Interview

Regina Bouchehri: ‚Auch Kanzler sind am Ende nur Menschen‘

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Bei der Bundestagswahl hat Kanzler Olaf Scholz abgedankt, die Union wird wohl die Führung übernehmen. Passend zum Ende der Kanzlerschaft steht die Dokumentation «Olaf Scholz – Schicksalsjahre eines Kanzlers» in der Mediathek. Wir sprachen mit der Filmemacherin Regina Bouchehri.

Ihr habt bereits Dokumentationen über Trump, Merkel und die britischen Royals produziert. Was hat euch an Olaf Scholz gereizt?
Obwohl Olaf Scholz seit mehr als drei Jahren Kanzler der Bundesrepublik Deutschland ist und auch davor bereits lange Jahre in der Bundespolitik aktiv war, wissen die meisten Deutschen erstaunlich wenig über ihn. Das war für uns der Anlass, zum (vorhersehbaren) Ende seiner Kanzlerschaft nochmal ein Porträt über ihn zu produzieren, das hinter die Fassade des Mannes blickt, der als „auffällig unauffällig“ gilt.

Wie habt ihr entschieden, welche Schlüsselmomente seiner Kanzlerschaft in die Doku einfließen sollen? Gab es Themen, die ihr bewusst ausgelassen habt?
Wie auch bei den anderen Serien im Format «Schicksalsjahre» schauen wir immer auf genau die Momente, die entscheidend waren für seinen Lebensweg. Wir analysieren die Wendepunkte, die sein Leben bestimmt haben, blicken auf seine größten Niederlagen, wie beispielsweise die Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg, wie auch auf seine größten Erfolge – zu denen sicherlich der Überraschungswahlsieg 2021 gehört. Bewusst ausgelassen haben wir nichts, aber natürlich müssen wir uns bei ca. 90 Minuten Sendezeit auf die wesentlichen Ereignisse fokussieren.

Olaf Scholz wird oft als „Scholzomat“ oder als emotionsloser Politiker beschrieben. Wie schwer war es, eine emotionale Erzählweise über ihn zu entwickeln?
Man muss ein bisschen genauer hinschauen, dann finden sich auch bei Scholz durchaus Emotionen. Regisseur Tim Evers hat, wie ich finde, im Archivmaterial tolle Momente entdeckt, in denen Scholz durchaus emotional wirkt und die uns hinter seine oft so kühle Fassade blicken lassen.

Die Doku beleuchtet den politischen Aufstieg von Scholz. Welche Erkenntnisse über seinen Werdegang haben euch am meisten überrascht?
Für mich war in diesem Rückblick am überraschendsten, wie sehr Olaf Scholz aus Niederlagen immer wieder gestärkt hervor gegangen ist. Er hat im Laufe seiner politischen Karriere vielleicht wie kein anderer gelernt, Rückschläge wegzustecken und weiterzumachen. Sei es die massive Kritik für die Verteidigung der Agenda 2010, seien es die G20-Krawalle – Scholz geht seinen Weg weiter, unerschütterlich. Das zeigt sich ganz besonders bei dem verlorenen Rennen um den SPD-Vorsitz 2019: Nur zwei Jahre später ist er Kanzlerkandidat – und gewinnt die Wahl, obwohl das (außer ihm) kaum jemand erwartet hatte.

Ihr zeigt Scholz als Krisenkanzler – von der Zeitenwende bis zur Ampel-Krise. Wie habt ihr die Balance zwischen persönlichem Porträt und politischer Analyse gefunden?
Auch Kanzler sind am Ende nur Menschen. Aber sie lenken, für eine bestimmte Zeit, das Schicksal eines ganzen Landes. Damit sind ihre persönlichen Entscheidungen immer auch politisch. Ihr Handeln, ihr Charakter prägen die Politik eines Landes. Und genau darauf konzentriert sich die Serie: Es geht darum, wie Scholz unser Land verändert hat. Die politische Analyse wird dabei immer an den Protagonisten unserer Serie rückgebunden. Und zugleich versuchen wir natürlich auch zu verstehen, wie andersherum die politischen Herausforderungen Scholz als Menschen geprägt und verändert haben.

Mit welchen Herausforderungen war Scholz als Kanzler besonders konfrontiert, die sich möglicherweise erst in der Rückschau richtig einordnen lassen?
Ich denke, die größte Herausforderung war der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sowie dessen innen- und außenpolitischen Konsequenzen für Deutschland. Die russische Invasion im Februar 2022 hat die Vorzeichen von Scholz‘ Kanzlerschaft nach nur knapp drei Monaten im Amt völlig verändert. Plötzlich wurde Scholz quasi zum Kriegskanzler und er wie auch seine „Ampelkoalition“ mussten sich mit ganz neuen Fragen beschäftigen. Im Eiltempo musste die Koalition unter seiner Führung Kompromisse in Fragen der Rüstungs-, Außen- und Wirtschaftspolitik schließen – sei es im Hinblick auf Waffenlieferungen an die Ukraine oder auf explodierende Energiepreise in Deutschland. Der mediale und politische Druck auf den Kanzler waren immens und sein Kommunikations- und Führungsstil in dieser Situation für viele nicht immer befriedigend.

Ihr habt eine Vielzahl an Stimmen aus Politik und Medien eingebunden. Gab es Personen, die ihr unbedingt dabeihaben wolltet, die aber abgesagt haben?
Der Dreh zur Serie fand während des Wahlkampfs im Januar/Februar 2025 statt. Gern hätten wir noch mehr Politiker:innen im Interview gehabt – viele haben sich aber gerade wegen des Wahlkampfs dagegen entschieden und wollten sich nicht zum „Kanzlerkandidaten“ Scholz äußern.

Welche Rolle spielte der internationale Blick auf Scholz? Gab es Unterschiede in der Wahrnehmung zwischen Deutschland und anderen Ländern?
Natürlich ist die Wahrnehmung von Scholz im Ausland in Teilen eine andere – die Erwartungen an ihn sind auch ganz andere als die der deutschen Bürgerinnen und Bürger. Einblicke in die internationale Perspektive gibt in unserer Serie die britische Journalistin Kate Connolly. Im Vordergrund der Serie steht aber sicherlich die deutsche Perspektive.

Die Serie ist als dreiteilige Doku aufgebaut. War das Format von Anfang an so geplant oder habt ihr beim Schnitt festgestellt, dass mehr oder weniger Episoden besser gewesen wären?
Wie auch bei den anderen Produktionen im Format der «Schicksalsjahre» war von vornherein klar, dass es ein serielles Format sein sollte, mit relativ kurzen Folgen von ca. 20-30 Minuten, weil das für das Mediathekspublikum gut funktioniert. Bereits während der Konzeptphase haben wir, gemeinsam mit den produzierenden Sendern rbb, NDR und SWR, entschieden, dass aus unserer Sicht eine Dreiteilung gut funktioniert: Von Scholz Anfängen in der Politik, über seine Hamburger Jahre bis zu seiner Zeit als Bundeskanzler. Das wurde auch im Schnitt nicht in Frage gestellt. Das Schöne an Serien, die in erster Linie für die Mediathek gedacht sind, ist, dass wir bei der Länge der einzelnen Folgen nicht so genau festgelegt sind wie bei linearen Sendungen. Hier können wir im Schnitt ausprobieren, wieviel Zeit es braucht und wie lange die Geschichten jeweils tragen.

Scholz wurde oft als „Besserwisser“ bezeichnet. Würdet ihr nach euren Recherchen sagen, das ist ein Mythos oder Realität?
Scholz hat definitiv ein Faible für Wissen – das erzählen auch einige unserer Interviewpartner:innen. Er äußert sich gern präzise und rational, gilt vielen als Technokrat und scheut nicht davor zurück, seine Standpunkte kompromisslos zu verteidigen. Durch seine knappen und argumentativ starken Statements wird er schnell als unnahbar oder überheblich wahrgenommen. Auf manche wirkt er dadurch sicherlich belehrend und besserwisserisch, während andere ihn als verlässlichen, sachorientierten Politiker schätzen.

Gibt es einen Moment in der Doku, der Scholz in einem völlig neuen Licht zeigt?
Ich persönlich wusste vor der Arbeit an der Serie tatsächlich sehr wenig über seine jungen Jahre – und finde, dass es sich schon allein deshalb lohnt, die Serie anzuschauen!

Wenn Scholz die Doku sehen würde – wie, denkt ihr, würde er darauf reagieren?
Der Ansatz der Serie ist es, kritisch, humorvoll, mit leichter Ironie zu erzählen, aber auch vielstimmig über ihn zu berichten und ihn aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Ob er sich in dem Porträt wiedererkennt? Ich hoffe es!

Vielleicht äußerst er sich eines Tages?

«Olaf Scholz – Schicksalsjahre eines Kanzlers» in der ARD Mediathek abrufbar. Der SWR zeigt die Dokumentation am Donnerstag, den 20. März, um 23.30 Uhr.

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