Interview

Leon Windscheid: ‚»Paartherapie der Meinungen«‘

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Der Psychologe möchte in seiner Sendung «Auf der Couch» Menschen mit unterschiedlichen Positionen zusammen bringen.

Herr Windscheid, das Format «Auf der Couch» wird explizit als Antithese zur aufgeheizten Debattenkultur beschrieben. Wie genau unterscheidet sich Ihre Sendung von klassischen Polit-Talkshows?
Bei uns kommen zwei Leute zusammen, die erst mal ganz unterschiedliche Meinungen mitbringen. Soweit kennt man das auch aus anderen Formaten. Aber dann ist das Ziel, mit kleinen psychologischen Interventionen ins Gespräch zu kommen. Wir sagen ganz bewusst, mit Augenzwinkern, „Paartherapie der Meinungen“, denn es ist natürlich keine wirkliche Therapie und ich bin ja auch kein Psychotherapeut. Stattdessen versuchen wir, Methoden aus der Psychologie zu nutzen und Menschen vielleicht mal auf andere Weise miteinander sprechen zu lassen, als es sonst in einer klassischen Polit-Talkshow der Fall wäre.

Natürlich kann, soll und darf es da auch Streit geben und Konflikte – deswegen sind die beiden ja da. Aber zum Beispiel mal die Perspektive zu wechseln, wirklich in die Rolle des anderen zu schlüpfen, sich auf neue räumliche Dimensionen einzulassen – das machen wir oft, zum Beispiel mit einer Leiter oder auch mit einem Seil auf dem Boden. Das soll den beiden vor Augen führen, wie groß die Differenzen und Unterschiede sind. Das macht dieses Format dann doch etwas anders.

Sie bringen Menschen mit gegensätzlichen Meinungen zusammen und setzen psychologische Methoden aus der Paartherapie ein. Was sind die größten Herausforderungen bei dieser Art der Moderation?
Es gibt immer wieder Momente, in denen es eigentlich nicht weitergeht, weil die beiden so unterschiedliche Meinungen haben, dass die Situation festgefahren wirkt. Genau in diesen Momenten muss man dafür sorgen, dass wir doch wieder zumindest zusammen weitersprechen können. Das ist das Ziel, und das ist die Herausforderung.

Es kann passieren, dass das Gespräch natürlich immer wieder in Momente kommt, in denen der Konflikt zu heiß wird oder, andererseits, zu sehr abgekühlt ist, sodass eigentlich gar nicht mehr weitergesprochen wird, weil die Fronten zu verhärtet sind. Genau in diesem Moment die jeweils richtige Intervention auszuwählen und so umzusetzen, dass die beiden Menschen auf der Couch wieder ins Gespräch kommen, ist die große Herausforderung.

Wie haben Sie die Gäste für «Auf der Couch» ausgewählt? Gab es Personen oder Themen, die besonders schwierig zu besetzen waren?
Das Wichtige ist, dass die beiden Personen, die zu mir kommen, einen Konflikt mitbringen. Und das ist in unserem Land verdammt einfach, weil es so viele Konflikte gibt und sehr viele verhärtete Fronten. Es war also keine Schwierigkeit, Leute zu finden, die mit ganz unterschiedlichen Meinungen in unser Format kommen können.

Inwiefern können psychologische Ansätze helfen, verhärtete politische Fronten zu überwinden? Haben Sie aus der Sendung konkrete Erfolgserlebnisse mitgenommen?
Machen wir es nicht zu groß. Das Ganze ist der Versuch, dass zwei Menschen überhaupt miteinander sprechen. Niemand hat den Anspruch, mit diesem Format ein komplettes Konfliktfeld zu lösen. Aber konkrete Erfolgserlebnisse gab es schon.

Es sind die Momente, in denen man das Gefühl hatte, dass die beiden, die mit ihren ganz unterschiedlichen Meinungen zu mir gekommen sind, plötzlich ein Stück weit besser verstehen, was den anderen umtreibt, woher der andere kommt und welche Geschichte er mitbringt. Da gab es zum Beispiel zwei Frauen, die über das Bürgergeld gestritten haben. Die eine sagte, „Alle Sanktionen müssen weg, die Menschen erleben eh schon viel zu viel Druck“, und die andere sagte, „Nein, Arbeit muss sich lohnen, und wir brauchen eher mehr Druck“.

Als die beiden dann davon berichteten, wie es sich für sie selbst angefühlt hat, auf Hilfe vom Staat angewiesen zu sein – das haben beide erlebt – merkte man plötzlich, dass sich eine neue Ebene aufgemacht hat und sogar ein Verständnis entstanden ist, für die Geschichte und der daraus entstandenen Meinung der anderen Person. Natürlich hat aber auch das Grenzen, die beiden lagen sich am Ende der Sendung auch nicht in den Armen.

Gerade in Wahlzeiten sind politische Diskussionen oft besonders polarisiert. Gibt es ein bestimmtes Thema oder eine Konfrontation in der Sendung, die Sie besonders überrascht hat?
Wir haben ja bewusst Leute eingeladen, die mit zwei ganz unterschiedlichen Meinungen kommen. Das heißt, es war schon klar, dass die Diskussion auch polarisiert und Streit und Schlagabtausch entstehen würden. Daher hat mich das auch nicht überrascht. Was ich aber stark fand, war zum Beispiel ein Moment, als Düzen Tekkal die Perspektive übernommen hat und am Ende eine Rede gehalten hat, als jemand der sich eher dafür stark macht, die Grenzen zu schließen und Migration stärker zu kontrollieren als bisher, wo sie so ein Stück weit die Gegenposition zu hatte. Und da dann zu sehen, dass ihr das, wie sie selbst gesagt hat, besonders schwer fiel und auch etwas mit ihr gemacht hat, weil sie nach den richtigen Worten suchen musste, um die Perspektive der anderen Person einnehmen zu können. Das war interessant zu beobachten.

Viele Menschen fühlen sich in politischen Debatten nicht mehr gehört oder ziehen sich ganz zurück. Was müsste sich ändern, damit wieder mehr echter Austausch stattfindet – abseits der Kamera?
Ich glaube, dass wir an vielen Stellen gar nicht mehr miteinander sprechen, und das ist das Problem. Es gibt Menschen, die sagen: „Nein, mit dem möchte ich nichts zu tun haben“, oder „Ich kann mit diesem Menschen keinen Kontakt haben“. Ich finde es völlig legitim, auch mal Brücken abzubrechen, aber trotzdem wünsche ich mir, dass wir uns als Gesellschaft bemühen, im Gespräch aufeinander zuzugehen. Das bedeutet nicht, dass ich von meiner Meinung abweichen muss, aber es bedeutet, dass ich versuche, den anderen zu verstehen.

Verstehen zu wollen ist die Kernaufgabe der Psychologie. Verstehen heißt nicht, dass ich die Meinung des anderen teile oder gutheiße, aber das gegenseitige Verständnis kann neue Richtungen eröffnen und das würde ich mir wieder mehr wünschen.

Gibt es psychologische Muster, die immer wieder in politischen Streitgesprächen auftauchen? Wie kann man sich davor schützen, in diese Fallen zu tappen?
Ein Muster, das ich immer wieder erlebe, ist, dass man glaubt, genau zu wissen, wie der andere tickt, was er sagen wird, und was seine Argumente sind. Das finde ich schade in politischen Diskussionen, dass man das Gefühl hat, jeder spult einfach nur sein Programm ab. In «Auf der Couch» versuchen wir genau das mal zu durchbrechen und Situationen zu schaffen, in denen vielleicht kleine Aha-Momente möglich sind, in denen man merkt: „Ah, so habe ich das beim anderen nicht erwartet.“ oder „Hier lag ich falsch in meiner Annahme über diese andere Person, mit meinem Vorurteil, mit meinem Stereotyp.“

Ihr Format stellt das Zuhören und Verstehen in den Mittelpunkt. Welche Tipps haben Sie für den Alltag, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die völlig andere Meinungen vertreten?
Neugier, das ist aus meiner Sicht die allerwichtigste Eigenschaft, die man braucht. Und zwar wirklich verstehen zu wollen, was den anderen umtreibt. Ich gehe also nicht mit festen Meinungen oder einem vorgefertigten Bild der anderen Person ins Gespräch, sondern versuche, offene Fragen zu stellen: „Wieso siehst du das so? Wie kommst du zu dieser Meinung? Was sind deine Quellen? Was treibt dich um?“ Und das nicht zynisch oder überheblich, sondern wirklich mit dem echten Bestreben, die andere Person zu verstehen. Ich glaube, das würde an vielen Stellen helfen, auch in politischen Diskussionen.

Könnten Sie sich vorstellen, dass ein Format wie «Auf der Couch» langfristig zu einer anderen politischen Gesprächskultur beiträgt? Oder bleibt es ein mediales Experiment?
Ob ein einzelnes Format dazu ausreicht, langfristig eine gesamte Gesprächskultur zu verändern, da hätte ich meine Zweifel. Wenn ich jetzt ganz optimistisch draufgucke, dann hoffe ich nur, dass dieses tolle Experiment, an dem ich teilnehmen durfte, vielleicht ein Stück weit dazu beiträgt, dass Leute sich etwas abgucken. Und es muss nicht sein, dass ich zu Hause selber das Flipchart aufbaue oder die Leiter oder den Raum mit Neontape abklebe, um zwei Positionen sichtbar zu machen, wie wir das im Fernsehen-Studio tun. Aber wenn das vielleicht eine Idee aus einer Übung ist, zum Beispiel, dass man mit bestimmten Regeln streitet, dass man sich bemüht, mal die andere Perspektive anzunehmen, dass man auf die Geschichte des anderen eingeht, dann wäre zumindest schonmal ein kleiner Erfolg.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Auf der Couch» ist in der ZDFmediathek abrufbar.

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