Die Wahlen sind vorbei. Deutschland hat gewählt. Vorab wurde schon bei Raabs «TV total» abgestimmt. Jürgen Kirsch blickt darauf zurück.
Die Qual der Wahl hatten die Fernsehzuschauer schon einen Tag vor dem eigentlichen Urnengang. Zumindest dann, wenn sie den Sender mit der roten Sieben eingeschaltet hatten. Denn hier bat Stefan Raab vorab schon zur «TV total Bundestagswahl».Vor einer Woche hatte ich mir hierfür eine lebhafte Diskussion gewünscht, die auch die jungen Zuschauer für Politik interessiert, ja vielleicht sogar einige davon motiviert am nächsten Tag ihr Wahllokal aufzusuchen. Im Großen und Ganzen wurde man bei ProSieben auch nicht enttäuscht. Politik kann Spaß machen und mag auch lustig sein, war der Tenor unserer kleinen Gruppe, die vor der Mattscheibe die Sendung verfolgt hatte.
Zunächst einmal war es die Stimmung im Studio, die für eine muntere Atmosphäre sorgte. Da gab es Buh-Rufe, frenetischen Applaus und auch die ein oder anderen Zwischenrufe. Man merkte, das Publikum gespickt aus Anhänger der teilnehmenden Parteien fieberte mit und zollte jeder Bemerkung positive oder negative Reaktionen. Diese Atmosphäre spornte auch die Politiker im Saal an, die sich scharfe Wortgefechte lieferten, ehe sie von den Moderatoren gebremst werden musste. Gerade Müntefering, Westerwelle und Gysi schienen zu Höchstform aufzulaufen. Da waren auch persönliche Angriffe nicht selten, ehe man am Ende schließlich doch friedlich auseinander ging. Die Diskussion war lebhaft und unterhielt, wie gewünscht. Nicht wie das «TV-Duell» war es immerhin kein Regierungsgespräch, sondern mehr ein politischer Schlagabtausch der Parteien, auch aus der Opposition. Die abgedroschen Phrasen aus dem bisherigen Wahlkampf fielen selten.
Auch die Politiker selbst schienen gefallen daran zu haben. Denn Müntefering fragte ob es in vier Jahre wieder so ein Aufeinandertreffen gibt. Da es eine Comedyshow ist, trugen auch die Moderatoren zu einigen Späßen bei. Hier Peter Limbourg, der meinte: „Wenn Sie in vier Jahren noch dabei sind, Herr Müntefering, gerne.“ In einer Politdiskussion gab es auch mal was zu Lachen. Denn auch Raab, der zwar im Endeffekt wenig sagte, sparte nicht mit bissigen Kommentaren. So bremste er einen hitzigen Schlagabtausch um das Thema Reichtum: „Reden wir doch über ein anderes Thema. Reichtum dürfte ja unsere junge Zielgruppe weniger interessieren, der kommt ja erst später, es sei denn man hat geerbt, nicht Herr zu Guttenberg?“. Komödiantische Elemente war zwar von Grund auf wenige vorhanden, dennoch wurde die Diskussion nie bierernst und trocken geführt. Das gefällt dem jungen Zuschauer. Sogar die Piratenpartei, die im Vorfeld auf eine Teilnahme gepocht hatte, wurde thematisiert.
Alles lief allerdings auch nicht rund bei der «TV total Bundestagswahl». Die anschließende Analyse der Abstimmung nach Bundesländern hätte man ruhig etwas abkürzen können. Statt stets denselben Kommentar der Moderatoren oder des geladenen Experten zu hören, hätte man doch ruhig die anwesenden Politiker nicht Backstage schicken müssen, sondern im Studio behalten können, um deren Meinungen zu hören. Das wäre doch wesentlich interessanter gewesen die lachenden oder frustrierten Gesichter zu sehen, statt den Experten, der sich mehrmals wiederholte, aber stets eine andere blonde junge Dame aus der „Angie“-Ecke neben sich hatte. Zunächst erschienen die Ergebnisse nach Bundesländern gestaffelt auch unrealistisch. Man glaubte gar an Manipulation. Auf Twitter hatten die Piraten zu solch einer Protestaktion aufgerufen. War da wirklich was gelaufen? ProSieben hätte sich gefreut über die vielen Anrufe und SMS.
Doch dann kam der Koeffizient, der für ein realistisches Wahlergebnis sorgte. Nah dran, denn die Prognose ging sogar in etwa auf, wo man daran gar nicht mehr geglaubt hatte. Ergebnis: Westerwelle und Gysi können beruhigt schlafen. Und das konnten sie in der Tat. Auch eine weitere Amtsperiode von Merkel deutet sich an. Dass die Linken gerade in Ostdeutschland gehörig punkten ging ebenfalls auf. Wer hätte das gedacht nach den Ergebnisse, die immer wieder für ungläubiges Gelächter sorgten. Zum Schluss wollte Raab noch verraten, wie er wählt. Statt aber wie erwartet zu sagen, welche Partei er seine Stimme gibt, zeigte er nur wie er am Wahltag in der Wahlkabine – verdeckt – das Kreuzchen macht. Eine Comedyshow war es, zugeschnitten auf die jungen Zuschauer. Trotz einiger Pannen, Versprecher statt Versprechen oder Streiks der Technik – wie Unterhaltung funktioniert, konnte man sehen. Das Wichtigste jedoch: Ein politischer Abend im Rahmen einer komödiantischen Sendung hat Spaß gemacht. Um Inhalte ging es da primär aber nicht. Dafür gibt es die politisch hochwertigen Sendungen von «Anne Will» bis zu der «Wahlarena». Feurige Diskussionen können die Zielgruppe hier auch anlocken.
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