Interview

Lydia Bruna: ‚Lisa unterschätzt Gefahren‘

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Die Regisseurin hat den neuen Film «Die Bestatterin» mit Anna Fischer umgesetzt. Im Interview erzählt Bruna unter anderem von den Herausforderungen der Dreharbeiten.

«Tote leben länger» beginnt mit einem vermeintlichen Selbstmord, der sich als Mord herausstellt. Was macht diesen Fall für Lisa Taubenbaum besonders herausfordernd?
Lisa Taubenbaum (Anna Fischer), unsere Hauptfigur, ist eine Physiotherapeutin, die als Bestatterin arbeitet. Sie ist keine Kommissarin und hat keine polizeiliche Ausbildung - dadurch bringen ihre Ermittlungen ganz eigene Sichtweisen und Herausforderungen mit sich.

Statt der beruflichen Aufgabe einen Fall zu lösen, wird Lisa von einem starken, inneren Gefühl getrieben: Sie baut eine Beziehung zu den Toten auf, mit denen sie arbeitet und kämpft für deren Gerechtigkeit.

Unaufhaltsame Neugier, Sturheit und ausgeprägte Intuition sind dabei ihre Stärken. Was dieses mal anders ist: Sie kennt die Tote nicht. Sie ist zwar aus der Gegend, aber es gibt nur wenige gemeinsame Berührungspunkte. So muss Lisa erst Wege und Zugänge zu Informationen finden.

Sie haben bereits viele Serien inszeniert, aber dies ist Ihr erster 90-Minüter für die Primetime. Was war für Sie die größte Umstellung im Vergleich zu kürzeren TV- Formaten?
Die meisten Arbeitsschritte, ob für eine Primetime-Serie wie «Soko Leipzig» oder einen Primetime 90-Minüter, sind gleich. Der größte Unterschied für mich war, dass ich mich statt auf drei bis fünf Geschichten gleichzeitig, auf ausschließlich eine fokussieren konnte und mehr Zeit innerhalb der Geschichte zur Verfügung hatte, um Figuren und Beziehungen zu erzählen.

Lisa Taubenbaum ist keine klassische Ermittlerin, sondern eine Bestatterin mit viel Intuition. Wie haben Sie diese besondere Dynamik in Szene gesetzt?
Lisa interessiert sich nicht nur für die Tote/den Toten, sondern immer auch für den Menschen, der die Person vorher war, ihr Leben und ihre Geschichte. Sie baut eine Beziehung auf während sie sie zur letzten Ruhe bettet. Sie nimmt ihre Aufgabe sehr ernst. Dadurch entstehen manchmal Fragen und Erkenntnisse. Diese sensible Seite macht ihren Ansatz einzigartig.

Lisa Taubenbaum hat immer wieder Momente, in denen sie genau den richtigen Riecher hat und wie ein Profi die richtigen Fragen stellt. Doch dann gerät sie wieder in Bedrängnis: Sie unterschätzt Gefahren, mischt sich ein, lässt nicht locker und stürzt sich ohne Rückendeckung ins Abenteuer. Dieses Wechselspiel macht es besonders spannend, ihrer Geschichte zu folgen und birgt viele Möglichkeiten für Humor.
«Die Bestatterin» verbindet Krimi, Spannung und skurrilen Humor. Wie gelingt es, diese Elemente in der richtigen Balance zu halten?
Vieles davon haben Matthias Kiefersauer und Alexander Liegl in ihrem Drehbuch angelegt und mir so einen fruchtbaren Boden zur Verfügung gestellt. Das ist die beste Voraussetzung. Davon ausgehend arbeite ich heraus, welche Momente und Szenen der Geschichte welchen Zweck haben. Steht hier gerade die Ermittlung im Vordergrund? Oder bauen wir Spannung auf? Kann es lustig sein? Und wie kann ich das durch Inszenierung, Kamera, Sound, Szenenbild usw. unterstützen?

Wenn die Entscheidung bewusst getroffen ist, kann ich mit meinem Kameramann Clemens Majunke und den Schauspielenden dafür sorgen, die Szenen dementsprechend zu erzählen.

Die Reihe lebt stark von ihrer schwäbischen Kulisse und dem Dialekt. Wie haben Sie diese Regionalität bewusst in Ihre Regiearbeit einfließen lassen?
Die schwäbische Alb ist im Sommer eine märchenhafte, wunderschöne Landschaft voller Wälder, Burgen,Schluchten, Wiesen, Felder und mit verträumten Bauernhäusern. Ein Film kann immer nur bestimmte Ausschnitte einer Welt zeigen. Die Drehorte, die wir bespielen, erzählen eine Geschichte maßgeblich mit und tragen sehr viel zur Atmosphäre bei.

Mir war es wichtig, Aspekte der schwäbischen Alb zu zeigen, die wir noch nicht aus den anderen Folgen kennen. Zum Beispiel war die Suche nach dem richtigen Felsen eine Aufgabe, die uns sehr lange beschäftigt hat. Beeindruckend, schön und gefährlich sollte er sein. Aber sicher bedrehbar. Mit dem Wiesfels haben wir einen Platz gefunden, der all das in sich vereint hat.

Das Kloster in Bebenhausen und die es umgebenden Felder waren für mich ein persönliches Highlight: ehrwürdig, mystisch, geheimnisvoll. Was man allerdings nicht unbedingt erwartet: es gibt eben auch sehr moderne Gegenden mit Neubauten und jungen Familien. Diese unterschiedlichen Facetten zu zeigen war mir wichtig.
Sie haben mit Matthias Kiefersauer und Alexander Liegl zusammengearbeitet. Wie lief die Abstimmung zwischen Drehbuch und Inszenierung?
Das Drehbuch von Matthias und Alexander hat mir direkt zugesagt. Die beiden haben ein tolles Gespür für ihre Hauptfiguren und die richtige Mischung aus Krimi und Humor. Sie haben ein spannendes und vielseitiges Figurenensemble entwickelt und eine Geschichte, die ich mit viel Freude zum Leben erwecken durfte. Bei unserer Besprechung war schnell klar, dass wir auf einer Wellenlänge sind.

Sie hatten mehr Vorbereitungszeit als üblich. Welche gestalterischen Entscheidungen konnten Sie dadurch besonders fein ausarbeiten?
Im Vergleich zu meinen bisherigen Arbeiten für Serien haben Fernsehfilme mehr Vorbereitungszeit, das stimmt. Allerdings hatten wir bei «Die Bestatterin - Tote leben länger» nicht mehr Vorbereitungszeit als üblich. Wobei ich nichts dagegen hätte!
Von mehr Zeit profitieren alle Level der Vorbereitung: ausführlichere Gespräche mit dem Cast, Szenenbild, Kostüm oder Kamera.

Bei der Leseprobe hatten Sie erstmals das gesamte Ensemble versammelt. Wie hat sich dieses intensive Kennenlernen auf den Dreh ausgewirkt?
Die Leseprobe ist ein bisschen magisch für mich. Es ist der erste Moment in dem der Film beginnt zu atmen und Leben in die bis dahin sehr theoretische Vorbereitungszeit kommt.

Es ist eine Möglichkeit, alle Beteiligten abzuholen und auf die gleiche Vision einzustimmen. Ich finde daher auch schön, wenn neben dem Cast noch HODs anwesend sind und jede*r ihre/seine Puzzleteile des Films vorstellt.

Bei Produktionen, die keine Leseprobe ermöglichen können, ist es üblich, dass sich die verschiedenen Schauspieler*innen und die Regie das erste mal am Set begegnen. Da heißt es dann: “Guten Morgen, freut mich euch kennen zu lernen, dann drehen wir jetzt mal die Scheidungsszene nach euren 20 Jahren Ehe.”. Ich glaube es ist selbsterklärend, wie wertvoll es ist, wenn man sich schonmal vorher begegnet ist und gemeinsam über die Geschichte als Ganzes und konkrete Beziehungen sprechen kann.

Durch das nicht-chronologische Drehen gibt es auch viele Schauspieler*innen die sich im Laufe eines Filmdrehs nie begegnen. Auch dafür sind solche Runden wunderbar. Man wird zum Ensemble, zum Team.

Gab es während des Drehs Szenen oder Momente, die sich spontan anders entwickelt haben als ursprünglich geplant?
Es kommen immer wieder unerwartete Elemente beim Dreh hinzu. Zum Beispiel mussten wir, weil es regnete, eine Szene aus dem Garten unters Dach ziehen. Meiner Erfahrung nach können durch solche Einschränkungen auch Chancen für richtig schöne Momente entstehen: Jetzt liegt Yannick Schermski (Fridolin Sandmeyer) in seinem Bus, als Alfons (Artus Maria Matthiesen) kommt um ihn zur Rede zu stellen, statt wie geplant Yoga im Garten zu machen. Yannick, abhängend und umgeben von seinem bunten Chaos mit Klopapierrolle im Bus, passt ausgezeichnet zu der Szene.

Ihr Großvater war selbst Schreinermeister mit Bestattungsinstitut. Inwiefern hat dieser persönliche Hintergrund Ihre Herangehensweise an die Inszenierung beeinflusst?
Durch meinen Großvater weiß ich, wie tief die Verwurzelung in der Gemeinde sein kann, wenn man diese Berufe ausübt. Alle Bänke in der Dorfkirche hat mein Opa geschreinert. Noch heute sitzen alle Mitglieder der Gemeinde für Gottesdienste, Taufen, Beerdigungen und Hochzeiten darauf, obwohl er schon tot ist.
Die meisten Menschen, die er eingesargt hat und deren Familien, hat er, wie die Taubenbaums auch, gekannt.

Mir hat diese persönliche Erfahrung sehr geholfen, Alfons zu verstehen und wie hoch der Druck ist, als vierte Generation im Betrieb nicht zu versagen. Vermutlich gibt es kaum ein Grab auf dem Dorffriedhof, das nicht von seiner Familie betreut wurde.

Das spiegelt sich in einigen seiner Dialoge wieder und auch darin, dass seine Ahnen in Bildern über seinem Schreibtisch thronen oder er in einem alten Bilderalbum blättert. Um zu zeigen, wie sehr er am Betrieb festhält, war mir wichtig, dass er Johanna (Katharina Leonore Goebel) als Kundin in seinem Büro empfängt und nicht in der Küche. Mein Lieblingsdetail ist hier die Schublade voller Taschentücher, was ich auch aus meiner Familie kenne. Es erzählt mehr über seinen Beruf und solche Gespräche, als Worte sagen können.

Mir war wichtig, durch Kleinigkeiten die Arbeit und Abläufe in einem Schreiner- Bestatter-Familienbetrieb zu erzählen. So zeigen z.B. auch Szenen, die ursprünglich im Wohnzimmer spielten, Hannes (Frederik Bott) jetzt bei der Arbeit in der Werkstatt.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Die Bestatterin» ist am Donnerstag, den 21. Februar 2025, im Ersten zu sehen.

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