Hingeschaut

«Experte für alles»: Es beginnt mit einem Missverständnis

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Late Night ist tot, lang lebe Late Night – getarnt als Service-Magazin. Der Auftakt der neuen ProSieben-Show «Experte für alles» hätte besser sein können, blieb doch einiges Potential ungenutzt. Das lässt zumindest hoffen.

Die Aufregung war groß, als Thomas Schmitt, seines Zeichens "Power-Schmitt" und Geschäftsführer von Florida Entertainment, im Podcast «Baywatch Berlin» die Contenance verlor, als seine Podcast-Kollegen Klaas Heufer-Umlauf und Jakob Lundt, gemeinsam verantwortlich für die neue ProSieben-Sendung «Experte für alles», erklärten, dass sie über die Osterfeiertage für einen Kurzurlaub verreisen würden. Das Osterfest fiel jedoch ausgerechnet in die Zeit zwischen zwei Aufzeichnungen der neuen Show, in der Klaas laut eigener Aussage „dem Publikum etwas zurückgeben“ wolle. Der Zuschauer werde sich nach einer Stunde ProSieben-Schauen endlich schlauer fühlen können als zuvor. Die erste Breitseite gegen den eigenen Sender war also schnell verteilt.

Zunächst wirkten Thomas Schmitts Sorgen unbegründet. Klaas betrat unter den Klängen von Andy Williams‘ „Happy Heart“ die beeindruckende Studio-Bühne, die in einem warmen Braunton gehalten und laut Off-Stimme in Santa Teresa, Costa Rica, angesiedelt sei. Man ging also gleich zu Beginn auf maximale Distanz zum düsteren Studio des Show-Vorgängers «Late Night Berlin». «Experte für allles» will spürbar anders sein, freundlicher und leichtfüßiger. Klaas bezeichnete das Studio als „Bildungseinrichtung“, nach einer Ära, in der er nur genommen habe. Der sich stets um sich selbst kreisende Late-Night-Kosmos war durchbrochen. Erkenntnisgewinn lautete die Gunst der Stunde.

Dafür hatte sich Klaas Heufer-Umlauf möglichen Erkenntnissen künstlich ferngehalten, er wüsste nicht, was auf ihn zukomme. Nach einer spritzigen knapp dreiminütigen Anmoderation ergriff Klaas die Moderationskarten, an denen er sich durch 53 Minuten Sendezeit ziehen lassen wollte. Es kommt zum „großen Cannabis-Test“, in dem die Ware von Apotheken mit illegalem Dealer-Stoff verglichen wird. Selbst Klaas musste angesichts dieses Voll-auf-die-Zwölf-Themas verlegen schmunzeln. An einem übergroßen Tresen stehend las Klaas seine Moderation vor. „Okay, das ist das Thema“, sagte Klaas mit fragendem Blick ins Publikum. Die mit Namensschildern ausgestatteten Studiozuschauer sollen wohl grundsätzlich in «Experte für alles» einbezogen werden. Beim Thema Drogen brauchte es jedoch eine Zensur-Brille und Stimmenverzerrer, um jemanden zum Kurz-Interview breitschlagen zu können.

In Markus-Lanz-«Wetten, dass…?»-Manier saß Klaas auf einem Sofa mit dem Rücken zum Publikum vor einem großen Fernseher, um sich den Einspieler zum großen Cannabis-Test zu Gemüte zu führen. Aufgrund seiner „Unvoreingenommenheit“ hatte der Moderator die zu beantwortende Frage des Beitrags bereits wieder vergessen. An der Kamera vorbeischielend stammelte er die Fragestellung letztlich doch noch zusammen. Während der Beitrag lief, hatte Klaas die Möglichkeit zu unterbrechen, um mögliche Pointen zu setzen. Der Beitrag glich einem herkömmlichen Servicemagazin-Beitrag, vermeintliche lustige Straßenumfrage mit ahnungslosen Passanten inklusive. Reporter Basti bestellte online Cannabis aus der Apotheke. Begleitet wurde der Prozess von einer äußerst monotonen Stimme aus dem Off, die darauf abzielt, den Ton eines Wissensmagazin zu wahren.

Die gezeigten Mitarbeiter waren aber aus dem «Late Night Berlin»-Kosmos bekannt und stehen folglich nicht gerade für seriösen Journalismus. Das schaffte automatisch eine gewisse Fallhöhe. Neben den eigenproduzierten Bildern verwendete Florida Entertainment auch Szenen einer NDR-Sendung, die mit einem Suchtexperten gesprochen hatte, der auf Gefahren des Cannabis-Konsums hinwies. Dann aber ging es weiter mit der Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie man leicht an legales Cannabis gelangt. Für die Beschaffung des illegalen Bubatz hat die Redaktion den Görlitzer Park in Berlin, den wohl bekannteste Drogenhotspot Deutschlands, ausgewählt. Die Wahl des Görlitzer Parks mag auf der Hand liegen, wirkte aber im Umfeld einer vermeintlich in Costa Rica produzierten Sendung seltsam. Der gesamte Beitrag war ohnehin an Absurdität kaum zu überbieten, sodass dieses Detail ohnehin egal war.

Verglichen wurden die Kategorien Verfügbarkeit, Service, Preis, Geschmack und Wirkung. Die Stimme aus dem Off betete minutenlang in absurd verharmlosenden Formulierungen vermeintliche Fakten runter ("Das Angebot von Kokain und Cannabis im Paket ist illegal und enthält womöglich versteckte Kosten"), die zwar ein lustiges Bild ergaben, allerdings ohne echte Pointe blieben. Auch Klaas vermied es das Bild zu unterbrechen. Passierte es doch, hinterfragte er seine Redaktion: „Wart ihr wirklich im Park und habt das Zeug gekauft? Und warum sieht Basti so aus, als hätte er 2007 bei «DSDS» mitgemacht?“ Mit einem geseufzten „oh Gott, ey“ drückte Klaas die Play-Taste. Immer wieder wurde er eingeblendet, wie er den Beitrag schaute. Klaas fühlte sich in seiner Rolle sichtlich unwohl. An dieser Stelle verschenkte «Experte für alles» großes Potential, es fehlten schlicht die Pointen. Daran lässt sich in den kommenden Jahrhunderten aber sicherlich arbeiten, möglicherweise hilft an dieser Stelle auch etwas Vorbereitung, damit Klaas nicht immer völlig ins Blaue hinein scherzen muss. Am Ende durfte er wieder eine seiner Moderationskarten vorlesen, was zum wohl größten Erkenntnisgewinn des Abends führte. Cannabis aus der Apotheke werde streng nach EU-Richtlinien kontrolliert (O-Ton Klaas: „So isses wohl“), die Drogen von der Straße seien nach Laboruntersuchung hingegen durchsetzt von zahlreichen anderen Stoffen wie gefährliche Pestizide, Haarspray, Kokain, MDMA, Ketamin, Crystal Meth, Influenza, Rhinovirus, Covid-19, E-Coli-Bakterien und menschliche Exkremente.

Nach einem Fazit war nun Palina Rojinski, bekannt aus «MTV Home», «Neo Paradise» und «Circus HalliGalli» und «Late Night Berlin», zu Gast. Es ging um die Körpersprache der Stars und die übergeordnete Frage, wie man erfolgreich mit Körpersprache wird. Letztlich war das rund zehnminütige Segment eine ausgereifte Version des «Baywatch Berlin»-Podcast-Segments „Checker-Frage“. Körpersprache-Experte Levin Hahne erklärte zunächst die Grundsätze positiver Körpersprache und stellte einige Beispiele aus der Welt der Hollywood-Stars vor wie Zendaya und Tom Brady. Eine echte Chemie entwickelte das Trio nie. Auch nicht, als sie eine Situation aus dem Büroalltag nachstellen sollten. Der Erkenntnisgewinn ging gen Null. Das Problem lag darin, dass Klaas die Bullshit-Buzzwords nur innerlich zu hinterfragen schien, seine Kritik aber nie offen auslebte. So konnte die Szene nie wirklich eskalieren.

Die Übergänge zwischen den einzelnen Segmenten wollten so gar nicht gelingen, vor allem, weil Klaas eben nicht über den Ablauf der Sendung informiert gewesen scheint. Nach dem Studio-Segment folgte ein Einspieler, wie viel Geld man als trügerischer Straßenmusiker verdienen kann. Die witzige Idee verdient Anerkennung, der Beitrag hing leider vollkommen in der Luft. Zum Abschluss der Sendung fuhr Überraschungsgast Shirin David, aktuell auf Deutschland-Tour, mit dem Ferrari ins Studio. Wie Stefan Raab im Auftakt von «Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab» sollte Klaas passend zum Osterfest („von O bis O“) Reifen wechseln. Nachdem die Rapperin den Wagen aufgebockt und zwei Schrauben gelockert hatte, durfte sie in beste Late-Night-Manier noch verkünden, dass sie in der kommenden «The Voice»-Staffel dabei sein werde. Außerdem cremte Shirin David Klaas Heufer-Umlauf die „hart arbeitenden Hände“ mit ihrer bei DM erhältlichen „Creamy Blueberry Caramel Bliss“ Körperbutter ein. Zu mehr als einer festgezurrten Schraube war dann keine Zeit mehr.

Klaas Heufer-Umlauf beendete vor einem Monat «Late Night Berlin», weil er das Genre als überholt empfand. Seine neue Show ist eine Parodie auf ein Service-Magazin. Dieses Genre mutet durchaus neu an, wirkte zum Auftakt aber noch wie ein Missverständnis – zwischen Moderator und Redaktion, zwischen Erwartung und Inhalt. Letztlich war es keine klassische Late-Night-Show mehr. So sehr man sich von der Versuchsanordnung Late-Night zu lösen versuchte, erinnerte der Ablauf von «Experte für alles» mit den Einspielern und Gästen noch immer an den Geist von «Late Night Berlin». Dieser Geist mag im Laufe der Zeit verfliegen, das schafft man jedoch eher nicht, wenn man über die Feiertage die Füße hochlegt. Insofern scheint der Ärger von Thomas Schmitt durchaus berechtigt. Eines lässt sich festhalten: In der ersten Folge war es sicherlich nicht das Beste, dass der Moderator unvorbereitet und teils arg planlos an der Kamera vorbei zu moderieren versuchte.

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