eine der Betroffenen erzählt uns, wie in ihrer Familie den Kindern der Schnuller ins Bier getaucht wurde, und alle fanden das lustig. Gesoffen wird in allen Gesellschaftsschichten. Und dem Suchtgedächtnis ist es auch völlig egal, ob die Promille aus einem Korn für 2 Euro oder aus einem Bordeaux für 200 Euro kommen. Gerade frühe Rauscherfahrungen prägen sich ein. Deshalb ist das „begleitete Trinken ab 14 Jahren“ auch so ein gefährliches Signal. Gerade in der labilen Phase von Pubertät und Identitätssuche, tut man so, als wäre der Vollrausch das entscheidende Kennzeichen fürs Erwachsenwerden. Und da ist derjenige, der „Nein“ sagt, dann schnell der Spielverderber.“
Welche Erkenntnisse haben Sie bei der Arbeit an Ihrer Dokumentation am meisten überrascht?
Alkohol ist, was das Krebsrisiko angeht, in einer Kategorie mit Asbest und Rauchen. Konkret: Eine Flasche Wein hat für eine Frau im Hinblick auf ihr Brustkrebsrisiko die Wirkung von zehn Zigaretten. Ich hatte auch nicht auf dem Schirm, das Alkohol eine Hauptursache für Herzrhythmusstörungen ist, dass 80 Prozent der Alkoholabhängigen in Deutschland keine Entzugserscheinungen haben und wie wenige tatsächlich Hilfe suchen und finden. Was mich auch überraschte, wie miserable unsere Gesetzgebung ist, historisch und aktuell. Nirgendwo in Europa ist es so einfach und billig, an Alkohol zu kommen und sich zu betrinken.
Wie erklären Sie, dass Alkohol wissenschaftlich betrachtet als die gefährlichste Droge gilt, aber oft verharmlost wird?
Es gibt keine besseren „Kunden“ als Abhängige. Wer sind dementsprechend die lukrativen Werbetreibenden? Alle, die mit Suchmitteln ihr Geld verdienen. Vor jeder Fußball Übertragung gibt es Bierwerbung und Wett-Anbieter. Die Alkohollobby darf mit 200-mal so viel Geld Werbung machen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Da ist es nicht so überraschend, dass wir alle Bilder in unserem kollektiven Gedächtnis haben, wie angeblich Rum und Bier uns Zugang verschafft zu Freiheit, großen Segelschiffen und erotisierenden Partys auf tropischen Inseln. Schaut man aber in die leeren Gesichter hinter den leeren Flaschen, ist da wenig von Freiheit zu spüren, und noch weniger von Erotik. Alkohol macht maßgeblich einsam, depressiv und krank.
Sie sprechen von den strukturellen und nachhaltigen Veränderungen im Gehirn durch Alkoholsucht. Welche Rolle spielen diese bei der Rückfallgefahr?
Was ich an unserem Format so mag: ich darf ohne festes Drehbuch losziehen, spannende Leute treffen und mich selbst überraschen lassen. Im Film zeigen wir, dass es in der Suchtklinik eine Bar gibt. Wie bitte? Ja, nach Entzug und Therapie in der Klinik lauern die großen Versuchungen zu Hause, wenn man wieder in sein gewohntes Umfeld kommt. Und genau dafür werden realistische Situationen geprobt und trainiert: wie halte ich dem Verlangen nach meinem Lieblingsdrink stand? Dazu gibt es neue Apps, die einem im Alltag helfen, nicht rückfällig zu werden. Das Handy hat man ja immer dabei, auch wenn kein Therapeut oder Freund in der Nähe ist. In unserem Film spreche ich auch mit Nathalie Stüben, die als Journalistin über Jahre süchtig war, und jetzt mit Büchern, Online-Formaten und Apps hilft, Menschen im Alltag zu erreichen.
Inwiefern könnte die Therapie mit gering dosierten Psychedelika neue Hoffnung für Suchtkranke bieten?
„Das ist tatsächlich eine therapeutische Revolution! Es klingt erstmal verrückt, eine Sucht mit einer anderen Droge zu behandeln. Aber unter therapeutischer Anleitung kann offenbar die halluzinogene Erfahrung, sich selbst einmal wie von außen betrachten zu können, helfen, auf den Rausch im Alltag zu verzichten.
Alkoholkonsum verursacht ökonomische Schäden von 60 Milliarden Euro pro Jahr. Warum wird Alkohol in Deutschland im EU-Vergleich dennoch so niedrig besteuert?
Warum gibt es trotz einer Mehrheit in der Bevölkerung kein Tempolimit? Warum bekommen Menschen mit Long Covid keine Therapien? Warum werden Lebensmittel, die Menschen, Tiere und Erde krank machen, mit Milliarden subventioniert? Ich hätte aus dieser Kategorie noch eine Menge weiterer Fragen (lacht). Viele gemeinschaftlich und gesundheitlich sinnvolle Dinge werden gezielt verhindert von Interessengruppen, die Geld verdienen, während die Gesellschaft auf den Kosten hängen bleibt. Das klingt sehr verschwörerisch, ist aber leider so. Unser Gesundheitswesen hat bis heute keine ernsthafte Prävention oder „Public health“ Perspektive. Und deshalb gehen mir auch so schnell die Themen nicht aus…
Welche Maßnahmen halten Sie für die wirksamsten im Kampf gegen die Alkohol-Lobby?
Preise rauf, limitierte Verkaufsstellen, Alter kontrollieren, Aufklärung statt Werbung. Also genau das, was wissenschaftlich erwiesen am besten wirkt und was andere Länder längst erfolgreich tun. Freiheit ist ein wichtiges Gut. Aber Suchtmittel sind das Gegenteil von Freiheit. Wer abhängig ist, ist nicht frei. Und wer systematisch abhängig gemacht wird, auch nicht. Ich mag den Grundsatz der Weltgesundheitsorganisation: „Make the healthy choice the easier choice“. Die lebensförderliche Entscheidung sollte die leichtere sein.
Welche Begegnung während Ihrer Recherche hat Sie besonders berührt?
Ich hatte in meiner Zeit in der Kinderheilkunde mit schwer alkoholgeschädigten Kindern zu tun. Das vergesse ich nie. Egal wie viel man an Diagnostik, Behandlung, Zuwendung und auch oft Fremdbetreuung dort versucht, was einmal im Hirn ganz früh kaputt ging, bekommt man nie wieder zurück. Ich spreche im Film mit Jenny. Sie hat erst mit 30 Jahren die richtige Diagnose bekommen und wir treffen gemeinsam einen der wenigen Experten für ein Gutachten. Bis zu 4.000 Neugeborene kommen jedes Jahr wie Jenny mit fetalem Alkoholsyndrom auf die Welt, 10.000 haben leichtere, aber auch lebenslange Schäden – viel zu viele bleiben unerkannt! Neben all dem oft unsichtbaren Leid ist es auch noch unfassbar teuer. Rechnet man alle Kosten im Gesundheitssystem, für die Pflegeeltern, die schwierige Beschulung, das Justizsystem inklusive der Gefängnissaufenthalte, Arbeitsausfälle und und und hoch, kommt man auf etwa 17 Milliarden allein für das fetale Alkoholsyndrom im Jahr.
Was können wir aus den Geschichten von Menschen wie Chris oder Kerstin über den Weg aus der Sucht lernen?
Eine meiner Lieblingsmomente ist, wo ich mit Chris auf dem Kiez in St. Pauli im kalten Regen nach einem Heißgetränk suche, und wir landen in einer Kneipe, die genauso aussieht wie man sich das vorstellt. Er erzählt von seinen Kumpels von früher, die alle tot sind, wie der Verkauf von Obdachlosenzeitungen und seine Freundin ihm wieder Halt gegeben haben, und als ich frage, worauf er stolz ist, sagt er grinsend: „Das ich für mich selbst ein Vorbild geworden bin“. Solche Dialoge kannst du nicht erfinden, nur finden.
Wie gehen Sie damit um, wenn Menschen durch Alkohol verursachtes Leid nicht ernst nehmen oder verharmlosen?
Ich schicke ihnen den Link zu diesem Film in der Mediathek.
Was müsste sich in der Gesellschaft ändern, damit die Gefahren von Alkohol ernst genommen werden?
Preise rauf, limitierte Verkaufsstellen, Alter kontrollieren, Aufklärung statt Werbung. Also genau das, was wissenschaftlich erwiesen am besten wirkt und was andere Länder längst erfolgreich tun. Freiheit ist ein wichtiges Gut. Aber Suchtmittel sind das Gegenteil von Freiheit. Wer abhängig ist, ist nicht frei. Und wer systematisch abhängig gemacht wird, auch nicht. Ich mag den Grundsatz der Weltgesundheitsorganisation: „Make the healthy choice the easier choice“. Die lebensförderliche Entscheidung sollte die leichtere sein.
Welche Verantwortung sehen Sie bei der Politik, strengere Auflagen oder ein Werbeverbot für Alkohol einzuführen?
Wir haben bei fünf Ministerien angefragt. Die Antworten möchte ich noch nicht verraten, ich hoffe ja, viele schalten ein, und wir werden ein zweites Mal bei Quotenmeter erwähnt– nach der Ausstrahlung. Jeder der zuschaut, kann sich seine eigene Meinung bilden. Das ist uns bei ADHS, bei der Abnehmspritze und Long Covid gelungen. Und ich glaube, «Hirschhausen und die Macht des Alkohols» hat wieder das Zeug dazu, Millionen Menschen zu erreichen. Darauf wette ich einen Kasten Bier. Alkoholfreies natürlich!
Das freut uns!
«Hirschhausen und die Macht des Alkohols» ist am Montag, den 27. Januar 2025, um 20.15 Uhr zu sehen.
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