"Bekäme Deutschland in diesen Tagen einen neuen Außenminister, würde er vermutlich nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die sich nun auf die Gastgeberin einer sonntäglichen TV-Gesprächsrunde fokussiert." Das schrieb der ehemalige Sat.1-Chef Roger Schawinksi in dieser Woche über die Nachfolgerin von Sabine Christiansen und Last-Minute-Ersatz von Günther Jauch. Am Sonntagabend war es nun soweit - pünktlich im Anschluss an den «Tatort» ging Anne Will (Foto) auf Sendung.
Und zur Premiere haben es ihr die Politiker sicherlich nicht gerade einfach gemacht. Ein wirkliches Brennpunkt-Thema hat es in den vergangenen Tagen nicht gegeben. Die Folge war, dass erst am Freitag bekannt gegeben wurde, worüber zum Wochenausklang im Ersten diskutiert werden sollte. Eigentlich wollte man bereits zwei Tage früher mit dem Thema an die Öffentlichkeit gehen. "Rendite statt Respekt - Wenn Arbeit ihren Wert verliert" lautete schließlich der Aufmacher von Wills erster Talkshow-Ausgabe. Die Gefahr, die Menschen und deren Probleme aus den Augen zu verlieren - wie zuletzt häufig bei Christiansen geschehen -, konnte damit so gut wie ausgeschlossen werden.
Und auch mit den Gästen konnte Will eigentlich nichts falschen machen. Da war einerseits Telekom-Chef René Obermann, der mit der Arbeitsmarktpolitik seines Konzerns einige Angriffspunkte lieferte; auf der anderen Seite saß Landesbischöfin Margot Käßmann, die die menschliche Seite verkörpern und sich gegen die tief einschneidenden Pläne der "Großen" wehren sollte. Um es staatstragend zu machen, hatte sich Will außerdem SPD-Chef Kurt Beck und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgerns eingeladen.
Die beiden hielten letztlich sogar mehr, als man im Vorfeld von ihnen erwarten konnte. Zwar erzählten die Politiker nur selten Neuigkeiten - was bei politischen Talkshows auch so gut wie nie zu erwarten ist -, doch immerhin lieferten Beck und Rüttgers einige unterhaltsame Schlagabtausche, die manchen Zuschauer wohl noch einmal knapp vor dem Einnicken retteten. "So falsche Dinge hier zu erzählen, ist schon eine Zumutung", wetterte Beck mit Blick auf Rüttgers. Dieser konterte: "Wer nur die Hälfte dessen sagt, was in seinem Antrag steht, sagt auch nicht die Wahrheit." Die Betonung lag wohl auf dem Wörtchen "auch".
Letztlich konnte jeder Teilnehmer der Runde seinen Standpunkt deutlich machen - seien es die beiden Politiker-Streithähne, die für ihre Parteien warben oder eben Telekom-Chef Obermann, der sein Unternehmen fast schon zum Mitarbeiter-Paradies beschwor, obwohl Zehntausende in den letzten Jahren bei der Telekom ihren Job verloren. Denjenigen, die in Call-Centern des Konzerns arbeiteten, seien deutlich besser gestellt als Kerstin Weser, die zu Beginn der Sendung - abseits auf einem Sofa sitzend - über ihr geringes Einkommen und ihre Angst vor dem Gang auf Ämter klagte.
Moderatorin Anne Will hatte ihren besten Moment übrigens ganz am Ende, als sie dem SPD-Chef deutlich machte, dass seine Aussagen offenbar doch nicht ganz der Wahrheit entsprachen. Wehren konnte er sich nicht mehr, schließlich wollte Will unbedingt noch das in den vergangenen sechzig Minuten Erarbeitete zum Ausdruck bringen: Dass Arbeit mehr bringen muss als Geld - sie muss den Menschen Wertschätzung bringen. Das war zwar auch schon ganz am Anfang klar, aber nett war's meistens trotzdem. Eine gelungene, vielleicht etwas zu kuschelige Premiere, die den politischen Talk am Sonntagabend jedoch von einem Großteil des angesetzten Staubs befreien konnte. Sabine Christiansen hat man jedenfalls nicht vermisst. Und auch nicht Günther Jauch.