Manuel Weis über die unglaublichen Entwicklungen beim Berliner Fernsehsender. Wie viel Schuld trägt Chef Alberti?
Dem neutralen Beobachter fehlen für das, was derzeit in Berlin vor sich geht, eigentlich die Worte. Ausrufe wie „Unglaublich“ oder „Das kann doch nicht wahr“ sind bei Weitem nicht treffend. Was in Berlin bei Sat.1 geschieht, ist weder mit Anstand versehen noch nachvollziehbar. Da erfährt die Moderatorin des Magazins «Sat.1 am Mittag» während der laufenden Sendung von der Absetzung des eigenen Formats. Aber es kommt noch schlimmer: Bereits am kommenden Tag wird das Format ersetzt durch die Trash-Court-Show «Barbara Salesch».
Gut, zu behaupten, dass «Sat.1 am Mittag» kein Trash sei, wäre etwas mutig, aber dennoch ist es keine Art, Mitarbeiter auf diese Weise in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. All das, was die Verantwortlichen des Senders in Bezug auf Einsparungen gesagt haben, klingt in diesem Zusammenhang wie ein großer Witz. Diese solle es nämlich angeblich nicht geben, hieß es zunächst am Donnerstag. Am Dienstag verkündete Sendergruppenchef Posch, dass man alle Betroffenen mit "gebotener Fairness" behandele.
Im Zusammenhang mit den Massenentlassungen des Senders erscheint auch der Weggang von Thomas Kausch in einem gänzlich neuen Licht. Man hörte zwar, dass Kausch zuletzt nicht immer ein Top-Kandidat für den Mitarbeiter des Monats war, dennoch könnten die aktuellen Entwicklungen Aufschluss über die wahren Gründe seiner Entlassung geben. Aber zurück zu den mir nichts, dir nichts beendeten „Info-Formaten“. Sat.1-Chef Alberti fiel es sicherlich nicht leicht, den Mitarbeitern des Magazins ihre Kündigung näher zu bringen.
Ohnehin gleicht die Strategie des Senders einem unaufgeräumten Kinderzimmer. Da holt Ex-Boss Schawinski neue Leute, etabliert neue Formate und versucht so das Info-Image des Senders auf Vordermann zu bringen. Kaum sind diese Sendungen etabliert und zudem noch erfolgreich («Sat.1 am Mittag» drang in immer neue Höhen hervor), muss die Redaktion das Feld räumen. RTL ist mit allen seinen Formaten oftmals nur deshalb erfolgreich, weil man in Köln weiß, wie man das Wort „Kontinuität“ schreibt und was es bedeutet.
Es ist ein Armutszeugnis, das aber eigentlich zu Unrecht Albertis Namen trägt. Der neue Sat.1-Boss muss sich derzeit zum Spielball der Sendergruppe machen. Die Gruppe selbst wird aber von den neuen Mehrheitseignern umhergeschubst und irgendwo darin mischt auch Mister McKinsey mit. Man könnte sagen, dass die Gattung der McKinseys entfernt mit der Heuschrecke verwandt ist. Herr McKinsey betrachtet das Geschehen aus der Ferne, und gibt Unternehmen dann Tipps, wie sie effizienter arbeiten können. Dabei ist es ein böses Gerücht, dass diese Ratschläge nahezu immer identisch sind. So heißt es, McKinsey würde stets den einfachen Weg gehen und nach Abteilungen suchen, in denen man Menschen auf die Straße setzen kann.
Dass Alberti dieses Spiel mitspielen muss, dürfte dem Fernsehmacher selbst nicht gefallen. Aber er muss es tun: Zu groß ist wohl seine Angst, sonst selbst zum Feindbild der Sendergruppe und deren Eigentümer zu werden. Wie schnell man als Chef weg vom Fenster sein kann, hat Martin Hoffmann gezeigt, der sich nach der Übernahme von Hain Saban nicht so leicht beeindrucken ließ und mit seiner Art den Zorn von Ex-Gruppen-Chef Rohner auf sich zog. Alberti hat aber noch viel vor mit Sat.1: Tieferlegen will er den Sender. Dafür nimmt er wohl sogar in Kauf, dass Teile der Crew über Bord geworfen werden.
Ihn trifft also wohl die geringste Schuld: Dennoch muss er sich die Schuhe nun anziehen und den Kopf für die Entscheidungen hinhalten. Den Berlinern stehen keine einfachen Wochen bevor. Und selbst wenn der erste Sturm überwunden ist - das Image dürfte vorerst im Keller sein.