Interview

Roxana Samadi: ‚Ich kann aus meiner Perspektive erzählen und anderen Menschen den Raum geben‘

von

Die «Para – Wir sind King»-Schauspielerin hat mit «Freiheit im Herzen» einen Dokumentarfilm abgedreht. Dort möchte sie der Diaspora eine Stimme geben.

Ihr Film «Freiheit im Herzen» gibt den Stimmen der Diaspora eine Bühne. Worum genau geht es in der Dokumentation und was hat Sie dazu inspiriert, diesen Film zu machen?
Es geht um die Reaktion der Menschen in Deutschland auf den Tod von Jina Mahsa Amini im Iran. Dieser hat so viele Menschen berührt, dass die Bewegung über die Diaspora hinausging. Dieser revolutionäre Prozess unter der Leitfahne „Frau* Leben Freiheit“ hat allein in Berlin etwa 100.000 Menschen dazu bewegt, sich an der Siegessäule zu versammeln. Das war ein ganz besonderes Erlebnis und auch der erste Tag, den ich filmisch festgehalten habe. Ab dann habe ich anderthalb Jahre lang den Verlauf der Bewegung begleitet und mit zehn verschiedenen Menschen darüber gesprochen, unter anderem mit Natalie Amiri, Jasmin Shakeri, Enissa Amani und Ozi Ozar. Der Film dokumentiert auch den Zerfall der Bewegung, die Streitigkeiten, die nach einiger Zeit in den Vordergrund rückten, und setzt sich mit der Frage auseinander, wie es sich anfühlt, wenn das Herz an einem Ort schlägt, während sich der Körper an einem anderen befindet.

Sie haben den Film von der Idee bis zur Umsetzung komplett selbst realisiert. Welche Herausforderungen haben Sie dabei gemeistert und was hat Sie während des gesamten Prozesses am meisten motiviert?
Am meisten motiviert hat mich der Wunsch, zu zeigen, was ich wahrgenommen habe. Ich habe unfassbar viel Liebe erfahren – viel Zusammenhalt und viel Empathie. All das ist irgendwann in den Hintergrund gerückt, aber ich möchte mit meinem Film daran erinnern. Wir standen alle gemeinsam und haben unsere Unterschiede, politischen Orientierungen, Agenden, unseren Stolz usw. beiseitegelegt, um gemeinsam die Stimme der Menschen im Iran zu sein – und das können wir wieder tun. Und auch über den Iran hinaus. Es geht um das universelle Prinzip von „Dein Leid ist mein Leid“. Ich glaube fest daran, dass wir miteinander verbunden sind, ob wir es wollen oder nicht. Das zu begreifen ist, glaube ich, vielmehr eine wunderschöne Möglichkeit, als dass es Angst macht. Der Wunsch, das zu erzählen, hat mich angetrieben und mir geholfen, egal wie schwer es war, weiterzumachen.

Der Film zeigt die revolutionäre Bewegung im Iran 2022/23 aus der Perspektive der deutschen Diaspora. Warum war Ihnen genau dieser Blickwinkel so wichtig?
Der Film ist dokumentarisch. Ich kann aus meiner Perspektive erzählen und anderen Menschen den Raum geben, ihre zu erklären. Ich glaube, so wird eine Geschichte wahrhaftig. Was mich an der Situation der Diaspora so fasziniert hat, war die Rolle der Identität. Dazu muss man wissen, dass die iranische Diaspora über Jahre hinweg sehr zerstritten war. Die Iraner:innen hatten sehr unterschiedliche Vorstellungen vom Iran und davon, was er werden sollte. Als Jina Mahsa Amini ermordet wurde, waren all diese Unterschiede für einen Moment unwichtig. Die Identität wurde auf eine Weise dekonstruiert und auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Im Vordergrund standen nicht die Unterschiede, sondern die Dinge, die uns verbinden – verbunden im Menschsein, im Einsatz für universelle Rechte. Das hat mich fasziniert. Unsere individuellen Identitäten sind wunderbar und zeichnen uns aus, aber das Schöne war, dass der Ruf nach „Frau* Leben Freiheit“ uns alle nebeneinanderstehen ließ – Menschen unterschiedlichster Religionen, ethnischer Gruppen, Sexualitäten und Geschlechter. Die Identität existierte, war jedoch kein Hindernis in der Begegnung mit dem Gegenüber. Das hat sich mit der Zeit wieder verändert.

Mit Persönlichkeiten wie Jasmin Shakeri, Natalie Amiri, Enissa Amani und Pegah Ferydoni haben Sie prominente Stimmen der Diaspora begleitet. Wie haben Sie diese Menschen für das Projekt gewonnen und was hat Sie an ihren Geschichten besonders bewegt?
Am Anfang ging alles sehr schnell. Ich bin davon ausgegangen, dass die Revolution innerhalb weniger Monate passieren würde und dass das Ende meines Films darin bestünde, dass wir alle in den Iran reisen. Also habe ich mich an die Menschen gewandt, zu denen ich schnell Kontakt herstellen konnte. Jemanden wie Saye habe ich auf einer Demo rappen sehen und sie danach über Instagram angeschrieben. Mir war es wichtig, die Vielschichtigkeit der Bewegung in der Auswahl der Protagonist:innen abzubilden – Frauen, Männer, LGBTQI+-Angehörige, Iraner:innen, Nicht-Iraner:innen, Kurd:innen.

«Freiheit im Herzen» wurde mit dem Publikumspreis beim Filmfest Hamburg ausgezeichnet. Wie haben Sie diese Resonanz erlebt und was bedeutet Ihnen diese Anerkennung?
Am schönsten fand ich den Hoffnungsschimmer, den mir dieser Preis geschenkt hat. In dem Film geht es um Frauen*, um Leben, um Freiheit. Es geht um grundlegende Menschenrechte. Und die Tatsache, dass sich das Publikum für diesen Film entschieden hat, zeigt mir, dass wir zueinander finden können – dass der Wille da ist.
Es gibt mir Hoffnung, dass wir trotz dieser schwierigen Zeiten, in denen wir und unsere Demokratie uns befinden, auf einem Weg sind, in dem Freiheit und Gleichberechtigung zählen – und zwar überall auf der Welt.

Ihr Film fängt die tiefen Emotionen der Diaspora ein – Menschen, die physisch hier sind, aber deren Herz woanders schlägt. Welche Momente während der Dreharbeiten haben Sie besonders berührt?
Dadurch, dass ich selbst Teil der Diaspora bin, hat mich nichts kalt gelassen. Ich habe oft hinter der Kamera geweint. Ein Moment, der mich bis heute sehr berührt, ist, wenn ich Ozi frage: „Was ist das Erste, was du machst, wenn der Iran frei ist?“ Und Ozi antwortet: „Meinen Pass verbrennen und zurück zu meinem normalen Leben gehen.“ Dann frage ich: „Du würdest nicht zurückgehen?“ Und Ozi sagt: „Nein. Niemals. Und nichtsdestotrotz kämpfe ich Seite an Seite mit genau den Menschen, die mich diskriminiert haben.“ Das finde ich unfassbar stark und inspirierend. Wir müssen verstehen, dass Freiheit kein willkürlich anwendbares Gut ist. Sie steht allen Menschen zu.

Der Ruf „Frau, Leben, Freiheit“ ist ein starkes Symbol des Widerstands geworden. Wie hoffen Sie, dass Ihr Film zur Wahrnehmung dieses Kampfes beitragen kann?
Ich hoffe, dass der Film es schafft, das Thema loszulösen – vom Iranischsein, vom Kurdischsein, vom Frausein. Man muss nichts davon sein, um „Frau* Leben Freiheit“ zu verstehen und es in sein eigenes Leben zu integrieren. Wir brauchen das in Deutschland gerade dringend. Vielleicht hilft der Film, das zu veranschaulichen.

Wie schwierig war es, eine Dokumentation über ein so aktuelles und zugleich emotional aufgeladenes Thema zu drehen? Gab es Momente, in denen Sie an Ihre Grenzen gestoßen sind?
Ja, ständig. Ich war monatelang nur unterwegs, habe im Zug geschlafen, gedreht, ohne jegliche Erfahrung mit Kameras zu haben, geschnitten, ohne jemals zuvor geschnitten zu haben. Ich bin ständig an meine Grenzen gestoßen – egal ob körperlich, emotional oder faktisch, weil mir die nötigen Fähigkeiten noch fehlten. Doch jede kleine Grenze, die sich aufgetan hat, habe ich versucht, Schritt für Schritt zu überwinden, um am Ende einen fertigen Film zu haben. Irgendwie hat es funktioniert, aber wenn man mich jetzt fragt, wie ich das geschafft habe, weiß ich es selbst nicht mehr genau.

Gibt es eine bestimmte Botschaft oder ein Gefühl, das Sie den Zuschauer mit auf den Weg geben möchten, wenn sie den Film sehen?
Wie der Dichter Saadi sagt: „Wir sind alle Glieder eines Seins, gemacht aus ein und demselben Edelstein, wenn anderer Schmerz uns nicht im Herzen brennt, verdienen wir nicht, dass man noch Mensch uns nennt.“

Nach diesem beeindruckenden Regiedebüt – gibt es schon Pläne für Ihr nächstes Filmprojekt? Möchten Sie weiterhin dokumentarisch arbeiten oder zieht es Sie auch ins fiktionale Erzählen?
Ich möchte vor allem wieder spielen. Die Schauspielerei ist das, wo ich herkomme, und sie ist das, was mich wirklich glücklich macht. Ich möchte vor allem wieder spielen. Die Schauspielerei ist das, woher ich komme, und sie ist das, was mich wirklich glücklich macht. Künftig werde ich hierfür von ZTA Management sowohl als Schauspielerin als auch als Regisseurin vertreten. Der Film ist aus reiner Faszination entstanden, nicht aus dem Plan, den Weg für eine Regiekarriere zu ebnen. Nichtsdestotrotz reizt mich die Regie sehr. Als Nächstes stehen fiktionale Projekte an – es sei denn, es passiert wieder eine Revolution. Who knows.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Freiheit im Herzen» ist in ausgewählten Kinos zu sehen. Es gibt eine Kinotour: 24.02 Köln, 25.02 Leipzig, 26.02 Berlin, 03.03. Hamburg, 07.03. Wien, 08.03. München, 11.03. Osnabrück und 28.03. Frankfurt am Main.

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