Schlüter sieht's

«Schlüter sieht's»: 9live darf blechen

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Der Anrufsender 9live muss für Intransparenz bei den Spielen zahlen. Die ewige Frage lautet: zurecht oder nicht?

Die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) hat in diesen Tagen eine Geldstrafe von 95.000 Euro gegen den Anrufsender 9live verhängt, der mit dem Call-In-Geschäft seit Jahren ordentliche Gewinne abwirft. Die Begründung der ZAK: In sieben Gewinnspielsendungen habe es irreführende Äußerungen, Intransparenz, Vorspiegelung von Zeitdruck und fehlende Informationen gegeben, die letztendlich dazu dienten, Zuschauer zu einem kostenpflichtigen Anruf zu überreden. Nach einer geltenden Gewinnspielsatzung ist offiziell vorgegeben, wie Call-In-Spiele im deutschen TV auszusehen haben – doch diese Reglementierung kratzt nur an der Oberfläche einer fast philosophischen Frage um Marktwirtschaft, den schützenden Staat und gesunden Menschenverstand.

Neoliberale Marktradikale würden 9live sicherlich freie Hand lassen. Denn es ist schließlich derjenige selber schuld, der anruft und sein Geld damit verspielt. Das erwirtschaftete Geld steht zur freien Verfügung und was das Individuum damit anstellt, bleibt ihm nach dem Selbstverantwortungsprinzip überlassen. Der Sozialist schreit auf und möchte die schützende Hand des Staates über die ahnungslosen Bürger legen, die von den gierigen Geldhaien von 9live und Co. verbrecherisch geschröpft werden. Die eigentliche Frage um die Rechtmäßigkeit der Existenz von Sendern wie 9live ist also ein Politikum, die ZAK als regulierendes Element eigentlich eine Sensation in der freien, radikalen Marktwirtschaft, in der wir leben.

Umso mehr zu begrüßen ist es natürlich, dass 9live, das übrigens schon länger generell mit Umsatzrückgängen zu kämpfen hat, nicht mehr der Kasper sein darf, den er jahrelang im deutschen Fernsehen dargestellt hat und mit den Moderatoren, unter Insidern „Animateure“ genannt, ein rhetorisches Dauerfeuer auf diejenigen Zuschauer loslässt, die sich noch mit irrational aufgebautem Zeitdruck oder verschwörerischen „Hot Buttons“ ködern lassen. Wir alle wissen, dass 9live (das übrigens gegenüber anderen Call-In-Shows im Fernsehen noch harmlos erscheint) nicht nur 95.000 Euro Strafe zahlen müsste, sondern deutlich mehr. Doch die rechtliche Nachweisbarkeit der Verstöße ist kompliziert, die Durchsetzung von Strafen umso schwieriger.

9live ist allerdings auch nicht der Teufel, wie ihn viele darstellen möchten. Es ist durchaus bemerkenswert, wie solch ein Sender seit vielen Jahren mit cleveren, nun teils unlauteren Methoden hohe Gewinne erwirtschaftet, die wahrscheinlich größtenteils aus dem Teil der Gesellschaft kommen, welche allgemein als Unterschicht oder „White Trash“ bezeichnet wird. Plump ausgedrückt: Der Dumme muss zahlen. Doch so einfach geht es richtigerweise nicht: Einen Funken sozialer Würde hat sich die deutsche Fernsehlandschaft mit der Gewinnspielsatzung und der ZAK erhalten. Die Strafe gegen 9live ist endlich ein wichtiges Exempel, das statuiert wurde. Gegen die Ausbeutung des gemeinen Zuschauers und für die Einsicht, dass deutsches TV nicht der gesetzlose Spielplatz ist, den so mancher erobert glaubte.

Jan Schlüters Branchenkommentar beleuchtet das TV-Business von einer etwas anderen Seite und gibt neue Denkanstöße, um die Fernsehwelt ein wenig klarer zu sehen. Eine neue Ausgabe gibt es jeden Donnerstag nur auf Quotenmeter.de.


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