Der TV-Sender NBC stellt im kommenden Herbst sein Programm radikal um und entwickelt sich zurück. Täglich sendet man nur noch zwei statt drei Primetimestunden und möchte somit die Kosten reduzieren und zeitgleich auf den beliebten Entertainer Jay Leno setzen.
Es war die Personalie der vergangenen Woche: Entgegen aller Prognosen wird Jay Leno nach der Abgabe der «Tonight Show» im nächsten Jahr nicht seinen langjährigen Arbeitgeber NBC verlassen. Stattdessen ist Leno ab Herbst 2009 mit einer neuen werktäglichen Talk Show zu sehen – und das zur Prime Time um 22.00 Uhr. Gerade letzterer Aspekt war es, der die Fernsehbranche aufhorchen ließ. Ist doch der Sendeplatz um 22 Uhr – wie überhaupt die Prime Time - traditionsgemäß Serien, Nachrichten und Reality-Shows vorbehalten. Der letzte Versuch im Network-Fernsehen, eine Talk Show auf einem Prime Time-Sendeplatz zu etablieren, datiert von 1962, als der ehemalige «Tonight Show»-Gastgeber Jack Paar mit überschaubarem Erfolg zum «Jack Paar Program» lud. Noch nie allerdings hat sich ein Sender mit einem täglichen Talk Show-Format in die Prime Time gewagt.
NBC lässt keinen Zweifel am eigenen Anspruch hinter dieser überraschenden Programmentscheidung. Nichts weniger als die Grundregeln des Fernsehens wolle man verändern, so NBC Universal-CEO Jeff Zucker auf einer Pressekonferenz. Und natürlich Jay Leno „in der Familie“ halten. Weithin war erwartet worden, dass Jay Leno nach dem Auslaufen seines Kontrakts zu ABC, ferner Fox oder Sony, wechselt und dem künftigen «Tonight Show»-Gastgeber Conan O`Brien Publikum und Gäste weg nimmt. Dass dieses Szenario nun nicht zustande kommt, stellt für NBC also zunächst einen Triumph über seine Mitbewerber dar, wie er selten geworden ist in den vergangenen Jahren.
Im Weiteren bedeutet die Ausdehnung des abendlichen Talk Show-Blocks in die Prime-Time vor allem eins: Das Programm wird billiger. Während eine einzige Serienfolge mit Produktionskosten von drei Millionen US-Dollar zu Buche schlagen kann, belaufen sich die Schätzungen für die neue Show von Jay Leno auf zwei Millionen US-Dollar pro Woche. Selbst wenn Leno also auf dem neuen Sendeplatz nur sein bisheriges Stammpublikum von knapp fünf Millionen Zuschauern erreicht – er also deutlich geschlagen wird von den Serien der Konkurrenz - stünde NBC gut da. Damit nicht genug: Leno könnte verlässlich das ganze Jahr über neue Folgen liefern. Drama-Serien hingegen decken selten mehr als 22 Programmwochen pro Staffel ab - wenn sie nicht vorzeitig abgesetzt werden, wie es gerade bei NBC in letzter Zeit häufiger der Fall war.
NBC will seinen Plan nicht als reine Sparmaßnahme verstanden wissen. Die Reformierung der 22.00 Uhr-Schiene wird auch als Reaktion auf ein sich änderndes Sehverhalten dargestellt. In der Tat hat der Sendeplatz um 22 Uhr einiges von seiner Zugkraft verloren. Vor allem die zunehmende Verbreitung von Festplattenrekordern – und somit die Möglichkeit, früher angesetzte Sendungen zeitversetzt und faktisch werbefrei zu konsumieren – bereitet Kopfschmerzen in der Fernsehbranche. Eine kurzweilige und vor allem tagesaktuelle Sendung, wie Leno sie moderieren wird, ist dagegen wie Sportübertragungen „total DVR-resistent“, beteuert der stellvertretende Vorsitzende Ben Silverman.
Die Reaktionen auf das Vorhaben von NBC sind gemischt. CBS-Chef Les Moonves zeigt sich soweit unbeeindruckt. „Wir sehen es als ein Plus für uns an. Der dritte Konkurrent verlässt den Markt, und das macht uns stärker.“ Den Erneuerungsdrang von NBC teilt Moonves nicht: „Man kann nach wie vor eine Menge Geld im Network-Fernsehen verdienen (…) Manche verzeichnen eine Zuschauererosion, manche nicht. Wir verzeichnen keine“, so Moonves in einem Seitenhieb auf die sinkende Reichweite des Konkurrenten NBC. In der Tat hat CBS bisher keinen Grund zur Klage. Nielsen zufolge stellt der Sender in diesem Jahr mit «CSI», «NCIS» und «The Mentalist» sämtliche Serien, die es in die Top 10 der meistgesehenen Sendungen geschafft haben. Auch der Sendeplatz um 22 Uhr ist mit «CSI: Miami», der Neuentwicklung «Eleventh Hour» sowie «Numb3ers» außerordentlich gut besetzt.
Keinen Kommentar gab es bisher seitens ABC. Lange hatte man bekanntlich um die Dienste von Jay Leno gebuhlt. Die überraschende Einigung zwischen NBC und Jay Leno ist in diesem Sinne als eine Niederlage für den Disney-Sender zu werten. Der lange gehegte Plan, die «Tonight Show»-Bastion von NBC mit den eigenen Mitteln zu schlagen, muss nun ad acta gelegt werden. Umso größer dürfte die Erleichterung bei Jimmy Kimmel sein. Hätte seine Late Night-Sendung doch bei einem Wechsel von Leno zu ABC aller Wahrscheinlichkeit nach umziehen müssen. „Ich fühle mich, als ob mir ein großes Kinn von der Schulter genommen wurde“, so Kimmel scherzhaft. Mit der 22-Uhr-Schiene kann ABC in dieser Saison nur bedingt zufrieden sein. Einzig «Brothers and Sisters» kann dort als uneingeschränkter Erfolg gelten. Bisher hält man sich jedoch mit größeren Änderungen zurück.
Trotz struktureller Umwälzungen scheinen die Probleme von NBC zu einem wesentlichen Teil hausgemachter Natur zu sein. Seit Jahren verliert der Sender gegenüber seinen Network-Konkurrenten an Reichweite und rangiert derzeit abgeschlagen auf dem vierten Platz. Seit Ben Silverman den Unterhaltungsbereich verantwortet, hat es – auch bedingt durch den Autorenstreik - im Serienbereich keine erfolgreiche Neuentwicklung gegeben. Zu Beginn des Monats reagierte NBC bereits mit personellen Konsequenzen. Beinahe die gesamte Programmabteilung des Senders wurde ausgetauscht und restrukturiert. Seinen Posten behalten darf dagegen Ben Silverman. Der umstrittene Programmchef steht vor einer Verlängerung seines Vertrags.
Vor allem die 22 Uhr-Schiene, in der Vergangenheit Sendeplatz solch klangvoller Namen wie «Hillstreet Blues», «LA Law» oder «ER», gibt derzeit Anlass zu Sorge. Das Christian Slater-Vehikel «My Own Worst Enemy» wurde bereits abgesetzt. Auch «Lipstick Jungle» und die Neuauflage von «Knight Rider» konnten weder Kritiker noch Zuschauer beeindrucken. Hier scheint ein vorzeitiges Ende ebenfalls sehr wahrscheinlich. Bedenkt man, dass das wieder erstarkte «ER» zum Ende dieser Saison in den wohl verdienten Ruhestand geht, bleibt auf dem Sendeplatz mit «Law & Order: SVU» am Dienstagabend eine einzige Serie, die auch im nächsten Jahr als gesetzt gelten kann. NBC sollte also keine größeren Schwierigkeiten haben, die 22 Uhr-Schiene für Jay Leno bereit zu stellen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Ohne Leno geriete NBC in gehörige Verlegenheit, den Sendeplatz sinnvoll zu füllen.
Applaus für den Veränderungsdrang von NBC gibt es aus der Werbebranche. Einem Bericht der „New York Times“ zufolge begrüßen Mediaplaner die Kalkulierbarkeit des stets familienfreundlichen Entertainers Jay Leno. Auch der vergleichsweise höhere Anteil an „Live“-Zuschauern wird als ein positiver Faktor gesehen. In das gleiche Horn stoßen die Affiliates des Senders, so „Broadcasting & Cable“. Schließlich fungiert die 22 Uhr-Schiene als Lead-In für die lokalen Nachrichtensendungen in der darauffolgenden Stunde. Der katastrophale Quotenverlaufs vieler NBC-Serien in diesem Herbst gibt daher wenig Anlass zur Freude.
Harsche Kritik muss sich NBC seitens der Fernsehschaffenden gefallen lassen. „Ich dachte, (NBC) liegt im Koma, ätzt etwa James Duff von «The Closer» (TNT). „Daher ist es ein gutes Zeichen (…) Sie arbeiten hart an ihrem eigenen Untergang." Peter Tolan («Rescue me») findet ebenfalls deutliche Worte: “So unterhaltsam Jay ist, finde ich es schade, dass NBC primär von einem finanziellen Standpunkt aus entscheidet anstatt die bestmöglichen Inhalte auszustrahlen." Trotz anderslautender Beteuerungen von Ben Silverman bedeutet die Abschaffung der 22 Uhr-Schiene eine Beschneidung des Entfaltungsraums für „erwachsene“ Inhalte. Der Sender läuft also Gefahr, vielversprechende Projekte in Zukunft an die Konkurrenz zu verlieren. Sollte sich herausstellen, dass Jay Leno mit seiner neuen Show nicht vom Zuschauer angenommen wird oder er seinen nachfolgenden Late Night-Kollegen die Tour vermasselt, wird eine Kurskorrektur schwierig werden.