Die meisten haben eine klare Vorstellung davon, wie eine Zeichentrickproduktion aus den Disney-Studios auszusehen hat: Ein harmonisches Märchen mit unvergesslichen Musicaleinlagen, witzigen (und sprechenden) Tierfiguren und runden, farbenfrohen Zeichnungen. So lernten Generationen von Kinogängern Disney kennen, und so sollten diese Filme in ihren Augen auch bleiben.
Die Disney-Studios liehen dieses Jahrzehnt jedoch ihren Kritikern ein Ohr und produzierten mehrere mit dem altbekannten Schema brechende Filme. «Ein Königreich für ein Lama» parodierte mit postmoderner Selbstironie und einem spritzig-egomanischen Hauptcharakter (in der deutschen Fassung genial vertont durch Michael "Bully" Herbig) die Disneytradition, die Animations-Actionabenteuer «Atlantis - Das Geheimnis der verlorenen Stadt» und «Der Schatzplanet» sprachen verstärkt ein älteres, männliches Publikum an und mit dem gefühlvollen, zugleich frechen «Lilo & Stitch» vereinte Disney seine Stärken mit einer raueren Realität und unerzogenen Hauptcharakteren.
Vom letzterem abgesehen liefen diese Stilübungen jedoch unter den Ergebnissen von Filmen wie «Der König der Löwen» oder «Pocahontas». Auf den kommerziellen und qualitativen Totalflop, die Blödel-Westernkomödie «Die Kühe sind los!», wollen wir an dieser Stelle gar nicht erst eingehen.
Jedenfalls ruhten nach dieser Produktion bei Disney erst Mal die Zeichenstifte und man folgte dem Ruf der Computeranimation, weil man davon ausging, dass das Publikum nur noch am PC erstellte Trickfilme sehen möchte. Disneys Computerwerke («Himmel und Huhn», «Triff die Robinson» und «Bolt») kamen beim Publikum allerdings eher durchwachsen an.
Pünktlich zur Weihnachtssaison 2009, zwanzig Jahre nach der durch «Arielle, die Meerjungfrau» ausgelösten Disney-Renaissance, kehrt das Traditionsstudio wieder in seine Komfortzone zurück: Mit dem in Deutschland unglücklich flapsig betitelten «Küss den Frosch» (Originaltitel: «The Princess and the Frog») präsentieren uns Ron Clements und John Musker, die Regisseure von «Arielle, die Meerjungfrau», «Aladdin», «Hercules» und «Der Schatzplanet», einen behutsam modernisierten, swingenden Märchenfilm im klassischen Disney-Stil. Denn selbst wenn die Geschichte und die Lokalität des Films dem ganzen einen neuen Dreh verleiht, so fühlt man sich im Kino wieder ganz so wie früher, als der alljährliche Disney-Trickfilm noch zur Weihnachtspflicht dazugehörte:
«Küss den Frosch» spielt zur Blütezeit des Jazz und handelt von der jungen Kellnerin Tiana, deren großer Lebenstraum es ist, ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Anders als ihre beste Freundin, die gut behütete Charlotte, welche sich nichts sehnlicher wünscht als eine Prinzessin zu sein, kann Tiana allerdings nicht darauf abwarten, dass ihr reicher und einflussreicher Vater alles für sie erledigt. Stattdessen lebt Tiana im bescheidenen Armenviertel für Schwarze und muss tagtäglich in mehreren Restaurants arbeiten, um das nötige Geld aufzubringen. Der leichtlebige Prinz Naveen aus Maldonia, der die pulsierende Hauptdstadt des Jazz und Swings besucht, hat zufälligerweise ebenfalls Geldprobleme. Seine Eltern wollen dem verwöhnten Jüngelchen eine Lektion erteilen und drohen damit, ihm den Geldhahn abzudrehen. Anders als Tiana kommt Naveen nicht einmal auf die Idee, tüchtiges Arbeiten als Lösungsweg anzuerkennen und lässt sich leichtsinnigerweise mit dem undurchsichtigen Schattenmagier Dr. Facilier ein, der den naiven, selbstverliebten Prinzen gleichmal in einen Frosch verwandelt. Als dieser Tiana begegnet, bittet er sie um einen Kuss, in dem Glauben, dass dies den Zauber zu brechen vermag. Anstatt der ersehnten Rückverwandlung in einen prachtvollen Prinzen erwartet Naveen jedoch eine herbe Enttäuschung: Nicht nur, dass er weiterhin ein Frosch bleibt, nein, Tiana ist nun ebenfalls ein klebriger, grüner Hüpfer.
Um einer Ewigkeit als Frosch zu entgehen, machen sich Tiana und Naveen auf ins mysteriöse Mississippidelta, wo neben zahlreichen Gefahren auch gute Magie warten soll.
Dass Tiana Disneys erste afroamerikanische Prinzessin ist, fällt dem in die Geschichte versunkenen Kinogänger gar nicht weiter auf. Die zahlreichen, im Vorfeld des Kinostarts gehaltenen Diskussionen sind sofort vergessen und man glaubt den Regisseuren ohne jeden Zweifel, dass sie bloß deshalb eine Afro-Amerikanerin zu ihrer Hauptfigur machten, weil es zum Setting der Geschichte passt. Es gibt keine Revolution um der Revolution willen, und moralinsaure Abhandlungen über die Rassenproblematik in den USA sind ebenso wenig in «Küss den Frosch» enthalten, wie der ihm von sensationsgierigen, ahnungslosen Kritikern vorgeworfene Rassismus.
Viel eher könnte die deutsche Synchronisation hitzige Debatten unter Filmfreunden auslösen. Für den deutschen Markt griffen die Walt Disney Studios nämlich tief in die Promikiste und besetzten beide Hauptrollen mit bislang nicht für ihr Schauspieltalent bekannten Namen:
Soul-Sängerin Cassandra Steen lieh für die hiesige Sprachfassung der weiblichen Hauptfigur ihre Stimme, während der ehemalige "Eurovision Song Contest"-Teilnehmer Roger Cicero als von sich selbst überzeugter Prinz zu hören ist. Zudem wurde Marianne Rosenberg ("Er gehört zu mir") als beinahe 200 Jahre alte Voodoo-Tante besetzt und der deutsch-US-amerikanische Schlagersänger und Komödchen-Darsteller Bill Ramsey darf das Trompete spielende Krokodil Louis vertonen.
Ein solch intensives Zurückgreifen auf prominente Sprecher erzürnte bereits in der Vergangenheit verstärkt ältere Animationsfans, und die mangelnde Schauspielerfahrung von Steen, Cicero und Rosenberg lässt für «Küss den Frosch» bereits das schlimmste vermuten, insbesondere da der Film mit seinem blödelnden Titel bereits eh wie eine seichte Trickkomödie positioniert wird.
Glücklicherweise entpuppen sich diese Promibesetzungen im fertigen Film als durchaus solide. Ramseys hastig sprechendes Krokodil, dessen größter Wunsch es ist "einmal mit den Großen" auftreten zu können, quasselt sich mit seinem charismatischen Akzent schnell ins Herz der Zuschauer, während Rosenberg als vitale Zaubergreisin nicht mehr wieder zu erkennen ist. Selbst Cicero kann seine eigene Masche mal links liegen lassen und gibt einen ganz passablen, eitlen Macho mit Witz ab, wenngleich er an ein oder zwei Stellen zu unsicher wirkt und dadurch den kräftigen Witz des englischen Originals missen lässt. Cassandra Steen dagegen kann nur in den Gesangsszenen vollkommen überzeugen, ansonsten agiert sie oftmals unangenehm steif und monoton, so dass der Zuschauer eine unnötig lange Zeit benötigt, um sich für Steens Figur zu erwärmen.
Da «Küss den Frosch», wie bereits erwähnt, Disney zu seinen Wurzeln zurückführen soll, legt dieses märchenhafte Abenteuer viel Wert auf qualitativ hochwertige Musik. Vor dem Hintergrund der charakterlichen Stadt New Orleans und des faszinierenden, wandelbaren Bayous ertönen Klänge, die sich an klassischem Jazz, Gospelmusik, Blues und Zydeco, einer lebhaften, tanzbaren Form afroamerikanischer Folkmusik, orientieren.
Für die dabei nötige Authentizität und musikalische Integrität sorgte der Oscar-prämierte Komponist Randy Newman, der aufgrund seiner Erfahrung in diesem Bereich Disneys Stammkomponisten Alan Menken beerben darf, welcher erst kommendes Jahr mit dem aufwändig produzierten Märchenfilm «Rapunzel" seine Rückkehr zum animierten Disney-Märchenmusical feiern darf.
Newman, vielen Kinogängern durch seine Arbeit an den Pixar-Filmen «Toy Story 1 & 2», «Das große Krabbeln», «Die Monster AG» und «Cars» bekannt, komponierte für diesen Zeichentrickfilm eine gelungene Auswahl an fröhlichen und rührenden Liedern, die sich grandios in die Handlung einfügen und sowohl in der Disney-Tradition stehen können, als auch ihrem Anspruch als Hommage an die Blütezeit des Jazz gerecht werden. Anders als der für Filme wie «Arielle, die Meerjungfrau», «Die Schöne und das Biest» oder «Der Glöckner von Notre Dame» bekannte Menken lässt Newman jedoch eine auf den Zuschauer abfärbende Lebhaftigkeit missen, die vor allem den spaßigeren Gesangsszenen gut zu Gesicht stünde und dem Soundtrack von «Küss den Frosch» den letzten Schuss Würze gegeben hätte.
Auf visueller Ebene braucht «Küss den Frosch» den Vergleich mit seinen beliebten Vorgängern dagegen kein Stück zu scheuen. Für die Wiederbelebung der traditionellen Animationskunst schauten sich die Zeichner der Disney-Studios noch mal ganz genau die größten Klassiker des Studios an und vermengten die besten Elemente verschiedener Stilperioden des Disneykanons. Daher weist «Küss den Frosch» solch detailverliebte Hintergründe und volumenreiche Figuren wie «Susi und Strolch» auf, die Bewegungen dieser Charaktere dagegen sind ebenso dynamisch und flüssig wie in den Klassikern aus dem vergangenen Jahrzehnt. «Küss den Frosch» erscheint in manchen Szenen so farbenprächtig wie «Dumbo», zugleich schreckt er nicht vor gruseligen, atmosphärischen Effekten wie aus Disneys Frühzeit zurück.
Möchte man «Küss den Frosch» einen Vorwurf machen, so müsste man sich am ehesten darüber beschweren, dass die Regisseure Clements & Musker sowie ihr Produktionsdesigner James Aaron Finch zu sehr darauf erpicht waren, sich sicherheitshalber an erprobten Klassikern entlang zu hangeln, weswegen «Küss den Frosch» keine gänzlich eigenständige Bildsprache entwickeln kann.
Die originellsten Elemente in «Küss den Frosch» bleiben somit die Zaubereien des charismatisch-bedrohlichen Schurken Dr. Facilier, sowie der überraschend liebenswürdige Sidekick Ray, ein Cajun-Glühwürmchen mit dümmlichem Akzent und großem Herzen. Überhaupt sind die Charaktere in «Küss den Frosch» wesentlich wichtiger als die Geschichte - nur durch die Figuren gewinnt der Film an Witz und Gefühl.
Handlungstechnisch erreicht der Film niemals den Anspruch der jüngeren Pixar-Werke wie «Ratatouille», «Wall•E" oder «Oben», und wenn man «Küss den Frosch» vor seinem geistigen Auge neben die großen Disney-Klassiker stellt, bemerkt man, wie klein und bescheiden Disneys neuste Produktion ausgefallen ist. Die epische Bandbreite von «Der König der Löwen» oder «Aladdin» (mit dem man «Küss den Frosch» gefühlsmäßig am ehesten vergleichen kann) erreicht Tianas Odyssee durch New Orleans und Umgebung nicht einmal ansatzweise.
Dessen ungeachtet ist «Küss den Frosch» außerordentlich gelungene Familienunterhaltung mit jeder Menge Wärme, Gefühl und einer angenehmen Prise Humor sowie unvergesslichen Charakteren. Das Rad erfindet er zwar nicht neu, aber das muss er auch gar nicht. Und so lange Disney ab und an etwas Abwechslung in seinen Kanon bringt, sind Filme wie «Küss den Frosch» weiterhin willkommen.
«Küss den Frosch» ist seit dem 10. Dezember in vielen deutschen Kinos zu sehen.