Interview

Uwe Lothar Müller: ‚Savita hatte ein Kriegstagebuch geschrieben‘

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«Ukraine: Ein Engel aus Deutschland» ist am Samstag in der «arte Reportage» zu sehen. Im Mittelpunkt steht eine freiwillige Sanitätssoldatin, die Ende Januar 2024 getötet wurde.

Hallo Herr Müller, Ihre Reportage «Ukraine: Ein Engel aus Deutschland» ist nur wenige Tage alt. Was erwartet uns?
Es ist eine Reportage, die sich auf die Spuren von Savita Diana Wagner begibt, einer deutschen freiwilligen Sanitätssoldatin, die fast zwei Jahre an der Front in der Ukraine gegen den russischen Aggressor kämpfte, bis sie am 31.01.2024 im Einsatz getötet wurde. Wir begleiten ihre Mutter Ula Wagner und ihren Ehemann Karl Stenerud zum ersten Jahrestag ihres Todes an ihr Grab in die Ukraine. Sie liegt dort, um ihren Kameradinnen und Kameraden nahe zu sein. Wir treffen dort Kämpfer aus ihrer Einheit, die über sie reden und fahren an einen Einsatzort von Savita, ein bis heute noch immer von der russischen Armee zerstörtes Dorf hinter Charkiw.

Wie sind Sie auf die Geschichte von Savita Diana Wagner aufmerksam geworden, und was hat Sie daran besonders bewegt?
Die sozialen Medien berichteten vor einem Jahr über ihren Tod, ebenso die Deutsche Welle, einige Regionalzeitungen bei Halle, ihrem letzten Wohnort und in Bonn, wo sie geboren wurde. Mich beeindruckt bis heute sehr, wie fest entschlossen Savita sich entschied, als Deutsche in Europa gegen Russland zu kämpfen, weil sie die Werte der Europäischen Union verteidigen wollte: Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Völkerrecht... Und dabei ihr Leben riskierte und verlor.

Was glauben Sie, hat Savita dazu bewogen, ihr sicheres Leben in Deutschland aufzugeben und sich freiwillig in den Ukraine-Krieg zu begeben?
Die Empörung über den Angriff Russlands auf die Ukraine und damit auch auf Europa. Sie war dort zunächst freiwillige Helferin, fuhr für Journalisten und für NGOs. Die Massaker der russischen Armee in Butscha erschütterten sie tief und veranlassten sie dann, eine zweimonatige Militärausbildung zu machen, um als Sanitätssoldatin an die Front zu gehen. Sie hatte in Deutschland bereits ein paar Semester Medizin studiert, deshalb lag es für sie nahe, dort als Combat Medic zu arbeiten.

Wie haben Sie sich der Recherche genähert? Gab es besondere Herausforderungen bei der Aufarbeitung ihres Lebens und ihres Einsatzes?
Dies war meine allererste Reportage über einen Menschen, der bereits gestorben war, mit dem ich also nicht mehr reden konnte. Savita hatte ein Kriegstagebuch geschrieben, gut 800 Seiten mit Fotos, das habe ich erst einmal gelesen. Dann hatte sie während der Zeit in der Ukraine fotografiert und gefilmt. All das stellten mir Savitas Mutter Ula Wagner, ihr Mann Karl Stenerud und ihr Freund Mark Viani zur Verfügung.

Hatten Sie Gelegenheit, mit Savitas Familie oder engen Vertrauten zu sprechen? Welche Erinnerungen an sie haben Sie besonders berührt?
Selbstverständlich traf ich mich zuerst mit ihrer Mutter Ula Wagner und Savitas Ehemann Kar Stenerud zu einem ersten Kennenlernen, um darüber zu reden, ob wir überhaupt mit ihnen drehen durften. Mich hat schon beim ersten Treffen sehr beeindruckt, wie tief die Verbindung zwischen den Dreien ist, zwischen Ula, Karl und Savita. Und wie sehr die beiden wollten, das Savitas Geschichte, ihr Vermächtnis, nicht vergessen wird.

Savita hat hunderte Seiten über ihren Alltag im Krieg geschrieben. Wie viel konnten Sie aus diesen Aufzeichnungen für die Reportage verwenden, und wie prägen sie das Bild, das der Film von ihr zeichnet?
Ich habe für die Reportage neun besonders eindrückliche Zitate herausgesucht, die von einer Sprecherin gelesen werden. Sie erzählt darin von den Gründen ihres Engagements, von ihren Erlebnissen an der Front und wie es ihr persönlich ging in diesen knapp zwei Jahren. Hinzu kommen Videos und Fotos von Savita aus der Zeit ihres Einsatzes an der Front. Auf diese Weise kommen wir dem Menschen Savita sehr nahe.

Die Reportage beleuchtet nicht nur Savitas Geschichte, sondern auch ihr Vermächtnis. Was hat Sie persönlich an ihrer Geschichte am meisten beeindruckt oder vielleicht sogar verändert?

Ich frage mich seit meinem Wehrdienst in der Bundeswehr vor 45 Jahren, wozu ich wirklich bereit wäre, falls Deutschland oder ein Land in der EU und damit unsere Heimat angegriffen würde. Und am meisten beeindruckt hat mich, dass Savita diese Frage für sich ohne viel Zögern beantwortet hat. Sie sagte zu ihrer Mutter, nur wenige Wochen vor ihrem Tod, dass sie in der Ukraine die Freiheit Europas verteidige.

Sie waren für die Reportage an mehreren Schauplätzen – von Deutschland bis zur Ukraine. Welche Eindrücke haben Sie dort gewonnen?
Die Ukraine ist ein Land in Europa, das sich in den letzten Jahren sichtlich sehr verändert hat. Kyiv wirkt heute wie jede andere große europäische Stadt, die tristen Spuren der sowjetischen Vergangenheit sind nicht mehr zu sehen. Due Ukrainerinnen und Ukrainer hoffen sehr auf die Unterstützung der Europäische Union, vor allem nach dem Verrat durch die USA unter Trump. Wenn Putin dort siegt, wird es finster für die EU.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von diesem Film? Soll er eher informieren, zum Nachdenken anregen oder vielleicht sogar eine politische Debatte anstoßen?
Die Reportage versucht, das Leben von Savita Diana Wagner zu zeigen, in einem kleinen Ausschnitt von 24 Minuten über die gut zwei Jahre, die sie für die Ukraine kämpfte. Mich hat ihr Schicksal und ihr Engagement sehr berührt und zum Nachdenken angeregt. Vielleicht geht es den Zuschauerinnen und Zuschauern ähnlich. Das wäre schon viel, denke ich.

Die Reportage wird im Rahmen der letzten Sondersendung von „1000 Folgen ARTE Reportage“ ausgestrahlt. Sehen Sie das als eine Art Vermächtnis?
Vermächtnis klingt nach Abschied. Nein, wir haben nach 21 Jahren ARTE Reportage noch sehr viel vor uns. Wir haben uns entschieden, die Reportage über Savita zu drehen und zu senden, weil wir zur 1000. Sendung auch über das besondere Engagement von Menschen berichten wollten. Das Motto dieser Sendung lautet: Der Traum von einer besseren Welt. Dafür hat Savita gekämpft und dafür ist sie gestorben. In dieser Sendung berichten wir außerdem über die Lage der Frauen in Afghanistan unter dem Regime der Taliban. Da geht es um die Macherinnen eines Radios von Frauen für Frauen, das von den Taliban gerade verboten wurde. Auch diese Frauen engagieren sich für eine bessere Welt.

Nach einem so eindringlichen Film – gibt es bereits neue Themen, an denen Sie arbeiten, oder Projekte, die Sie in Zukunft umsetzen möchten?
Gute Frage, angesichts der Lage der Welt in diesen beängstigenden Tagen. Als Babyboomer, dem die USA viele Jahrzehnte lang in mancherlei Hinsicht ein Vorbild waren, schaue ich, wie alle anderen, gebannt und erschreckt auf das, was dort gerade politisch zerschlagen wird. Was daraus wird … ich recherchiere gerade …

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Spezial 1000ste - Afghanistan, Ukraine: Der Traum von einer anderen Welt» mit dem Dokumentarfilm « Ukraine: Ein Engel aus Deutschland» ist am Samstag, den 29. März, um 17.25 Uhr bei arte zu sehen.

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