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Online-Wahn: Zerstören sich die Fernsehsender selbst?

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Wie geht es in Deutschland und den USA weiter, wenn immer mehr Menschen auf digitale Aufnahmen setzen anstatt "live" vor dem Fernseher zu sitzen?

Noch vor wenigen Jahren dominierten Videorecorder die deutschen Wohnzimmer, selbst in Amerika war das nicht anders. Das Anlegen von Videoaufnahmen war mit sehr viel Stress verbunden, da eine Kassette ein maximales Fassungsvermögen von acht Stunden hatte. Mal eben zwei Wochen in den Urlaub fahren und seine Lieblingssendungen nicht zu verpassen, war damals nur sehr bedingt möglich. Doch mit dem Einzug der digitalen Medien befindet sich dieses Bild in einer Wandlung, die von den Fernsehsendern sogar noch unterstützt wird. Nun stellt sich aber die Frage, ob dies ein Vorteil der Fernsehanstalten ist.

Vor neun Jahren schalteten regelmäßig 24,95 Millionen Zuschauer bei «Emergency Room» ein, die Sitcom «Friends» (Bild) fesselte 20,95 Millionen US-Amerikaner und das Anwaltsdrama «The Practice» verzeichnete 17,93 Millionen Zuseher – alles Werte, die für die amerikanische Fernsehlandschaft normal waren. Heutzutage müssen die US-Networks froh sein, wenn sie mit ihren Programmen überhaupt noch über die 15-Millionen-Marke kommen, viele Neustarts schaffen es noch nicht einmal in den zweistelligen Millionenbereich. Damals wurden Serien mit einer Zuschauerbeteiligung abgestellt, über die sich die Sender heute freuen würden.

Doch wieso hat sich das Bild so gewandelt? Auf der einen Seite haben die großen Networks durch Kabel- und Satellitensender eine größere Konkurrenz bekommen, auf der anderen Seite hat der technische Fortschritt seine Vor- und Nachteile offenbart. Zum einen können die Konsumenten ihre Lieblingsserien auf DVD erwerben, die Scheiben sind billig in der Produktion. Darauf resultiert die günstigen Preise ganzer Staffeln, meist 30 Euro, und der dazugehörigen Massenproduktion. Früher gab es zwar auch Video-Boxen von «Charmed» & Co, diese waren allerdings nicht so gefragt.

Vor allem die US-Fernsehsender setzten seit geraumer Zeit auf Video-On-Demand, zu deutsch: Video auf Abruf. Über das Internet können komplette Filme und Serien angesehen werden, teilweise befinden sich auf den kostenlosen Online-Diensten der Sender und Seiten wie TheWB und Hulu ganze Serien. Wer mittlerweile keine Lust mehr hat, sich um 21.00 Uhr die neue Folge von «CSI» anzuschauen, kann dies – wann immer er möchte – auf der offiziellen CBS-Homepage tun. Doch mit dem Internet lassen sich solche aufwändigen Serien auf keinen Fall refinanzieren und deshalb kommen die US-Studios mittlerweile schon ins Schwitzen, wenn einstige Erfolgsserien einen drastischen Quotenabfall verzeichnen.

Darüberhinaus erscheint direkt nach dem Ende einer aktuellen Staffel die dazugehörige DVD-Box, die in den Vereinigten Staaten meist noch günstiger ist als in Deutschland. Und mit dem Festplattenrecorder müssen Zuschauer noch nicht einmal ihren Computer einschalten. Die Werbung, die im Fernsehen zu sehen wäre, entfällt somit übrigens auch.

In der Bundesrepublik versuchen die großen Fernsehstationen ebenfalls auf den amerikanischen Trend aufzuspringen. Die Münchener Mediengruppe ProSiebenSat.1 gründete die Online-Videothek maxdome, in der die Kunden ein paar Euro hinlegen müssen, um diverse Inhalte sehen zu können. Dazu gibt es auch noch kostenlose Angebote von ProSieben und Sat.1, die allerdings das bisherige Programm kaum abbilden. Wie auch? Die Sender setzen vor allem auf US-Spielfilme und Lizenzserien.

Bei RTL ist der Trend schon eher zu erkennen: Bei RTL Now steht fast das gesamte Programm zum Abruf bereit, für den Fernsehzuschauer ist das natürlich eine tolle Fundgrube, vor allem weil viele beliebte eigenproduzierte Sendungen für eine Woche kostenlos zur Verfügung stehen. Im Hause RTL freut man sich sicherlich, wenn «Deutschland sucht den Superstar» wöchentlich bis zu 250.000 Online-Zuschauer hat. Allerdings fehlen dem Sender dann in der Primetime wohl 0,1 Prozentpunkte bei den 14- bis 49-Jährigen, die seither nicht mehr am Samstag die Mottoshows anschauen, sondern sich mit Freunden treffen und den Abend auf einer Feier oder in einer Discothek verbringen.

Diese Entwicklung ist vor allem bei den jungen Menschen zu betrachten, die über gewisses technisches Know-How verfügen und sich vor dem Fortschritt nicht fürchten. Allem Anschein nach zieht es immer mehr Werberelevante in das Internet, mit nur einem Werbespot pro Sendung können die Fernsehanstalten ihren TV-Verlust nicht refinanzieren. Das Ende vom Lied: Die durchschnittlichen Reichweiten der 14- bis 49-Jährigen werden schrumpfen, wovon dann letztlich die öffentlich-rechtlichen Anstalten profitieren. Zwar bieten ARD und ZDF ebenfalls große Online-Archive an, doch die älteren Zuschauer werden auch weiterhin brav vor dem Fernseher sitzen und sich die Sendungen und die Werbespots anschauen.

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