Die Kritiker

«Die Blaue Grenze»

von
Story
Momme hat seinen Vater tot aufgefunden. Nach dem ersten Schock reist er nach Flensburg um seinem zurückgezogenen Großvater die Nachricht zu überbringen. Dort lernt er die junge Dänin Lena kennen und eine zarte Verliebtheit entfacht. Doch bevor sie ihre Zuneigung zueinander richtig entdecken und erleben können, verlieren sie sich schon wieder aus den Augen. Aus der Ferne sehnen sie sich zueinander, bis sie endlich die Initiative ergreifen und versuchen den anderen wieder zu finden.

In zwei weiteren Handlungssträngen nimmt Polizist Poulsen seinen Abschied von seiner alten Dienststelle. Er wurde befördert und versetzt. Das macht ihn zwar stolz, aber schnell wird ihm klar, dass er dadurch umso isolierter wird. Die früheren Kollegen vermissen den Wichtigtuer jedenfalls nicht. Nur eine neue Nachbarin scheint sich aus ihren ganz eigenen Gründen für ihn zu interessieren. Der letzte Strang zeigt noch Mommes Großvater Bief, der vor der Trauer um seinen Sohn davonläuft und noch tiefer in seine schroff-nordische Art flüchtet.

Darsteller
Antoine Monot Jr. («Schwere Jungs») ist Momme Bief
Beate Bille («Island of Lost Souls») ist Lene
Dominique Horwitz («Shooting Dogs») ist Kommissar Poulsen
Hanna Schygulla («Auf der anderen Seite») ist Frau Marx
Joost Siedhoff («Begierde») ist Alter Bief

Kritik
Regisseuer Till Franzen gefällt es sichtlich im Bereich Arthaus Kino zu arbeiten. Traditionelle und vor allem straffe Erzählstrukturen kann er so links liegen lassen und sich ganz dem langsamen Erzeugen von Atmosphäre verschreiben. Nur übertreibt er es dabei maßlos, verliert Fäden der Handlung aus den Augen, weiß dann stellenweise sichtbar nicht weiter und wohin mit seinen Figuren. Er vermischt Elemente, die einfach nicht harmonieren wollen. Gerade letzteres schädigt die feinsinnig aufgebaute Stimmung der rauen Nordgrenze nachhaltig. Die wortkarge Begegnung von Momme und seinem Großvater lässt in jeder der raren Dialogzeilen und im subtilen Mienenspiel, der durchweg sehr guten Hautpdarsteller so viel vergrabenen Konflikt erahnen, dass es zunächst fesselt.

Hier hätte man ausbauen sollen. Doch stattdessen bleiben Szenen zwischen den beiden selten, die Vergangenheit wird kaum thematisiert und zur Häfte des Films scheint der Tod von Mommes Vater schon gar keine Rolle mehr zu spielen. Statt dramaturgischer Triebkraft bleibt vom starken Auftakt nur ein beliebiger Reiseanlass nach Flensburg. Mehr Raum bekommt dafür eine Nebengeschichte um den Kommissar Poulsen. Dessen Rolle ist als schwer erträglicher Schlaumeier angelegt – mit Erfolg: Er nervt kolossal, ist dabei nur leider wenig und wenn zu bemüht witzig. Erst spät in der zweiten Hälfte des Films wird seine aufdringliche Selbstdarstellung gebrochen, um mehr emotionale Tiefe zu entblößen. Viel zu spät, um bei Zuschauern noch ernsthafte Sympathien wecken zu können.

Nur das Ende seines Handlungsstranges erhält mit einer mystischen Wendung noch etwas mehr Bedeutung – ist es doch fast die einzige Einlösung des anfangs in poetischen Worten heraufbeschworenen Übergangs zwischen der Welt der Lebenden und der Toten, jener titelgebenden Blauen Grenze. Tatsächlich kann der Film wenig davon einhalten, was sein erster Akt verspricht. Ab der Mitte soll offenbar das Schicksal die Wendungen bestimmen. Doch das funktioniert selten. Eher erweckt es den Eindruck als würde mit verkrampft poetischer Beliebigkeit das dünne bisschen Geschichte irgendwie vorangeschubst, um das lakonische Schwelgen in Stimmung überhaupt noch in Bewegung zu halten.

Dabei werden Figurenmotivationen und Subtilität von teils völlig überhöhten und unangemessenen Regiemitteln erdrückt. Till Franzen bedient sich mit spürbarer Freude aber wenig Verständnis und leider mehr plagiativ als originell zitierend beim skurrilen Stil- und Nebenfigureninventar von David Lynch. Letztlich wirkt das ebenso aufgesetzt wie die allzu dick aufgetragene Suche der beiden Verliebten nacheinander. Großvater Bief bekommt in seinem recht kleinen Strang auch nicht wirklich mehr zu tun als hier und da mal vor nordischer Landschaft trüb in die Ferne zu blicken – vor allem dann, wenn die Geschichte mal wieder über ihre eigene träge Langsamkeit zu stolpern beginnt. Die ist insbesondere der Passivität der Figuren geschuldet. Entscheidungen werden kaum getroffen und Konsequenzen gibt es selten. An der blauen Grenze herrschen andere Gesetzte: Da folgt auf Zufälliges nur Beliebiges.

Die ARD strahlt «Die Blaue Grenze» am 21. Juli um 22.45 Uhr als TV-Premiere aus.

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