
Nagel setzt sich mit aktuellen Forschungen der Moralpsychologie, der Kognitionswissenschaft und der Evolutionären Psychologie auseinander, die unseren Zugang zu moralischem Wissen und die Rolle, die Gefühle dabei spielen, empirisch untersuchen. Solche subjektivistischen und reduktionistischen Vorstellungen von Moral können ihn jedoch nicht überzeugen - eine Alternative bietet der moralische Realismus. Dieser sieht sich allerdings mit dem historischen Wandel der Moral konfrontiert, die nicht die zeitlose Gültigkeit wissenschaftlicher Wahrheiten besitzt. Moralische Wahrheiten sind vielmehr in ganz spezifischer Weise an historische Entwicklungen gebunden, wie Nagel in diesem ebenso konzisen wie tiefschürfenden Buch zeigt.
„Moralische Gefühle, moralische Wirklichkeit, moralischer Fortschritt“ besteht aus zwei Aufsätzen, die thematisch miteinander verbunden sind und Fragen behandeln, die den Autor seit geraumer Zeit beschäftigen. Beide Aufsätze befassen sich mit der Theorie der moralischen Erkenntnis und den Mitteln unseres Zugangs zur moralischen Wahrheit, sie befassen sich mit dem moralischen Realismus und dem Widerstand gegen subjektivistische und reduktionistische Zugänge zur Moral, und in beiden geht es um die historische Entwicklung der moralischen Erkenntnis. Zuerst gab es nur den ersten Aufsatz „Bauchgefühle und moralisches Wissen“, aber 2015 hielt er einen Vortrag über den ursprünglichen ersten Aufsatz und machte gegen Ende einige Bemerkungen zum moralischen Fortschritt, zu denen später in der Diskussion eine Frage kam, und so kam ihm die Idee, dass er mehr darüber sagen müsse. Das Ergebnis war der zweite Aufsatz „Moralische Realität und moralischer Fortschritt“. Auch der erste Aufsatz hat sich im Laufe der Jahre durch Kommentare und Kritik weiterentwickelt, so dass er heute in seiner jetzigen Form vorliegt.
Der zweite Aufsatz schlägt einen Ansatz zur historischen Entwicklung der moralischen Wahrheit vor, demzufolge sie nicht die Zeitlosigkeit der wissenschaftlichen Wahrheit teilt. Dies liegt daran, dass moralische Wahrheit auf Gründen beruhen muss, die allen Individuen, für die sie gilt, zugänglich sein müssen, und dass diese Zugänglichkeit von historischen Entwicklungen abhängt. Daraus folgt, dass nur wenige Fortschritte in der moralischen Erkenntnis Entdeckungen dessen sind, was schon immer wahr war.
Das Buch erscheint voraussichtlich am 24. Februar 2025 zum Preis von 23,00 Euro als Hardcover im Suhrkamp Verlag und wurde von Karin Wördemann aus dem Amerikanischen übersetzt. Geschrieben hat es der Autor Thomas Nagel. Er wurde 1937 geboren und ist Professor Emeritus für Philosophie und Recht an der New York University. Er ist Fellow der American Academy of Arts and Sciences und Corresponding Fellow der British Academy. Im Jahr 2008 erhielt er den Rolf-Schock-Preis für Philosophie und den Balzan-Preis. Sein Buch „Geist und Kosmos“ war ein internationaler Bestseller.
Auch die Los Angeles Review of Books findet, Thomas Nagel sei eine wichtige humanistische Stimme in der Moralphilosophie. Außerdem schrieb The Times Literary Supplement: „Sein neues Buch wird von einem Gedanken geleitet, der sich wie ein roter Faden durch Nagels philosophisches Werk zieht: die bewusste Perspektive des Individuums ernst zu nehmen.“
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