Hingeschaut

«2009 Der große Jahresrückblick»: Eine durchwucherte Odyssee

von
Hetzjagd durchs Programm, 8 Werbepausen, Appell an die Menschheit und spärliches Licht in tiefer Finsternis – Wir blicken zurück.

"Meine Damen und Herren, Sat.1 präsentiert aus der Campushalle in Flensburg: «2009 Der große Jahresrückblick»! Bitte begrüßen Sie den Gastgeber des heutigen Abends: Johannes B. Kerner!"

Mit einer Laufzeit von etwas mehr als vier Stunden ist der Rückblick der in München angesiedelten privatrechtlichen Sendeanstalt Sat.1 der Umfangreichste dieses Jahres. Die eminente Rückblende des ZDF folgt am Sonntagabend, während RTL erst eine Woche später, am 13. Dezember, zurückblickt auf 2009. Ein Jahr voller Tragödien, Spannung, Emotionen und Aufgaben: Liegt es überhaupt im Bereich des Möglichen, all diese Fragmente innerhalb von 240 Minuten zu behandeln? Gastgeber Kerner schien am Ende der Sendung bestrebt, das Gegenteil darzulegen. Man war lediglich bemüht, den Bruchteil eines interessanten Jahres aufzuzeigen und folgerichtig für eine gewisse Zeitspanne hindurch zu unterhalten. Ist dies geglückt?

Nachdem der intensive Applaus verklungen war, wurden die Zuschauer herzlich begrüßt und mit der Gästeliste konfrontiert. Joseph Jackson, der Vater des am 25. Juni verstorbenen King of Pop wird anwesend sein, ebenso wie der genesene Oliver Pocher und das Ehepaar Pooth, sagte Kerner an. Als angekündigt wurde, ein Music Act des Abends sei Tokio Hotel, begann eine unfassbar große Zahl an weiblichen Fans im Publikum zu kreischen, stilvoll umzukippen oder gar vor Freude zu implodieren. Wegen Felix Magath sind diese Zuschauer wohl nicht gekommen. Kerner selbst schien relativ gut aufgelegt zu sein, ja, in der richtigen Stimmung durch den Jahresrückblick zu führen. Bedacht werden musste bei der Ausstrahlung aber, dass es sich nicht um eine Live-Sendung handelt. Alles wurde bereits im Vorfeld aufgezeichnet, woran schlechte Schnitttechnik konstant erinnerte.

Es folgte die erste visuelle Retrospektive, ein Einspieler. Antonius Frieling ist der Ansicht, 35 Euro seien es wert von einem Flugzeug aus die gesamte Stadt zu betrachen, während seine Tochter und andere aus dem Luftfahrzeug springen – Mit Fallschirm versteht sich. Unvorteilhaft, dass eine nicht verschlossene Tür es verschuldet, dass Frieling hinaus gerissen wird und in die Tiefe fällt. Schwer verletzt überlebte er durch Direkthilfe. Kerner stellte seine Fragen gefährlich schnell, als würde ihm die Zeit davonlaufen. Man möchte ihm zurufen, dass es vier Stunden sind, die er zu füllen hat, doch das Tempo bleibt. In Sekundenbruchteilen steht ein anderer Mann neben dem Ehepaar Frieling auf der Bühne bzw. im Kornfeld, das den sinnbildlichen Landungsort darstellen soll. Es ist Ulrich Niemeier, der das Leben Frielings rettete. Die Atmosphäre gleicht der einer Talkshow, in der verschollene Geschwister wieder vereint werden, nur Tränen gibt es keine.

Sofort geht es weiter. Die zwei jungen Männer, die 2009 den Raab schlugen, betreten das Schlachtfeld. Liebling Nino und Feind der Fans Hans-Martin werden von Kerner begrüßt, der sich einen Spaß daraus macht, die Zuschauerschaft zu animieren, letzteren auszubuhen – Ein gelungenes Manöver. Man blinzelt und die beiden Gewinner sitzen auf Fahrrädern. So langsam wie nur irgend möglich müssen sie fahren, um damit einen Punkt zu sammeln. Es kommt allerdings keinerlei Spannung auf. Alles wirkt antiseptisch. Als wollte man es schnell hinter sich bringen. Besserung war auch nach der ersten Werbepause nicht in Sicht. Die zwei weiteren Spiele sind so schnell vorüber, wie ihre Regeln erläutert werden und Comedian Matze Knopp, der Franz Beckenbauer (und später auch noch Luca Toni) imitiert, überreicht Hans-Martin ein „Raab Bezwinger Bezwinger“-Shirt. Nino muss mit dem Rest seiner drei Millionen auskommen. The show must go on.

Die grellen, weitreichend strahlenden Lichter der im Dunkeln liegenden Halle führen ein in die nächsten Rückblenden. Magarethe Schreinemakers Herz kam im Jahr 2009 für sechs Minuten zum Stillstand, der Lebensgefährte rettete sie. Die ernsten Gesichter blicken in die Kamera: „Hinschauen, nicht wegschauen!“ heißt es, ähnlich der Moral, die aus der Geschichte des ersten Paares Frieling hervorging. In der darauffolgenden Werbung werden dem Zuschauern Kopfschmerztabletten empfohlen.

Langsam kommt man zur Ruhe, die Routine des Ablaufes wird verschmäht, aber anerkannt, während die Sprachbarriere zwischen Publikum und Joe Jackson das erste real wirkende Gespräch des Abends entstehen lässt, auch wenn Michaels Vater den Fragen Kerners auszuweichen versucht. Eine Überleitung führt zum Duett von Cassandra Steen und Adel Tawil, dessen surrealen Aufhänger einer goldenen Stadt der „Aufreger des Jahres“, wie Kerner ihn bezeichnet, Wolfgang Trepper, zum Anlass nimmt einen Monolog zum Besten zu geben.

Kürzer als alles andere werden die Themen der Politik, Schweinegrippe und Filmhighlights abgehandelt. Das ZDF ist hierbei mit beispielsweise Guido Westerwelle besser bedient. Werbung folgt inzwischen jedem Schritt, ebenfalls etwas, unter dem Kerner beim Zweiten nicht leiden musste. Denn er ist es, der die Leidenschaft in die Produktion bringt, sie aufhellt, sie äußerst solide moderiert. Luft nach oben bleibt jedoch bestehen. Bully Herbig taucht auf, in Begleitung der Kinderdarsteller seines neuen Filmes «Wickie und die starken Männer». Keiner lacht merkwürdigerweise über seine Witze, dem sehr jungen Mädchen schießt die Aufregung aus allen Poren.

Der Höhepunkt der Sendung war sicherlich Schicksal von Herrn Müller. Er hatte sich für die Abwrackprämie gemeldet, kam jedoch zu spät und musste seinen blauen Astra behalten. Er wird auf die Bühne geholt, ein großer Bildschirm zeigt, was die Ludolfs aus der gleichnamigen DMAX-Serie vorhaben – Das Auto vollends verschrotten, vor den Augen des armen Mannes. Dieser ist entweder völlig geschockt oder Nihilist. Kerner offenbart, dessen Frau und Sohn hätten den Plan ausgeheckt. Die Blicke Hernn Müllers schreien Scheidung und Enterbung. Nachdem sein Wagen zerlegt ist, bekommt er einen Gutschein, mit dem er ein Jahr lang kostenlos Bus fahren kann. Man ist sprachlos. Host Kerner ruft ihn jedoch zurück und schenkt ihm zusätzlich ein Auto. Zu freundlich.

Andere Themen waren Tokio Hotels Wunsch nach Freizeit, Felix Magaths aktuelle Eindrücke über Bayern und Schalke, der Absturz des Airbus, der die Komoren zum Ziel hatte, Jamie Cullums Medley und eine Veranschaulichung zur Gewinnchance beim Lotto. Achtung, Spoiler: Sie ist sehr gering.

Fazit: Obwohl man sich als Zuschauer im Laufe des Abends an das Format gewöhnte, machte der Jahresrückblick manchmal den Eindruck, Kerner hätte noch etwas vor oder würde gerade umziehen. Einige Gäste bekamen oft nur fünf bis sieben Minuten zugesprochen und wurden dann auf in den sehr gelungenen Sets zurück gelassen. Es war der erste Versuch für Sat.1 und das hat man durchaus gemerkt, aber man hat auch etwas richtig gemacht. Die Gästeliste ist ansprechender gewesen als die der Konkurrenten und Johannes B. Kerner war in Sachen Moderation ebenfalls eine gute Wahl. Es kann nur aufwärts gehen. Eigentlich.

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