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Was im Abspann nur klein eingeblendet wird, ist jedem Zuschauer bereits nach wenigen Sekunden klar. Was hier als Doku getarnt ist, ist in Wahrheit gestellt und von Redakteuren geschrieben. Dies wird vor allem bei den kleineren Rollen deutlich. Die Mitbewohnerin im Frauenhaus, der Sohn des Schlägerfreundes oder die Polizistin kommen kaum über ein «Barbara Salesch»-Niveau hinaus. Richtig dreist werden die Macher obendrein immer dann, wenn sie Interviews von vermeintlichen Experten in das Geschehen zur besseren Erläuterung hineinschneiden. Denn weder die Leiterin des Arbeitskreises gegen häusliche Gewalt noch die Sozialarbeiterin im Frauenhaus sind echt. Auch sie sind nur Darsteller. Daran lassen ihre auswendig gelernten Belehrungen keinen Zweifel.
Doch das Erstaunlichste an der Auftaktepisode ist, dass diese nicht so unerträglich war, wie man befürchten musste. Damit ist die Qualität noch immer weit entfernt von guter Unterhaltung, doch man hat tatsächlich schon Schlimmeres gesehen. Der Handlungsverlauf war zwar sehr klischeehaft, aber halbwegs glaubwürdig. Die vielen Drehorte ließen eine gewisse Abwechslung aufkommen und selbst unter den Darstellern gab es mit der Tochter Sarah sogar eine, die fast authentisch wirkte. Da man als Zuschauer mittlerweile so abgestumpft ist und bereits soviel Unerträgliches serviert bekommen hat, ist man froh, wenn eine Doku einen Hauch weniger übertrieben ist. Nüchtern betrachtet strotzt aber auch «Verdachtsfälle» vor miesen Darstellern und übertriebenen Situationen. Nur im Vergleich zum restlichen Müll schneidet die erste Episode mäßig ab.
Am Ende der ersten Ausgabe bleibt beim Zuschauer jedoch eine zentrale Frage offen. Worin genau bestand im gezeigten Fall eigentlich der titelgebende Verdacht? Es war bereits von der ersten Minute klar, dass Vicky tatsächlich geschlagen wurde. Weder sie noch der Täter stritten dies ab. Man kennt solche Verwischungen eines Formates von anderen Sendungen. Jedoch treten diese Unschärfen meist erst nach ein paar Jahren auf und noch nicht bei der ersten Folge. Vielleicht wäre der gezeigte Fall besser in der anschließenden Doku «Familien im Brennpunkt» aufgehoben.
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Die wenigen Lichtblicke, die in «Verdachtsfälle» zu erkennen waren, verdunkelten sich bei «Familien im Brennpunkt» vollständig. Ausnahmslos alle Darsteller sind unglaubwürdig und mit ihren Rollen überfordert. Allein der 13-jährige Hauptdarsteller wirkt durch sein Aussehen und den bisher ausgebliebenen Stimmenbruch derart jung, dass eine Vaterschaft durch ihn nur schwer vorstellbar ist. Den Vogel schießt jedoch Betty ab, die sich in jeder Sekunde dermaßen in den Vordergrund drängt, dass der Zuschauer bei jedem Auftritt Bluthochdruck bekommt. Unterstützt wird dies durch ihr aufdringliches Styling, das mit ihren Leopardenmustern an jede Durchschnittsangeklagte bei Alexander Hold erinnert. Die erfundenen Dialoge sind dumm und gespickt mit derart abgedroschenen Phrasen, dass man nur schwer seinen Umschaltreflex unterdrücken kann. Das erzwungene Happy End setzte dem Schmierentheater letztendlich die Krone auf.
Warum müssen diese Dokus neuerdings derart miserabel produziert werden? Warum müssen die Geschichten überhaupt gestellt sein? Ist das wahre Leben nicht mehr dramatisch genug? Gegen gut gemachte Fiktion ist nichts zu sagen. Im Gegenteil. Doch diese billigste und primitivste Fernsehmassenware ist eine Beleidigung für jeden Zuschauer.
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