So ganz ist sich der Autor dieser Zeilen über die Beendigung der ersten Ligaphase der UEFA Champions League noch immer nicht, ob die Aufstockung des prestigeträchtigsten europäischen Vereinswettbewerbs eine gute Idee war. Eines ist nach dem gestrigen Abend aber gewiss: Der achte und letzte Spieltag war ein historischer! Erstmals betraten alle 36 Mannschaften gleichzeitig das Feld, um in 18 Spielen die finalen Platzierungen auszuspielen. Das war nötig, um etwaige Ergebnisabsprachen („Die Schande von Gijón“) zu vermeiden.
Das bedeutete wiederum für den übertragenden Sender DAZN 18 Spiele gleichzeitig zu übertragen – sowohl als Einzelspiele jeweils in voller Länge und als XXL-Konferenz. Damit waren allein 48 Kommentatoren, Experten und Reporter gleichzeitig auf Sendung. Der Sportstreamer sprach im Vorfeld davon, dass an jenem Abend rund 500 Mitarbeiter in der Zentrale sowie in den Stadien vor Ort im Einsatz gewesen seien. Nichts weniger als „die größte Live-Sport-Produktion aller Zeiten“ versprach man im Vorfeld.
Auf welche Parameter dieses Versprechen letztlich gemünzt war, dürfen die Marketing-Experten des Senders entscheiden. Allerdings sollten sie insofern Recht behalten, dass diese Konferenz-Schaltung über die gewohnten Sehgewohnheiten eines Fußball-Fans hinausging. Wer glaubte, dass die Konferenz eines 34. Bundesliga-Spieltags mit neun Partien gleichzeitig unübersichtlich sei, dem hätte ein Warnhinweis vor der Champions League-Konferenz nicht geschadet. Nach drei Minuten trudelten die ersten Tore aus Birmingham, Salzburg, Mailand, Lille und wieder Birmingham ein. Obwohl Salzburg eigentlich als zweites an der Reihe gewesen wäre, lieferte Kommentator Max Gross die Szenen an hinterster Stelle ab. Er gab dann auch direkt an Mario Rieker ab, der das Stuttgarter Spiel begleitete. DAZN machte ernst: Der Fokus lag auf den deutschen Spielen.
Fußball als Stresstest
Dank der vielen Treffer bleib die Wechsel-Frequenz zwischen den Spielen über die gesamten 90 Minuten hoch. Im Vorfeld hatte DAZN mit drei Toren pro Spiel, also mit 54 Treffern in der gesamten Konferenz gerechnet. Am Ende wurden es 64 Treffer. Umgerechnet konnte DAZN somit im Schnitt 84 Sekunden pro Tor aufwenden. Die Tore fielen freilich aber nicht im 84-Sekunden-Takt, sodass man als Zuschauer gerne mal den Überblick verlor. Wie unvorstellbar schwierig der Job des Regisseurs an diesem Abend gewesen sein musste, konnte man nachvollziehen, als DAZN zeitweise alle 18 Spiele gleichzeitig auf den Bildschirm projizierte. Bälle waren nicht zu erkennen, ja sogar ein Tor, das in dieser Zeit fiel, war kaum zu erkennen.
Abgesehen von der actiongeladenen Grundsituation, in der der Zuschauer nahe dem epileptischen Splitscreen-Anfall war, streute DAZN auch skurrile Momente ein. Mitte der ersten Halbzeit machte die Konferenz im Wankdorf-Stadion Halt, wo die ausgeschiedenen Mannschaften Young Boys Bern und Roter Stern Belgrad aufeinandertrafen. „Der 36. gegen den 32.“, wie Kommentator Manuel Angstenberger direkt erläuterte und nachschob, dass diese Partie keine Rolle für den weiteren Verlauf spiele. Angstenberg tat dem Zuschauer dann auch den Gefallen und macht keinen Hehl daraus, dass die Partie auf einem niedrigen Niveau gespielt wurde. 65 Sekunden Durchschnaufen. Weiter nach Dortmund. Elfmeter in Eindhoven. Fußball als Stresstest.
Halbzeit-Analyse? Fehlanzeige!
DAZN schaffte es trotz der Fülle an Spielen und Toren einen relativ klaren Blick auf das Geschehen zu behalten. Mitte der zweiten Halbzeit blendete man immer wieder passende Blitztabellen ein, je nachdem in welcher Region der Tabelle man sich beim jeweiligen Spiel befand. Gerade aus Bayern- und Dortmund-Sicht – beide Teams bewegten sich nahe dem achten Rang, der für eine direkte Achtelfinal-Qualifikation gereicht hätte – hob man relevante Partien heraus und gab Zwischenstände aus Birmingham, Lille oder Barcelona durch und erklärte, welches Ergebnis wie helfen würde. In dieser Hinsicht machte DAZN einen guten Job, das unkontrollierbare Wesen Fußball im Zaun zu halten.
Weniger glücklich verlief der Teil, über den DAZN eigentlich die meiste Kontrolle hatte: Die Halbzeit. Laura Wontorra, Michael Ballack und Tobias Schweinsteiger meldeten sich vor einer irre-großen LED-Wand. Da es mancherorts lange Nachspielzeiten gab, und DAZN den überwiegenden Teil der Pause Werbung zeigte, hatte das Trio handgestoppte zwei Minuten und 40 Sekunden Zeit ihre „Analyse“ abzugeben. Es wurden aber schlicht die Zwischenstände durchgehechelt, gezeigt lediglich ein Tor von Club Brügge gegen Manchester City. Ein kurzer Blick auf die Tabelle sowie die Tore von Paris in Stuttgart. Und ab in die Werbung. In der Einzelspiel-Option verzichtete DAZN komplett auf Berichterstattung während der Halbzeitpause. Sicher, DAZN will und muss Werbung verkaufen, aber diese Herangehensweise hat keinerlei Mehrwert für den Fußball-Zuschauer und sollte dringend überdacht werden.
Experte Tobias Schweinsteiger, verglich die Konferenz im Nachhinein „als hätte jemand die Vorspultaste“ gedrückt. Michael Ballack lobte das neue Format, hatte aber die Orientierung verloren. „Es ging rauf und runter, hin und her“, so der ehemalige DFB-Kapitän. Als Zuschauer kann man dem nur schwer widersprechen. Obwohl DAZN einen guten Job machte, saß man als Zuschauer hinterher auf dem Sofa und fühlte sich müde, überwältigt, ja, fast verkatert. Fußball wie im Rausch. Die Champions League hat durch ihre Reform eine neue Dynamik entwickelt, an Spannung gewonnen. Aber es gut, dass diese XXL-Konferenz nur einmal im Jahr stattfindet.
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