Glenns Gedanken

«Glenns Gedanken»: Betreutes Fernsehen

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Bin ich unnormal, nur weil ich nicht vom Meerschwein meines Nachbarn vergewaltigt wurde?

Ich frage mich manchmal, ob der Mensch ohne das Fernsehen überhaupt noch lebensfähig ist. Viele der sogenannten Doku-Soaps vermitteln den Eindruck, dass wir auf vorgelebtes Leben angewiesen sind. Die überwiegend guten Quoten bestärken diese Vermutung. Das Fernsehen zeigt uns, wie man kocht, wie man sein Haus einrichten soll, wie man schwanger wird und anschließend seine Kinder erziehen soll, wie man aus den Schulden kommt und schließlich hilft es uns, den richtigen Partner zu finden. Im Grunde bräuchten wir selber gar nicht mehr das Haus zu verlassen, weil wir auch alles vor der Mattscheibe miterleben können.

Doch was macht den Reiz dieser Sendungen aus? Warum sind so viele Zuschauer interessiert am langweiligen Leben der Anderen? Nun, zu einem großen Teil liegt es sicher am Gefühl der Überlegenheit und Schadenfreude. In Sendungen wie «Bauer sucht Frau» oder «Schwiegertochter gesucht» werden Extremfälle gezeigt, Menschen, die soziale Schwierigkeiten haben oder mental zurückgeblieben sind. Der Zuschauer denkt sich nur: "Zum Glück geht es mir im Vergleich zu denen richtig gut." In einer aufgeklärten Zeit ist es schon erstaunlich, auf welche niederen Instinkte es die Sender mit solchen Formaten abgesehen haben, und damit auch noch Erfolg haben. Und wenn das tatsächliche Leben der Protagonisten zu langweilig ist, dann erfindet man einfach Geschichten und bezeichnet sie als "Scripted Reality", wie in der RTL-Sendung «Verdachtsfälle».

Das Problem ist nur, dass den Zuschauern suggeriert wird, dass es sich bei den gezeigten Fällen um typische Durchschnittsfamilien handelt. Durch den täglichen TV-Wahnsinn wird es immer schwieriger zwischen Wahrheit und Schein zu unterscheiden. Ein Teenager, der nicht von oben bis unten gepierct und tätowiert ist, keine versteckte Hanfplantage besitzt, und der noch nicht vom tollwütigen Meerschweinchen des voyeuristischen Nachbarn vergewaltigt wurde, muss sich ja langsam fragen, ob er noch normal ist. In solchen Momenten bin ich froh, ein vielleicht nicht immer aufregendes, aber zumindest realistisches Leben zu führen. Aus diesem Grund wäre ich für solche Doku-Formate von vornherein uninteressant, und dafür bin ich dankbar.

Glenn Riedmeier, bestens bekannt aus dem Quotenmeter.de-Podcast, verrät sonntags seine Gedanken zur TV-Welt.

Kurz-URL: qmde.de/38308
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