Die Erfolgsgeschichte der profitabelsten Horrorreihe aller Zeiten begann äußerst furios. Mit einem Budget von gerade einmal 1,2 Mio. US-Dollar schufen die jungen australischen Filmemacher James Wan und Leigh Whannell im Jahre 2004 einen grandiosen, nervenzerreißenden Psychothriller mit dem schlichten, aber wirkungsvollen Titel «Saw», welcher durch seine Härte und Kompromisslosigkeit eine neue Stoßrichtung für ein ganzes Genre vorgeben sollte. Der ebenso böse wie geniale Schlusstwist prädestinierte den Film regelrecht dazu, gänzlich unangetastet zu bleiben. Doch bei einem weltweiten Einspielergebnis von über 100 Mio. US-Dollar entschied man sich gemäß gängiger Hollywood-Konventionen bald dazu, möglichst viel Gewinn aus dem damals noch recht unverbrauchten Szenario um den Serienkiller Jigsaw herauszuschlagen. So stand «Saw II» schon im darauffolgenden Jahr in den Startlöchern und bestätigte die im Vorfeld laut gewordenen Befürchtungen. Trotz der Drehbuchbeteiligung des «Saw»-Co-Schöpfers Leigh Whannell, blieb die Fortsetzung mit ihrer lieblos zusammengeschusterten Handlung, größtenteils eindimensionalen und unsympathischen Charakteren sowie offensichtlichen Logikmängeln meilenweit hinter ihrem Vorgänger zurück. Die mittlerweile auf eine beachtliche Größe angewachsene Fangemeinde störte sich daran jedoch keineswegs, wurde «Saw II» bei kaum gestiegenen Produktionskosten doch zu einem noch größeren kommerziellen Erfolg als der erste Teil.
Daraufhin war es nicht weiter verwunderlich, dass «Saw III», der wie sein direkter Vorläufer von dem unbekannten Regisseur Darren Lynn Bousman inszeniert wurde, genau ein Jahr später seinen Weg in die Kinos fand. Schon kurz nachdem der qualitativ noch etwas weiter abgerutschte Horrorthriller auf dem Weg war, der bis dato erfolgreichste Ableger der Reihe zu werden, äußerten die Produzenten ihre Absichten, die «Saw»-Reihe zu einem jährlichen Halloween-Ereignis zu machen und gaben daher direkt grünes Licht für die Teile 4 bis 6. Wenn ein Aspekt dabei positiv erwähnt werden kann, so ist es wohl das in der Theorie löbliche Vorhaben, mithilfe von Rückblenden die Geschehnisse der vorangegangenen Filme näher zu beleuchten, um so die Handlung der Fortsetzungen adäquat in den Gesamtkosmos der Reihe einzubinden. In der Praxis entpuppten sich die meisten Ergänzungen jedoch als arg konstruiert, entmystifizierend und spannungshemmend, dienten sie doch in erster Linie dazu, den bereits im dritten Teil verstorbenen Jigsaw irgendwie in die Geschichte hineinzupressen. «Saw IV», der erste Teil ohne Leigh Whannells Drehbuchunterstützung, verlor sich daher im Jahr 2007 in allzu wirren sowie größtenteils belanglosen Flashbacks und markierte so den Tiefpunkt der Serie. Aus diesem versuchte sich «Saw V» ein Jahr später, mühsam, jedoch nur mit mäßigem Erfolg herauszumanövrieren. Erst dem sechsten Teil der wie am Fließband produzierten Reihe gelingt es nun wieder, die Spannungsschraube merklich anzuziehen.
In «Saw VI» ist der Police Detective Mark Hoffman (Costas Mandylor) noch immer fleißig dabei, das Werk des verstorbenen Serienmörders Jigsaw (Tobin Bell) fortzuführen. So hat dieser in seinem Nachlass, Instruktionen für ein finales Folterszenario hinterlegt, das einmal mehr der Läuterung von Person dienen soll, die ihr Leben in seinen Augen nicht genug schätzen. In dessen Mittelpunkt steht diesmal der Versicherungsleiter William Easton (Peter Outerbridge), der mit seiner Firma nur ausreichend jungen und gesunden Kunden Policen gewährt. Inmitten eines Parcours aus dubiosen Todesfallen, sieht er sich dazu gezwungen, über Leben und Sterben seiner Arbeitskollegen zu entscheiden. Währenddessen rückt die Polizei Detective Hoffman immer mehr zu Leibe.
Nachdem bei «Saw V» noch David Hackl, seines Zeichens Szenenbildner des Franchises, auf dem Regiestuhl Platz nahm, durfte sich nun der «Saw»-Cutter Kevin Greutert an der Realisierung eines Teils der Reihe versuchen. Greutert und seine zwei Drehbuchautoren Patrick Melton und Marcus Dunstan («Saw IV», «Saw V») schaffen es sogar, die Handlung wieder fesselnder zu erzählen, auch wenn sie dafür recht simple Mittel gebrauchen. Mit hektischen Schnitten, kleinen, erst im späteren Verlauf geklärten Aussparungen, vielen, erstaunlich langsam ablaufenden Countdowns und zahlreichen Twists von unterschiedlicher Qualität halten sie den Adrenalinspiegel des Zuschauers auf einem konstant hohen Niveau. Dabei glückt ihnen auch die Einbettung der inzwischen serientypischen Rückblenden in die eigentliche Handlung besser als zuvor, zumal die Flashbacks diesmal eine höhere Zahl passabler Einfälle vorweisen können und so dem Spannungsaufbau in der Haupthandlung auch nicht mehr wirklich im Weg stehen.
Jedoch zeigt sich bei ebendiesen Rückblenden gleichzeitig einer der wesentlichen Schwachpunkte des Horrorthrillers. So lag es den Autoren sehr am Herzen, mithilfe von Jigsaw unter anderem auch scharfe Kritik am umstrittenen Gesundheitssystem der USA zu üben. So treffsicher und realitätsnah diese Ausführungen an sich auch sein mögen, in Anbetracht der ohnehin schon äußerst fragwürdigen Moral des Serienkillers verpufft ihre Wirkung bedauerlicherweise fast gänzlich. Angesichts eines Mörders, der sich als Richter über Recht und Unrecht aufspielt, in diesem Zusammenhang jedoch selbst auf überaus menschenverachtende Methoden zurückgreift, kann jede noch so ernst gemeinte Kritik im Endeffekt leider nur absurd bleiben. Womit wir beim am meisten beanstandeten Aspekt der «Saw»-Reihe angekommen wären: der Gewalt.
Während der erste Teil viel eher auf psychische denn auf ausufernde physische Gewalt setzte, trieben die Fortsetzungen den Gewaltpegel in teils unerträgliche Höhen. Mit ihren sehr expliziten und meist zum absoluten Selbstzweck verkommenen Splattereinlagen erreichten die Sequels jedoch naturgemäß keineswegs die Intensität des Originals, sondern riefen stattdessen eher Ekel und Kopfschütteln hervor. Auch «Saw VI» geizt nicht mit deftigen Tötungsszenen. Dabei lassen die wie immer ausgeklügelten Folterapparaturen in ihrem perversen Einfallsreichtum einmal mehr am mentalen Zustand der verantwortlichen Filmemacher zweifeln.
Abseits dieser Unzulänglichkeiten ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass Tobin Bell («Die Firma», «In the Line of Fire») als Aushängeschild der Serie seine Sache erneut mehr als gut macht. Wie gewohnt kann er als Jigsaw alias John Kramer, in den wenigen Minuten, die ihm die unzähligen kurzen Flashbacks gewähren, vollends überzeugen. Ansonsten hat «Saw VI» schauspielerisch erwartungsgemäß nichts wirklich Besonderes zu bieten. Costas Mandylor («Picket Fences») und Peter Outerbridge («Mission to Mars», «Lucky Number Slevin») absolvieren ihre jeweiligen Rollen zwar auf jeden Fall solide, der Rest des Casts hingegen ist aber kaum der Rede wert. So sind die sonstigen wichtigeren Charaktere nicht wirklich interessant besetzt, wobei dies die Entwicklung der Handlung trotzdem nicht weiter stört. Die übrigen Parts beschränken sich dann ohnehin in den meisten Fällen darauf, auf möglichst brutale Art und Weise das Zeitliche zu segnen. Wie für die «Saw»-Reihe inzwischen typisch, besteht ein generelles Problem aber auch darin, dass sich der Zuschauer durchweg mit unsympathischen Figuren konfrontiert sieht. Dass die Haupthandlung dennoch über weite Strecken funktioniert und zum Mitfiebern anregt, ist wohl in besonderem Maße der packenden Inszenierung und dem Spiel von Peter Outerbridge geschuldet, der das Leid seiner unliebsamen Figur durchaus überzeugend vermitteln kann.
Trotz des leichten qualitativen Aufwärtstrends wird bei «Saw VI» nur einmal mehr deutlich, wie sehr das grundlegende Konzept inzwischen ausgereizt ist, denn auch der sechste Teil bedient sich eines seinen Vorgängern sehr ähnlichen Schemas. Diese offensichtlichen Ermüdungserscheinungen werden mittlerweile sogar von den Fans wahrgenommen, hatte «Saw VI» in den USA doch das bisher geringste Einspielergebnis der gesamten Reihe zu verzeichnen. Dabei ist wohl gerade die eingefleischte Anhängerschaft die primäre Zielgruppe des Films. Denn einerseits kriegt diese genau die Zutaten spendiert, die sich schon in der Vergangenheit bewährt haben, andererseits hat man ohne Kenntnis der Vorgänger kaum eine Chance, der Gesamthandlung durchgehend zu folgen. Alle, die schon bisher einen großen Bogen um das «Saw»-Franchise gemacht haben, werden also auch mit dem neuesten Teil rein gar nichts anzufangen wissen.
«Saw VI» ist am Ende nicht das Desaster geworden, das man in Anbetracht der direkten Vorgänger hätte erwarten können. Zwar liegen zwischen dem fünften Ableger und dem Original noch immer Welten, doch weiß die nicht tot zu kriegende Reihe durch ein gesteigertes Maß an Spannung endlich wieder zu fesseln. Umso ärgerlicher ist es, dass dem Horrorthriller die zweifelhafte Moral seiner zentralen Figur stärker im Weg steht als je zuvor. Doch das annehmbare Ende und einige offene Fragen machen trotz allem sogar fast Lust auf den 7. Teil, der nächstes Jahr in die Kinos kommen wird und die Reihe angeblich zu einem Ende führen soll. Bleibt nur zu hoffen, dass es den Machern bei jenem zweifellos längst überfälligen Abschluss wenigstens gelingt, die Qualität des sechsten Teils zu halten, um den Ruf des ausgezeichneten Erstlings nicht noch weiter in den Dreck zu ziehen.
«Saw VI» ist seit dem 3. Dezember in vielen deutschen Kinos zu sehen.