Interview

Wolfgang Esser: ‚Wir stellen das Thema ‚Zeit‘ in den Vordergrund‘

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Der Produzent und Autor hat mit seinem Team einen neuen «Spreewaldkrimi» verfasst. Im Gespräch mit Quotenmeter erläutert Esser, was die wichtigen Punkte eines Spielfilmes sind.

Wolfgang Esser, Sie haben die Spreewaldkrimi-Reihe von Anfang an mitgestaltet. Was macht für Sie den besonderen Reiz dieser Krimireihe aus?
Die «Spreewaldkrimis» zeichnen sich aus durch ihre assoziiert Erzählweise in komplexen, teils mystischen Geschichten und durch virtuose Spiele mit Zeit, Raum und Wahrnehmung. In der inzwischen großen Genrevielfalt sind dies heutzutage zwar keine Alleinstellungsmerkmale mehr, aber es sind nach wie vor attraktive Gestaltungsmerkmale. Als wir vor fast zwanzig Jahren von klassischen Erzählstrukturen (Heldenreise, Whodunit) abgewichen sind, galt noch jedes einzelne dieser Merkmale als krasser Bruch mit den vorherrschenden Erzähl- und Sehgewohnheiten. Damals wie heute wünschte man sich zwar das Außergewöhnliche, das Besondere, aber nicht alle können oder wollen es auch umsetzten oder verantworten. Trotz der inzwischen größeren Offenheit neuen Dramaturgien gegenüber, gibt es im TV immer noch nur wenige Plätze, die diese Art fiktionalen Erzählens erlauben. Gleichzeitig machen diese Erzählweisen für mich persönlich den größten Reiz aus.

Die Spreewaldkrimi-Reihe hat mittlerweile Kultstatus erreicht. Hat sich Ihre Herangehensweise an das Schreiben und die Entwicklung der Charaktere im Laufe der Jahre verändert?
Es hat sich im Laufe der Jahre eine Art dramaturgisches Regelwerk herausgebildet, das sehr dabei hilft, die meist komplexen Geschichten in knapp 90 Minuten angemessen erzählen zu können.
Insofern gibt es inzwischen eine typische Herangehensweise an ein Script, die den meisten Autor:innen, die noch keinen «Spreewaldkrimi» geschrieben haben, allerdings neu ist. Die Aufgabe für jede Autorin, für jeden Autor ist es daher, sich zunächst von bekannten Mustern zu lösen. Dies aber auch zu dürfen, wird fast immer als Geschenk wahrgenommen. Obwohl nur ein «Spreewaldkrimi» pro Jahr fertiggestellt wird und jeder einzelne Film in sich abgeschlossen ist, gibt es dennoch einen horizontalen Strang um die Haupt-Charaktere herum, der sich durch die Geschichten zieht.

Viele Fans warten sehnsüchtig auf die Veröffentlichung von „Böses muss mit Bösem enden“. Was können Sie den Zuschauern der Krimi-Reihe sagen, um sie besonders neugierig auf den neuen Film zu machen? Können Sie uns einen kleinen Einblick geben, wie der Spannungsbogen aufgebaut ist und welche Themen besonders im Vordergrund stehen?
Im diesem 17. Film stellen wir das Thema „Zeit“ einmal weit in den Vordergrund und erweitern das Erzählspektrum um eine ganze Dimension anhand neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Astrophysik und Quantenmechanik. Was hier sehr didaktisch klingt, wird im Film zu einem sinnlichen Vergnügen. Unsere Fans dürfen sich darauf freuen, mitgenommen zu werden auf eine Entdeckungsreise in noch unerschlossene Regionen.

Der Titel deutet auf eine intensive und vielleicht auch moralisch komplexe Geschichte hin. Was ist das „Böse“, von dem in diesem Band die Rede ist?
Das „Böse“ ist der zunehmende Hass in unserer Welt. Und die philosophische Frage, die der Film aufwirft, lautet: Was passiert mit uns, wenn der Hass gewinnt. Darauf gibt es zwar generell keine zweifelsfreie Antwort, erst recht keine einfache. Aber der Film macht zumindest ein Angebot – auf Spreewaldkrimi Art.

Wie haben sich die Spreewaldkrimis seit den ersten Filmen verändert?
Die «Spreewaldkrimis» sind immer mit der Zeit gegangen. Und da sich die Zeiten immer schneller verändern, sind auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Filmen oft groß. Ohne ständige Neuerfindung könnte sich eine Filmreihe mit einer geringen Schlagzahl von nur einem Film pro Jahr nicht behaupten. Gleichzeitig vereint alle Spreewaldkrimis neben der magischen Landschaft und ihrer oft mystischen Stimmung ihre innovative Dramaturgie, die weit außerhalb des Konsens-Mainstreams liegt und damit die Zuschauer durchaus fordert. Mit durchschnittlich sechs Millionen Zusehern über alle Filme betrachtet, sowie einem MA bis 25%, haben wir seit vielen Jahren ein solides Stammpublikum, das wir auch zukünftig nicht enttäuschen werden.

Haben Sie sich den Verlauf oder die Länge der Reihe so vorgestellt, als Sie mit der Arbeit am ersten Spreewaldkrimi begonnen haben, wenn nein, was waren Ihre ursprünglichen Vorstellungen?
Der erste Film „Das Geheimnis im Moor“ war seitens des ZDF als Einzelfilm geplant. Deshalb auch der Montags-Sendeplatz, der damals noch für besondere Einzelstücke reserviert war. Ich hatte zwar schon die Hoffnung, dass bei Erfolg daraus eine Reihe werden könnte, da ich das Potenzial als sehr hoch eingeschätzt haben. Dass aber daraus eine jetzt fast 20-jährige Kultreihe entstehen würde, die innerhalb der Branche oft als eigenes Genre bezeichnet wird, und die in ihrer jeweiligen Zeit in einem Atemzug mit «Twin Peaks», später dann mit «Breaking Bad» genannt wurde, hätte ich nicht zu träumen gewagt.

Der Spreewald ist nicht nur Kulisse, sondern auch ein wichtiger Teil der Atmosphäre. Welche Bedeutung hat die Region für speziell diesen Film, und wie haben Sie die lokale Kultur und Natur in die Geschichte integriert?
Ja, tatsächlich wollten wir von vornherein, dass der Spreewald mehr ist, als Kulisse. Auch das war ein Novum im deutschen TV. In einigen Folgen ist er sogar der heimliche Hauptdarsteller. Beispielsweise mit seinen mystischen Legenden und Sagenfiguren, wie dem Schlangenkönig („Eine tödliche Legende“), dem Nix („Die Sturmnacht“), dem Drachen Plon („Tödliche Heimkehr“), den Bludniks („Tote trauern nicht“). Aber auch der Wald selbst spielt mit, fühlt mit, wirkt mit. Er kann zuhören und bietet Schutz („Spiel mit dem Tod“), er wandelt sich im Laufe der Zeit („Die Tränen der Fische“), er leidet („Feuerengel“), er kann unbarmherzig sein („Die Sturmnacht“), und er lässt damit auf magische Weise das Übersinnliche glaubwürdig werden, wie auch in „Zwischen Tod und Leben“. Wir schicken unsere Figuren nicht in den Spreewald, um ihnen zuzuschauen, was sie dort tun. Wir schicken sie in den Spreewald, um zu erleben, was er mit ihnen macht. So ist es auch im neuesten „Böses muss mit Bösem enden“.

Gleichzeitig wollen wir bei aller Mystik und Magie möglichst authentisch erzählen. Meist sind unsere Geschichten inspiriert von Themen aus der Region, die Land und Leute bewegt, und die gleichzeitig eine gesamtgesellschaftliche Relevanz haben.

Wir denken, das ist eine erfolgreiche Mischung, die sowohl einen Einblick in diese besondere Region und die Lebensart der Spreewälder bietet, andererseits aber auch ein Millionenpublikum interessiert. Fachleute schätzen, dass die Spreewaldkrimis ca 25% mehr Touristen in den Spreewald gelockt haben. Auch aus dem deutschsprachigen Ausland und aus Skandinavien. Es gibt im Spreewald verschiedene Veranstalter, die Spreewaldkrimi-Touren anbieten, von der Altstadtführung in Lübbenau bis hin zu ganztägigen Kahnfahrten zu den Drehorten. Zuletzt hat Lübbenau mit einer ganzen „Spreewaldkrimi-Woche“ auf Anhieb den Innenstadtwettbewerb des Landes Brandenburg gewonnen. In diesem Frühjahr wird die Spreewaldkrimi-Woche zum 2. Mal stattfinden. Das alles geht auf Initiativen der Spreewälder zurück, die wir natürlich gern mit Insiderwissen unterstützen.

Unsere „Family & Friends Preview“ des jeweils neuesten Spreewaldkrimis auf Schloss Lübbenau als Dankeschön für alle unsere Helfer, Unterstützer und Fans aus der Region hat inzwischen langjährige Tradition.

Wie gehen Sie mit der Herausforderung um, eine Krimireihe, die mittlerweile so viele Filme umfasst, am Leben zu erhalten? Welche frischen Ideen bringen Sie in den 17. Film ein, um ihn sowohl für alte Fans als auch für neue Zuschauer spannend zu machen?
Für uns Macher haben die «Spreewaldkrimis» oft etwas von einer Expedition. Nicht selten haben wir Ideen, von denen wir anfangs gar nicht wissen, wie wir sie umsetzen können. Wie zuletzt in „Die siebte Person“, in der wir die Innenwelt eines Menschen mit dissoziativer Identitätsstörung gezeigt haben. Also, wie jemand mit mehreren Persönlichkeiten auf unsere Welt schaut und sich in ihr zurechtfindet. Auch bei „Böses muss mit Bösem enden“ haben wir lange an einer geeigneten filmischen Umsetzung gefeilt, um diese außergewöhnliche Geschichte zum Leben zu erwecken.

Welcher Aspekt des neuen Krimis hat Ihnen persönlich bei der Produktion am meisten Spaß gemacht? Gibt es eine Szene oder ein Detail, auf das Sie besonders stolz sind?
Interessante Frage. Die Entstehungsgeschichte eines Films ist wie eine Art „Aufwachsen“. Ein Film entwickelt sich von der Idee (seiner Geburt) über die Stoffentwicklung (seiner Kindheit), den Dreh, Schnitt (Erwachsenwerden) bis hin zu seiner vollen Entfaltung in der Postproduktion (Farbe, Sounddesign, Musik). Insofern ändern bzw. entwickeln sich auch besondere Vorlieben. Und manchmal sind es sogar die kleinen Dinge. An diesem 17. Spreewaldkrimi ist es zum Beispiel eine Beerdigungsszene. Inhaltlich und in der Produktion gelten Beerdigungen oft als „notwendiges Übel“. In unserem fertigen Film habe ich mich persönlich dann aber in diese Szene verliebt. Sie kommt minutenlang ohne Dialog aus und lässt uns geführt von subtilem Sounddesign und meisterhafter Musik die fassungslose Trauer unserer Protagonisten miterleben.

Ein wenig stolz bin ich, besser gesagt, ich freue mich, dass es uns auch dieses Mal gelungen ist, eine filmische Umsetzung zu finden, die es ermöglicht, einem Millionenpublikum ein Thema nahezubringen, das im allgemeinen Verständnis noch als Sciences-Fiction wahrgenommen wird, wenngleich es bereits wissenschaftlich erwiesen ist. Und dies -wie immer- nicht belehrend oder mahnend, sondern als Einladung zum Weiterdenken.

Was können die Fans, die die Reihe vielleicht schon seit Jahren verfolgen, von „Böses muss mit Bösem enden“ erwarten - wird es Überraschungen geben?
Oh ja, es wird Überraschungen geben. Im Grunde können unsere Fans das immer erwarten.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den anderen Autoren über die Jahre empfunden und wie hat sich Ihre Rolle im Team im Laufe der Zeit verändert?
In erster Linie bin ich Produzent, inzwischen auch Autor. Immer auch Impulsgeber, Ideenfinder, dramaturgischer Berater in Stoffentwicklung und im Schnitt. Eine meiner wichtigsten Aufgaben ist es, das beste Team für die jeweilige Geschichte zusammenzurufen und in enger Zusammenarbeit mit allen Gewerken sicherzustellen, dass ein Film im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten der kreativen Vision entspricht, die ich mit Redaktion, Autor, Regie gemeinsam entwickelt und definiert habe.

Nachdem Thomas Kirchner -Autor und Mitgestalter der ersten Stunde- nach „Totentanz“ aufgehört hatte, und wir mit wechselnden Autor:innen arbeiten, übernehme ich zusätzlich die Aufgabe des Headautors. Dies lag auf der Hand, da meine Art zu arbeiten seit jeher der eines Showrunners nach klassischem amerikanischem Muster gleicht. Hierzulande ist diese Berufsbezeichnung inzwischen auch etabliert, sie umfasst im deutschen Kontext allerdings meist einen eingeschränkteren Verantwortungsbereich.

Wenn Sie sich die Entwicklung des Spreewaldkrimis in den nächsten Jahren vorstellen - was wünschen Sie sich für die Zukunft der Reihe und für Ihre Arbeit darin?
Die nächste Geschichte ist bereits in den Startlöchern. Es stehen spannende Veränderung an, auf die sich alte und neue Fans freuen dürfen.

Als Produzent würde ich mir etwas mehr Planungssicherheit seitens des ZDF wünschen. Trotz allen Erfolgs und beständiger Qualität müssen wir immer wieder um jeden neuen Film ringen. Darin habe ich bis heute einen wunderbaren Mitstreiter, den ZDF-Redakteur Pit Rampelt. Der dritte Mann im «Spreewaldkrimi»-Trio der ersten Stunde.

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus? Gibt es andere Projekte, an denen Sie arbeiten oder neue kreative Herausforderungen, die Sie reizen?
Ja, es gibt immer andere Projekte, die man parallel entwickelt. Dazu gehören neben eigenen Arbeiten auch fremde Stoffe, die ich in der Entwicklung dramaturgisch begleite. Den meisten Raum nehmen aber tatsächlich die Spreewaldkrimis ein, die zudem oft mit einer langen Recherche und einer sorgfältigen Vorbereitung verbunden sind. In der produktionsfreien Zeit unterrichte ich regelmäßig Drehbuchstudenten, was mir viel Freude bereitet.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Spreewaldkrimi - Böses muss mit Bösem enden» ist am Montag, den 24. Mai 2025, um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.

Kurz-URL: qmde.de/158865
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