Endemol Deutschland-Chef Borris Brandt sprach mit Quotenmeter.de über das schlechte Image von Reality-Formaten und möglichen Lösungen. Außerdem: Wie geht es mit «Deal or No Deal», «Wer Wird Millionär» und «Was denkt Deutschland» weiter?
Herr Brandt, «Wer wird Millionär» lockt immer noch Zuschauermassen an. Können Sie sich an eine Unterhaltungssendung erinnern, die über eine derart lange Laufzeit bei so hohem Ausstrahlungsrhythmus so erfolgreich war?
«Einer wird gewinnen» vielleicht. Auf jeden Fall ist es lange her.
Dann zählen Sie «Wer wird Millionär» also zu den ganz Großen der deutschen Fernsehgeschichte.
Ja.
Sie haben aber das Design der Sendung etwas verändert. Hat Ihnen das alte Design nicht mehr gefallen?
Mein Geschmack zählt gar nicht. Man muss hin und wieder mal etwas neu streichen und ein bisschen was verändern. Aber ich finde, dass es besser aussieht als vorher. Sonst hätten wir es ja auch nicht gemacht (lacht).
RTL hat die Ausstrahlungen allerdings reduziert – nur noch zwei anstatt drei Ausgaben pro Woche. Sichert man so eine lange Überlebensdauer des Formats?
Eigentlich ist ja alles wie immer. Es würde ohnehin keinen Sinn machen, am Abend zwei Eventshows zu zeigen. Erst «Wer wird Millionär» und dann «Deutschland sucht den Superstar» wäre zu viel des Guten.
2006 lief beides dennoch zusammen.
Die Anzahl der Folgen ist davon aber unberührt gegeben. Die neue Staffel von «Wer wird Millionär» umfasst genauso viele Folgen wie die vergangene.
Dann sehen Sie «Wer wird Millionär» also noch auf lange Zeit im deutschen Fernsehen?
Das ist ein Klassiker der Fernsehgeschichte. Das läuft immer. Ob irgendwann einmal die Anzahl der Folgen reduziert wird, weiß ich nicht – aber ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Sendung verschwinden wird.
Wie sehr beschäftigt es Sie aber, dass man nun nicht mehr grundsätzlich Marktführer ist?
Wir sind Marktführer.
Montags liegt in der Zielgruppe «CSI: NY» nicht selten vor Ihnen.
Die Werberelevanten tangieren mich überhaupt nicht. Die 14- bis 49-Jährigen sind zwar eine Maßeinheit, aber das Geld sitzt doch bei den Menschen über 50 Jahren. Das sind auch die Menschen, die mal neue Marken probieren.
Also ist die Zielgruppe für Sie nicht relevant?
Grundsätzlich schon. Aber nicht bei einem Format, das deutlich älter und erwachsener ist. «Wer wird Millionär» ist beim oberen Drittel sehr stark – das freut mich überaus.
«Deal or No Deal» lief im Sommer sehr erfolgreich bei Sat.1. Jetzt im Winter sah es in der Primetime am Mittwoch nicht mehr ganz so gut aus. In den USA hingegen ist die Show der absolute Renner – was ist in Deutschland anders?
Das hat vor allem damit zu tun, dass wir oft gegen die härtesten Gegner antreten müssen – eben weil «Deal or No Deal» so stark ist. Außerdem waren wir oft auch auf unterschiedlichen Sendeplätzen zu sehen. Am Samstag sind wir am Vorabend wirklich sehr erfolgreich.
Grundsätzlich muss man aber sagen, dass das Format in Deutschland eine ganz andere Geschichte hat. Erstmals war es bei uns mit Linda de Mol zu sehen, danach gab es eine lange Pause und erst langsam ist daraus das geworden, was «Deal or No Deal» heute ist. Momentan produzieren wir die vierte Staffel, mit der wir deutlich frischer daherkommen und insgesamt noch einmal einen drauflegen. Aber auch hier muss man sagen: Wenn man sich die Gesamtzuschauerzahl ansieht, sind wir sehr zufrieden.
Staffel vier wird frischer – was genau wird denn frischer? Die Koffer können Sie ja schlecht auswechseln…
Wenn man eine Sendung weltweit produziert, dann kann man sich vom Timing und den Abläufen immer noch etwas abgucken. Und das ist jetzt noch besser geworden. Außerdem wird es auch die eine oder andere Überraschung geben.
Was würden Sie denn machen, wenn ein Kandidat nach 10 Minuten einen Deal annimmt und meinetwegen mit 3000 Euro nach Hause geht?
Uns freuen, dass wir nur 3000 Euro verloren haben.
Dann würden also zwei Kandidaten in einer Show spielen?
Ja. Aber so etwas passiert einfach nicht. Die Kandidaten wollen schon den großen Koffer haben.
Sie haben auch «Was denkt Deutschland?» produziert und beide Staffeln liefen nicht wirklich gut. Wie geht es dort weiter?
Da hatten wir auch viele unterschiedliche Sendeplätze, das tut einem Format natürlich nicht gut. Wir justieren derzeit gemeinsam mit Sat.1 links und rechts ein bisschen und sind froh, dass wir dort gemeinsam bald erfreuliche Nachrichten haben.
Das heißt, es wird neue Folgen geben.
Davon gehe ich aus. Wie gesagt – wir arbeiten derzeit mit Sat.1 an dem Konzept.
In Holland gibt es ein Reality-Format, das in manchen Foren heiß diskutiert wird. Es heißt «De Goulden Kooi»…
Ja, das «Goldene Haus», das Ursprungsformat von «Big Brother».
Kurze Erklärung: Eine gewisse Anzahl von Personen lebt in einer Luxusvilla mit allem Drum und Dran. Golfplatz, edle Küche usw. Der Kandidat, der es am längsten in dem Haus aushält, bekommt eben diese Luxusvilla geschenkt. Ein interessantes Konzept – könnte es das «Goldene Haus» auch nach Deutschland schaffen?
Nein, auf keinen Fall.
Warum nicht?
Wir sind das einzige Land der Welt, das bereits Erfahrung gemacht hat mit einer „Never Ending Reality“-Show. Wir haben zwei Jahre lang «Big Brother» durchgehend gesendet und haben dort gesehen, was funktioniert und was nicht funktioniert. Das erste Jahr war wirklich sensationell und lief super – im zweiten Jahr sah es dann schon nicht mehr so gut aus. Stellen Sie sich jetzt mal das «Goldene Haus» vor: Es werden ja immer weniger Menschen in diesem Haus. Das kann ja auch mal auf vier Bewohner runtergehen. Wir haben die Erfahrung gemacht: Bis zu sechs Bewohnern ist alles ok, zwischen sechs und vier Leuten wird es kritisch und ab vier Leuten sieht kein Mensch mehr zu. Wenn jetzt diese vier Menschen eisernen Willen besitzen und nicht gehen wollen, dann kann das unter Umständen Jahre dauern, bis diese vier Leute aufgeben. Da hätten wir hinterher ein riesiges Problem – wir müssten das unter Umständen abbrechen und vier Häuser verschenken…
Aber in Holland funktioniert das?!
Das habe ich nicht gesagt.
Hat denn dann überhaupt ein anderes Reality-Format außer «Big Brother» in Deutschland eine Chance?
«Big Brother» ist das einzige Format, das es geschafft hat, über längere Zeit hinweg erfolgreich zu bestehen. Kein anderes Format lief zwei Jahre lang am Stück. Das zeigt schon, wie es um Reality in Deutschland steht. Aber ich glaube schon, dass auch andere Reality-Formate Erfolg haben können. Es kommt halt immer auf das Konzept an. Komischerweise ist Deutschland aber das einzige Land auf der ganzen Welt, in dem Reality so eine Art „Schmuddel-Image“ hat. Handwerklich im Übrigen genauso – also wer für «Big Brother» gearbeitet hat, ist nicht so toll wie jemand, der für «Superstar» gearbeitet hat. Dabei ist die Arbeit beim Großen Bruder wesentlich schwieriger als bei den «Superstars». Das ist ungerecht, aber es ist halt so. Mit diesem Image muss das gesamte Genre leben – ich kann da auch nichts ändern.
Sie werden doch nicht resignieren? Können Sie sich dieses negative Image überhaupt nicht erklären?
Naja, der Deutsche an sich sagt ja auch, er lese keine Bild-Zeitung. Die Engländer geben offen zu die „Sun“ zu lesen – und sie finden das auch lustig. Dort ist Trash einfach Teil der Tageskultur. Und das ist bei uns nicht der Fall. Die Deutschen haben einen pseudo-intellektuellen Anspruch an sich selbst, den sie aber eigentlich gar nicht halten können. Und so kommt es halt, dass Menschen sagen: „Mensch, der Zlatko weiß nicht mal wer Shakespeare ist“. Das war ja auch lustig, aber in England hätten die Menschen einfach darüber gelacht, weil es Trash ist und hätten vielleicht gesagt: „Ja, ich weiß auch nicht so genau, wer das ist.“ Aber fragen Sie heute doch mal die Deutschen: Einige wissen vielleicht, dass das ein Autor war, aber 90 Prozent der Menschen werden Ihnen nicht sagen können, wann er geboren und gestorben ist. Das ist aber typisch Deutsch.
Also passt das Genre einfach nicht zum typischen Deutschen. Oder gibt es noch andere Gründe?
Das hat aber auch viel mit der deutschen Fernsehgeschichte im Allgemeinen zu tun. Man geht ja oft sehr kleinkariert an Dinge heran. Man will nie Fehler machen, anstatt einmal neue und moderne Projekte anzustoßen, überlegt man sich viele Dinge fünfmal. Alle sind nur darauf bedacht, auf die Fehler der anderen zu schauen und jeder, der einmal Erfolg hatte - «Big Brother» war ein gigantischer Erfolg, hat Fernsehgeschichte geschrieben und hat im folgenden vielen Sendern die Slots kaputt gemacht – wird später verpönt. Sie sehen, das hat eine längere Geschichte – darüber könnte ich jetzt noch einige Zeit sprechen. Fakt ist: Das Image behindert uns, aber ich glaube durchaus, dass der Zuschauer Reality sehr gerne sieht, auch wenn es manche nicht zugeben. Sonst würde sich auch die Bild nicht so gut verkaufen und sonst würde auch niemand über Dieter Bohlen und seine peinlichen Aussagen sprechen. Bohlen ist ja mehr oder weniger auch Reality.
Aber «Big Brother» teilt doch irgendwie das gleiche Schicksal wie die Telenovelas. Wenn zwischen zwei „Geschichten“ zu wenig Abstand dazwischen ist, dann funktioniert die Neuauflage nicht mehr.
Ja, das stimmt. Wir haben «Big Brother 5» nach einer Pause ein Jahr lang on Air geschickt. Weil das so erfolgreich war, wollte der Sender unbedingt weiter machen und das lief dann nicht mehr so gut. Aber schön, dass endlich mal jemand sieht, dass nicht nur uns ein solches Schicksal ereilt. Zwei Staffeln ohne Pause hintereinander – das geht nicht. Man muss die Zuschauer atmen lassen und sie nicht von einer Sucht in die nächste treiben. Wenn ich gerade von einer Droge runter bin, will ich ja nicht sofort die zweite Droge zu mir nehmen.
Aber eines will auch ganz klar sagen. Alle meckern immer über «Big Brother 6». Im Verhältnis zum Slot-Schnitt danach war «Big Brother» ein großer Erfolg. Aber klar, mit dem was davor war, waren die Quoten nicht vergleichbar.
Vielen Dank für das Interview, Herr Brandt.