Susanne Utzt: Statt HistorikerInnen alte Konflikte analysieren zu lassen, wollten wir AkteurInnen sprechen lassen, die aus ihrer eigenen Erfahrung berichten können.
Jobst Knigge: Es gibt etwas, was die Wissenschaft „Intractable Conflicts“ nennt, kaum lösbare Konflikte. Mit denen haben wir uns intensiv beschäftigt – nicht nur den aktuellen, auch mit den Konflikten aus der Geschichte. Wichtig für unseren Film ist: alle Protagonisten haben selbst an hochkomplizierten Verhandlungen teilgenommen.
Der Titel Ihres Films stellt eine fast philosophische Frage: «Wie Kriege enden und Frieden möglich ist». Gab es für Sie während der Dreharbeiten einen Moment, in dem sich eine überraschend einfache oder radikale Antwort andeutete?
Jobst Knigge: Es gibt in der Friedensbildung keine einfachen Antworten. Das radikale ist die Ernsthaftigkeit, mit der sich alle Frauen und Männer der Lösung ihrer Konflikte gewidmet haben. Es war beeindruckend und berührend, diese Menschen zu treffen.
Cristina Trebbi: Oft sind die einfachen Aussagen die komplexesten und hängen nach: Dass wir Frieden mit unseren Feinden, nicht mit unseren Freunden schließen oder das man für erfolgreiche Verhandlungen die Sprache ändern muss, in der mit- und übereinander redet.
Viele Menschen denken bei Friedensprozessen an große diplomatische Bühnen – Ihr Film aber bringt auch Menschen vor die Kamera, die im Schatten dieser Prozesse gearbeitet haben. Warum war Ihnen dieser multiperspektivische Zugang so wichtig?
Susanne Utzt: Frieden wird nicht auf großer Bühne gemacht. Verhandelt wird sehr oft im Geheimen, in mühsamen, manchmal jahrelangen Gesprächen. Es gibt unzählige Filme und Bücher über Kriegshelden, wir wollten endlich den Friedenshelden ein Denkmal setzen.
Cristina Trebbi: Hinzu kommt, dass die große Bühne eher hinderlich ist für den Erfolg von Gesprächen. Wir haben gelernt: zu viel Aufmerksamkeit, behindert einen erfolgreichen Dialog.
Mit welchen Herausforderungen war das Team konfrontiert, wenn es darum ging, hochrangige Persönlichkeiten wie Juan Manuel Santos oder Cyril Ramaphosa für persönliche Aussagen zu gewinnen?
Jobst Knigge: Die Präsidenten Santos und Ramaphosa stehen beide für erfolgreiche Verhandlungen, denen fiel es nicht schwer, persönlich zu werden. Der ehemalige israelische Außenminister Shlomo Ben Ami oder die Afghanin Fatima Gailani mussten von ihren Scheitern berichten. Das ist schwierig. Aber sie machen es, weil sie noch immer an Frieden glauben.
- © privat
Susanne Utzt, Jobst Knigge, Christina Trebbi
Der Film blickt auch auf gescheiterte Prozesse wie in Afghanistan oder beim Camp David II-Abkommen. Gibt es aus Ihrer Sicht dennoch wertvolle Erkenntnisse aus diesen gescheiterten Versuchen?
Jobst Knigge: Lernt man aus Fehlern nicht oft mehr als aus Erfolgen? Diese beiden Prozesse zeigen, wie wichtig eine gute Strategie ist. Unsere Protagonisten sprechen alle vom „Endgame“. Was ist „das letzte Spiel“ - das Ziel? Das bedeutet nicht das optimale Ergebnis, sondern einen Kompromiss, der gerade so ausreicht, um sich zu einigen.
In einer Zeit, in der Kriege medial oft als „unlösbar“ dargestellt werden – was kann Ihr Film beitragen, um dieses Gefühl von Ohnmacht aufzubrechen?
Susanne Utzt: Genau dieses Wort „unlösbar“ in Frage zu stellen. Jeder Konflikt ist lösbar. Es erfordert nur sehr viel Demut, Optimismus und Mut, eine Lösung zu finden. Der Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos sagt, Frieden zu schaffen ist sehr viel schwieriger als Krieg zu führen.
Cristina Trebbi: Und man braucht Geduld, viel Geduld und Hoffnung. Denn „Hoffnung“, das sagt auch Santos, ist ein großer Motivator.
Viele Konflikte sind tief emotional aufgeladen – mit historischen Wunden und Traumata. Wie gelingt es, diese Emotionen in einem sachlichen Dokumentarfilmformat abzubilden, ohne sie zu instrumentalisieren?
Jobst Knigge: Das ist bei so einem Thema immer eine Gradwanderung. Wir haben versucht, in den Konflikten keine Position zu beziehen, außer der, dass wir Krieg immer für die falsche Lösung halten.
Cristina Trebbi: Wir haben versucht, ein optimistisches Ende zu finden, das aber realistisch ist - angesichts all der Konflikte, die uns zurzeit umgeben.
Sie sprechen davon, dass „Frieden eine Kunst und harte Arbeit“ sei. Was war für Sie persönlich das eindrücklichste Beispiel für diese Aussage während Ihrer Recherche?
Jobst Knigge: Es ist uns früh in der Recherche gelungen, Sergio Jaramillo als Fachberater zu gewinnen. Jaramillo ist der Architekt des kolumbianischen Friedensprozesses und arbeitet seit einigen Jahren international als Berater bei Friedensverhandlungen. Sergio hat viele Jahre beinahe täglich mit Guerilleros der FARC verhandelt. Immer wieder über das gleiche, immer weiter nach Lösungen und Kompromissen gesucht. Die hohe Kunst der Diplomatie ist genau das – nicht aufzugeben.
Susanne Utzt: Für mich waren am eindrücklichsten die Menschen, die selbst Familie in den Konflikten verloren haben und die sich trotzdem gegen Rache und für Frieden entscheiden. Die trotz ihrer Schmerzen und Verluste aus der Dynamik von Auge-um-Auge, Zahn um Zahn aussteigen. Das ist wirklich harte emotionale Arbeit.
Hat sich durch die Arbeit an diesem Film Ihre Sichtweise auf aktuelle geopolitische Konflikte – etwa den Krieg in der Ukraine oder in Gaza – verändert oder differenziert?
Jobst Knigge: Ukrainer und Russen, Israelis und Palästinenser propagieren alle einen Sieg. Den wird es nicht geben. Der 8. Mai 1945 ist eine Ausnahme, nicht die Regel. Kriege enden fast immer mit einem Kompromiss. Den gilt es auch in den aktuellen Konflikten zu finden.
Cristina Trebbi: Früher hätte ich gesagt, mit den Taliban oder der Hamas würde ich mich nie an einen Tisch setzen. Das sehe ich heute ganz anders. Wir müssen mit den Feinden in einen Dialog treten.
Ein Schlüsselthema Ihres Films ist der Dialog zwischen Feinden. Haben Sie bei Ihren Gesprächen erlebt, wie Dialog trotz tiefem Misstrauen entstehen kann – und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
Jobst Knigge: Thema des Films sind Verhandlungen zwischen Israel und Palästinensern im Jahr 2000 im Camp David. Unsere tollen Producer haben bei der Clinton Library hunderte „Behind the Scenes“ Fotos dieser Verhandlungen entdeckt. Die zeigen sehr eindrücklich, was alle unsere Protagonisten erzählt haben: Nähe schafft Dialog. Die Männer und Frauen flippern, essen miteinander, gehen spazieren. Man muss sich treffen, um Vertrauen aufzubauen. Der heutige Präsident Südafrikas Cyril Ramaphosa ist mit seinem Konterpart der Apartheid Regierung Roelf Meyer angeln gegangen. Heute sind die Freunde.
Cristina Trebbi: Sergio Jaramillo sagt im Film, es ist nicht das Vertrauen, was Menschen verhandeln lässt, sondern die Verhandlungen schaffen überhaupt erst Vertrauen. Das fand ich sehr klug: Vertrauen ist eine Folge, keine Voraussetzung.
Inwiefern war die visuelle Gestaltung – von Archivmaterial bis zur Kameraführung – für Sie ein erzählerisches Mittel, um den Bogen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Friedens zu spannen?
Jobst Knigge: Wie sind Filmemacher. Die visuelle Gestaltung ist für uns immer zentral. Wir wollten die „Friedenshelden“ in den Mittelpunkt stellen – und den Kriegsbildern durch wunderschöne Naturaufnahmen etwas entgegenstellen.
Cristina Trebbi: Letztere dienten auch dazu, Ruhe zu schaffen. Die 90 Minuten sind voller Informationen und Emotionen, da braucht man auch mal Momente, alles nachklingen zu lassen.
Zum Abschluss: Wie kann der Krieg zwischen Russland und der Ukraine beendet werden und wie ist Frieden möglich?
Jobst Knigge: Es gibt keine vernünftige Alternative zu Optimismus. Der Krieg wird enden mit einem Kompromiss. Da die Amerikaner als ernstzunehmende Vermittler derzeit ausfallen, liegt es vor allem an den Europäern, die Ukrainer dabei zu unterstützen, dass dieser Komrpomiss nicht zu sehr zu ihren Lasten ausfällt.
Vielen Dank für das sehr ausführliche Gespräch!
«Wie Kriege enden und Frieden möglich ist» ist am Dienstag, den 22. April 2025, um 20.15 Uhr bei arte zu sehen.
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