«Raus aufs Land» hat sich zu einem großen Erfolg entwickelt, die dritte Staffel wurde seit November 2024 knapp 1,2 Millionen Mal in der ARD Mediathek abgerufen. Seit dem Start 2023 erreichte die Doku-Soap insgesamt mehr als 4 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Worin sehen Sie die Gründe für diesen Erfolg?
Das Identifikationspotential ist der Schlüssel. Studien zeigen, dass jeder zweite Mensch in Großstädten davon träumt, irgendwann mal selbst ‚aufs Land‘ zu ziehen. Ich glaube, oft geht es da gar nicht um das Land an sich, sondern die Sehnsucht nach einem abstrakten Ort, wo die Welt ein bisschen weniger hektisch, aggressiv und überfordernd ist. Mit dieser Sehnsucht arbeiten wir: Wir erzählen Geschichten von Menschen, die ihr altes Leben und ihre Komfortzone aufgeben, um genau dahin aufzubrechen. Die ihr Glück selbst in die Hand nehmen. Das ist die zweite Ebene: Empowerment. Und solche emotionalen Heldenreisen machen auch Zuschauenden Mut, besonders in Krisenzeiten.
Seit der dritten Staffel erzählen Sie die Geschichten „verzopft“, also übergreifend. Wie hat sich dieser Ansatz auf die Produktion ausgewirkt, und wie hat das Publikum darauf reagiert?
Unser Ziel war es, unsere Geschichten intensiv in der Region zu verankern, ihr quasi eine eigene Rolle zu geben – mit ihrer Landschaft, Architektur, dem Akzent der Alteingesessenen, der jeweiligen Kultur. Dazu war es wichtig, mit lokalen Autoren und Produktionsfirmen zu arbeiten. Gleichzeitig wollten wir aber ein überregionales Publikum ansprechen, unser Format also so erzählen, dass es deutschlandweit interessant ist. Wir fanden, dass die ‚Verzopfung’ der regionalen Handlungsstränge dafür eine besondere Chance bietet. Auch weil es Kontraste schafft und erzählerisch reizvoll ist. Für die Produktion war das aber eine riesige Herausforderung, weil die Staffel ja trotzdem wie aus einem Guss wirken sollte. Vor allem hatte ich Sorge, ob diese vielen Wechsel zwischen den verschiedenen Protagonistinnen und Protagonisten vielleicht chaotisch wirken und man die Orientierung verliert. Aber nach allem, was ich bisher von Usern gehört habe, ist das Konzept aufgegangen.
13 Autoren, 16 Drehteams und über 450 Stunden Rohmaterial – das klingt nach einer Mammutaufgabe. Was war für Sie die größte Herausforderung bei der Umsetzung?
Wir mussten ganz neue Workflows entwickeln über die Grenzen der jeweiligen Sendeanstalten hinweg. Dafür haben wir eine Gemeinschaftsredaktion gebildet und die Rolle des Showrunners geschaffen, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Und weil ich ja schon bei den vorangegangenen Staffeln Verantwortung trug, fiel mir auch die Aufgabe zu, eine Kontinuität des Formats zu gewährleisten, sowohl im Storytelling als auch im Look & Feel. Dafür habe ich gemeinsam mit den jeweiligen Redakteuren und Redakteurinnen Gespräche mit jedem einzelnen Autoren und jeder Autorin geführt. Am Anfang erstmal, um das erzählerische Potential der Protas genau zu analysieren und eine Art Storyline zu entwickeln. Und dann vor und nach jedem einzelnen Drehtag, um herauszufinden, wie wir die Geschichte erzählen können und wie sie ins Gesamtgefüge der jeweiligen Staffel passt. Bei insgesamt über 130 Drehtagen bin ich da oft an meine Grenzen gekommen. Am Ende haben die Autoren und Autorinnen ihre Geschichten in Absprache mit uns als Redaktion zu einem durchgehenden Film zusammengeschnitten, den wir dann beim rbb in Berlin mit den Erzählsträngen von hr, BR, SWR und MDR verwoben, also „verzopft“, haben.
Die Show begleitet Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und Träumen. Wie wählen Sie die Protagonisten aus, und was macht eine Geschichte für «Raus aufs Land» spannend?
Der Name ist Programm, insofern ist Voraussetzung, dass unsere Protas im Prozess des Umzugs von der Stadt aufs Land sind. Das ist der Grundplot. Aber die eigentliche Geschichte entsteht aus der emotionalen Entwicklung. Das ist die Heldenreise, um die es uns geht. Zum einen müssen die Protas deshalb Potential zu ‚Helden‘ haben, also ein gewisses Identifikationspotential bieten. Aber um die innere Reise miterleben zu können, müssen sie uns auch sehr nah an sich heranlassen, sich ein Stück weit in die Seele gucken lassen. Es ist wichtig, dass die Leute das wissen, bevor sie sie sich entscheiden, mitzumachen: Sie geben da viel Persönliches preis. Denn erst dadurch bekommen unsere Geschichten wirklich die Tiefe und die Authentizität, die charakteristisch ist für «Raus aufs Land». Wir inszenieren und scripten nicht.
Die Serie zeigt sowohl Glücksmomente als auch Herausforderungen. Gab es während der Dreharbeiten einen Moment, der Sie besonders berührt hat?
Es gibt eine Protagonistin, Victoria aus Brandenburg, die hatten wir schon in der ersten Staffel begleitet, damals mit ihrem Partner Max. So richtige urbane Hipster, die aus Berlin-Friedrichshain rausziehen und auf dem Land ein neues Leben beginnen wollten. Und wir hatten schon verabredet, dass wir die beiden für eine spätere Staffel weiter begleiten, um zu sehen, wie sich ihr Projekt langfristig entwickelt. Doch kurz vor Drehbeginn trennten sich die beiden plötzlich. Und so stand am ersten Drehtag diese toughe, von oben bis unten tätowierte Berlinerin in ihrer ländlichen Bauruine, deren ganze finanzielle und emotionale Belastung nun auf ihren Schultern lag, und fing an zu weinen, als sie den Raum betrat, der mal ein Kinderzimmer hätte werden sollen. Da hätte ich fast mitgeweint. Zum Glück hat ihre Geschichte aber ein Happy End.
Die Staffeln 3, 4 und 5 wurden erstmals von fünf ARD-Anstalten gemeinsam produziert. Wie hat diese Zusammenarbeit funktioniert, und welche Vorteile hat sie gebracht?
Wir haben uns mit der intensiven Zusammenarbeit über Sendergrenzen hinweg tatsächlich auch ein bisschen als Labor für mehr Kooperation verstanden. Wir haben zwei Mal pro Woche gemeinsame Redaktionssitzungen gehabt und gemeinsam mit den Produktionsfirmen unsere Protas und Geschichten skizziert. Der Vorteil war der Abwechslungsreichtum durch regionale Kontraste. Wir erzählen Geschichten aus insgesamt acht Bundesländern, und es ist ja wirklich auch spannend, was für unterschiedliche Facetten Deutschland mit seinen Regionen bietet. Diese Vielfalt ist ein wesentlicher USP der Doku-Soap. Und natürlich konnten wir durch die geballte Power auch quantitativ mehr erzählen: Insgesamt 21 neue Episoden verleihen der Marke natürlich eine andere Sichtbarkeit für User. Hier konnten wir zeigen, dass in dem Gefäß «Raus aufs Land» völlig unterschiedliche Plots Platz finden und es keineswegs immer um Bullerbü geht: ein Pfarrer wird , ohne sich dafür entschieden zu haben, an einen von der Kirche bestimmten Ort entsandt, wo sein Vorgänger große Skepsis hinterlassen hat. Eine alleinerziehende Mutter begreift, dass sie für ihren großen Traum von ökologischer Landwirtschaft das eigene Kind vernachlässigt. Und zwei Eheleute um die 50 stellen plötzlich fest, dass sie vielleicht gar nicht mehr genug Energie und Ressourcen haben, einen runtergekommenen Schweinestall für ihre Zukunft herzurichten.
Besonders spannende Charaktere in der aktuellen Staffel 4 sind Geraldine und Patrick oder Martina, die nach einem Burnout aufs Land gezogen ist. Welche Geschichte hat Sie persönlich am meisten beeindruckt?
Martinas Geschichte finde ich auch sehr spannend: erfolgreiche Fernsehreporterin merkt, dass sie in der Münchener Schickimickiwelt unglücklich wird und sucht Heilung in der Provinz. Bei Geraldine und Patrick finde ich vor allem seinen Part besonders interessant: Die beiden kaufen ein entlegenes Haus, das an die Bedingung geknüpft ist, dort Landwirtschaft zu betreiben. Finanziell rentiert sich das aber nicht, und Geraldine beginnt, auf Instagram Geschichten vom Leben als Landwirte zu posten. Das ist so erfolgreich, dass sich Patrick schließlich entscheidet, seinen Job als Zimmermann und seine Rolle als Familienernährer aufzugeben, um seine Partnerin bei ihrer Arbeit als Influencerin zu unterstützen. Und ich persönlich mag auch die Gamer besonders – ein Pärchen zweier bekennender Nerds, die ihre Freizeit am liebsten beim Zocken verbringen. Aber sie entschließen sich, ein altes Haus in Sachsen zu kaufen, um endlich erwachsen zu werden, wie sie sagen. Plötzlich müssen sie Aufgaben bewältigen, die sie bisher nur aus Minecraft kannten … Am Ende züchten sie sogar Hühner und Geckos.
«Raus aufs Land» begleitet Menschen beim Start in ein neues Leben. Gibt es Rückmeldungen von früheren Teilnehmern, die zeigen, wie es ihnen langfristig ergangen ist?
Wir versuchen, an manchen Protas dranzubleiben, quasi als Langzeitbeobachtung. Victoria aus Staffel 1 ist in Staffel 5 wieder dabei. Und Hannah und Anne, die Frauen, die auf dem Land zu besten Freundinnen wurden, aber mit dem Plan, ein Café zu eröffnen, scheiterten, sind auch in Staffel 3 dabei. Sie suchen jetzt nach neuen Ideen, wie sie ihr Leben auf dem Land finanzieren können. Allerdings beginnt eine von beiden nun eine neue Beziehung mit einem Mann aus der Stadt, was ihre Freundschaft an den Rand des Scheiterns bringt. Es gibt aber auch Geschichten, die sich weiterentwickeln, ohne dass sie in der Serie landen. André aus einer früheren Staffel hat die Idee, von der Gemüsezucht zu leben, inzwischen aufgegeben und sich zum Erlebnispädagogen umschulen lassen. Sein Sohn Danny, der auf dem Land sein Transgender-Outing hatte, fühlte sich dagegen auf dem Dorf nicht mehr wohl. Er ist zurück nach Berlin gezogen, wo er jetzt bei seiner Großmutter lebt.
Viele Menschen träumen vom Leben auf dem Land, doch die Realität sieht oft anders aus. Wie versuchen Sie, in der Serie die Balance zwischen Romantik und den Herausforderungen des Landlebens zu zeigen?
Ein Kollege hat neulich mal gesagt, er hätte den Eindruck, wir wollten die Leute vor dem Rauszug aufs Land warnen, weil in unseren Geschichten so viele Dramen passieren. Das ist natürlich überhaupt nicht unsere Absicht. Aber wir wollen auch realistisch sein. Der klar überwiegende Teil unserer Protas findet auf dem Land zwar das ersehnte Glück, doch bei fast keinem gehen die Träume wirklich genau so auf wie in der Fantasie entworfen. Fast immer muss man Kompromisse machen oder auch hier und da umdisponieren. Ich glaube, diese Flexibilität ist tatsächlich die Voraussetzung für Romantik. Das ist im echten Leben wie bei den fiktionalen Heldenreisen aus Hollywood: Erst muss man die Prüfungen bestehen, dann wird man mit dem Happy End belohnt.
Die fünfte Staffel wird im März 2025 veröffentlicht. Gibt es schon Überlegungen für weitere Staffeln oder neue Ansätze, das Konzept weiterzuentwickeln?
Zunächst freuen wir uns über die sieben neuen Folgen aus Staffel 4, die gerade in der ARD Mediathek online gegangen sind. Ab dem 11. März wird dann die fünfte Staffel zu sehen sein. Eine Entscheidung über eine Fortsetzung ist noch nicht gefallen. Wir in der Gemeinschaftsredaktion hätten auf jeden Fall Lust weiterzumachen.
Vielen Dank für die vielen Geschichten!
«Raus aufs Land» ist derzeit komplett in der ARD Mediathek abrufbar.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel