1 Stunde Wahnsinn

«1 Stunde Wahnsinn»: Eine Kalbgeburt, viel Gebrüll & doch Hungergefühle

von
Quotenmeter.de-Redakteure schauen fern. Eine Stunde lang, 24 Ausgaben - also ein ganzer Tag. Heute: 17.00 bis 18.00 Uhr.

Die Zeitanzeige in der Statusleiste meines Computers zeigt genau 17 Uhr an. Ich schalte den Fernseher an. Unüblich – um diese Zeit lasse ich mich nur selten von der „Glotze“ berieseln. Wohl auch weil ich kein großartiges Programm erwarte. Doch diesmal begebe ich mich mal auf die Safari durch den TV-Dschungel am Dienstag-Spätnachmittag. Die Erwartungshaltung also erfolgreich zurück geschraubt und auf Trash-TV getrimmt, fange ich mit den Öffentlich-Rechtlichen an. Und bin gleich erstaunt: Im Ersten wird gerade der erste Durchgang der Vierschanzentournee aus Oberstdorf übertragen. Wintersport. Als wäre es nicht kalt genug – draußen schneit es gleichzeitig und dunkel ist es auch schon. Schon eine Stunde habe ich bei dem Sport-Event verpasst, verweile aber noch weitere zwei Minuten in der ARD. Die Sprünge der Könige der Lüfte sind ganz interessant. Ob im ZDF auch solche „Adler“ zu sehen sind? Nein. Ich schalte um und Barack Obama lächelt mich an. Ein Bericht über den US-Präsidenten in «ZDF heute» ging gerade zu Ende. Es folgen Nachrichten aus aller Welt: Ein Brite wurde in China hingerichtet, daraufhin folgt ein ausführlicher Bericht in bewegten Bildern. „Niemand hat das Recht sich in die juristischen Angelegenheiten Chinas einzumischen“, sagt eine Regierungssprecherin. Klingt bedrohlich. Amnesty International meldet sich zu Wort – anschließend werden in einem Gebetshaus Fürbitten verlesen. Im ZDF wird man ja richtig gut informiert – Brender sei Dank? Es folgen Themen über das Staatsdefizit und die Wirtschaftsaussichten für das neue Jahr. Positive Überraschung also gleich zu Beginn: Das war Qualitätsfernsehen. Da ich mich aber gut genug informiert fühle, beschließe ich auch den Privaten eine Chance zu geben.

Ein Fehler, den ich besser nicht hätte begehen sollen. Denn auf RTL bricht das Chaos gleich los. Die «Schulermittler» sind zu sehen. Sie sitzen mit zwei Jugendlichen in einem Klassenzimmer. Der Junge soll Aggressionsprobleme haben, wird aus dem Off suggeriert. „Wirst du auch aggressiv, wenn du getrunken hast?“, fragt einer der «Schulermittler». Wenige Worte später: Wumms. Der Jugendliche tritt gegen einen Stuhl. Das hat gesessen. Seine Freundin läuft heulend raus. Sie flennt vor dem Schulgebäude, die Ermittlerin tröstet sie. Das geht mir eindeutig zu schnell: Nach wenigen Minuten schalte ich auf Sat.1 um. Hier geht es noch wüster zu: Wildes Handy-Geklingel ist zu hören, vermischt mit Geschrei. Bevor man sich selbst die Frage „Was ist da denn los?“ überhaupt gestellt hat, sind «Niedrig & Kuhnt» im Bild. Zwei Jungs zoffen sich um ein Mädel. Einer der Beiden outet sich im Verhör kurz darauf als homosexuell. Eifersucht wird das Motiv für die Tat (von der ich nichts weiß) gewesen sein, vermuten «Niedrig & Kuhnt» - na das kann ja heiter werden. Da schaue ich mir dann doch lieber auf ProSieben schlanke Frauen mit langen Beinen im Bikini an. Zumal die Kameras auch noch Nahaufnahmen der Hintern präsentieren. Dahinter sitzen drei Jungs, die für die Pos der Mädels Nummern vergeben – wofür auch immer. Das sieht ganz nach einem Casting-Beitrag von «taff» aus. Gar nicht mein Fall, auch wenn die Mädels schön anzuschauen sind. Es ist jetzt Zeit für etwas Comedy. Auf RTL II erblicke ich die Sitcom «Still Standing», nach einer Minute folgt aber die Werbung, also ist gleich kabel eins mit «Two and a half Men» dran. Das macht wenigstens Spaß.

Hätte mich auch hier die Werbepause nicht gestoppt, wäre ich wohl sicher noch länger dort verweilt. Es sind 18 Minuten vorbei, als ich bei VOX Hunde sehe, die verarztet werden. «Menschen, Tiere & Doktoren» läuft hier gerade. Eine Bull Dogge bekommt einen Maulkorb verschrieben. Welch ein nützliches Rezept, dem Erfinder gebührt der Nobelpreis. Kurze Zeit später befindet man sich in einem Kuhstall – eine Geburt steht an. Die verläuft aber nicht nach Plan. Ein Kalb ist falsch herum auf dem Weg Tageslicht zu sehen, dann steckt es fest. Die Landtierärztin kommt. Schon ist sie da, wird es unappetitlich. Da ich noch nicht gegessen habe, zappe ich weiter. Komme bei Super RTL und dem KiKA vorbei. «Jake und der Drache» ist unter anderem zu sehen. Leider nicht in 3D wie der neue Cameron-Film «Avatar». Schade eigentlich. Ich schweife ab. Auf dem DSF offenbart sich mir ein Darts-Turnier. Wir sind also wieder einmal bei sportlichen Aktivitäten angekommen. Kann man sich anschauen. Auch auf Eurosport laufen Bilder vom Skispringen. Ich beschließe etwas zu zuschauen, ehe es dann aber schnell eintönig wird. Nun möchte ich mir etwas weiterbilden, schalte also n-tv ein. «Die Apotheke der Tiere» wird hier gerade gezeigt. Interessant, was machen die Viecher eigentlich gegen die Schweinegrippe? Eine Antwort bekomme ich darauf nicht, erfahre aber etwas über Affen in Sansibar und dass Aras Lehm als Heilmittel verwenden – wenn’s schmeckt. Die Papageien haben übrigens ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein, lerne ich. Da könnte sich der eine oder andere Fernseh-Star eine Scheibe von abschneiden.

Über die Programmhinweise bei arte und 3sat besuche ich die Drittprogramme. Im NDR wird gekocht. Die «Landfrauenküche» hat Spezialitäten vom Lande parat. Lecker. Auch beim WDR gibt es was zu Essen: «Daheim & Unterwegs» wird gekocht. Na super, jetzt habe ich auch Hunger. Also wieder zurück zum Bildungsfernsehen: der BR hat eine Dokumentation über die Herstellung von Gläser parat. Dazu passend heißt es nur einen Programmplatz weiter: «Kaffee oder Tee?». Das ist ja praktisch. Erst Lernen wie die Gläser gemacht werden, dann schauen wie sie benutzt werden. Aber weit gefehlt: Im SWR wird eine technische Neuheit vorgestellt: Der Gamer sitzt vor dem Bildschirm, sieht sich darin und über einen Sensor wird ein animierter Affe ins Fernsehbild generiert, mit dem man dann spielen kann, obwohl er nur virtuell ist. Genial. Neue Technik, die begeistert. Natürlich ist das aber nur Spielerei. Nun sind schon 35 Minuten Fernsehen ins Land gegangen. Im Hessischen Rundfunk spricht wieder ein Tierarzt – habe noch genug von dem Kalb, das falsch herum auf die Welt kam. Eine Uralt-Doku «Atlantis im Dschungel» begegnet mir noch bei Phoenix.

Die letzten 20 Minuten im Fernsehen, bevor ich ihn wieder in den Stand-By-Modus versetzen möchte, brauche ich etwas Musik zur Abwechslung. Bei VIVA gibt es sie in Hülle und Fülle: „Tonight’s gonna be a good Night“, besingen die Black Eyed Peas. Das sei mal dahin gestellt – immerhin stimmt die Musik. Leider sehe ich den Clip dazu nur zur Hälfte: Der SMS-GURU nimmt das halbe Bild ein. Sende eine Nachricht an die „37000“ mit deiner Frage. Bestimmt. Als ob VIVA alles wüsste. Tatsächlich werden Fragen eingeblendet, die Antworten sind aber ganz schön oberlehrerhaft und allgemein verfasst. Sehr schön, dass VIVA die Kids auch in den Weihnachtsferien noch zum Dazulernen animieren möchte. Das Schulbuch kostet aber noch keine 50 Cent pro SMS. Dann kommt Robbie Williams. Switch: Bei MTV läuft gar keine Musik. «Next» lautet die Sendung und auch die Aufschrift auf einem Wohnwagen. Ein paar Jungs buhlen wieder um die Gunst eines Mädels. Ein gewisser Rob möchte sie beeindrucken: Gegen einen nicht mal ausgewachsenen Baby-Stier versucht er sich mit seinem roten Tuch im Stierkampf. Das Mädel ist begeistert, der Stier steht noch. Jetzt wird gequatscht. Die Dialoge: Himmelschreiend. „Was hältst du von mir?“, fragt die Madame. „Joa, du bist schon mein Typ“, kriegt sie als Antwort. Wäre ja schön blöd, wenn nicht. Unfassbar geistreich. Weg!



DMAX ist dran. Männerfernsehen. Aber hier fühle ich mich plötzlich an Sat.1 & RTL zurück erinnert. Bei «American Chopper» bin ich gerade mitten in einem großen Streit gelandet. Soviel Geschrei.. ich schalte lieber weiter. 9live bietet eine Infomercial-Sendung. Huch, eine kostenlose Nummer? Ein Finanzportal wird beworden. Braucht man wohl keine Telefoneinnahmen, wenn man die Leute mit Versicherungen knebeln kann. Auf ZDF neo werden «Zoogeschichten» erzählt. Ein Zoo in Jersey, wo vor allem Touristen sind. Erkenne die Besonderheit an diesem Zusammenhang nicht. Aber es ist was besonderes, laut der Sendung. TV Gusto hat wieder Essen parat. Hätte man erwarten können, aber das Hungergefühl ist wieder da: Etwas weniger als 15 Minuten gilt es noch durchzuhalten.

123.tv empfiehlt Schmuck. Ob da auch welche anrufen, die das von dort vor dem Weihnachtsfest Gekaufte umtauschen wollen? Bislang wohl eher nicht. Das Anpreisen der Ware von Sandy Meyer-Wölden – könnte ja sein – macht mich kirre. Bei HSE 24 liegen zwei Moderatorinnen im Bett. Entwarnung: Es geht nur um Kuschel-Bettwäsche. Brauche ich aber auch nicht. Haushaltsgeräte bei QVC. Wer möchte eine Waschmaschine? Die gibt es bei manchen Verträgen dazu. Sonnenklar.tv bietet eine Neujahrsreise. Ach stimmt, der Jahreswechsel steht bevor. Nun bin ich bei Programmplatz 57 angekommen: BBC World. Mal ein wenig ins Ausland schnuppern. Der junge Michael Jackson singt. Es läuft eine Dokumentation über den verstorbenen Popstar sowie andere Künstler wie den Schauspieler Karl Malden, bekannt aus «Die Straßen von San Francisco». Das kann man sich ruhig mal anschauen. Entschließe mich dann doch weiterzuschalten. Auf TIMM läuft die Serie «Rodrigo – Spiel der Herzen» - spricht mich nicht an. Zurück zu den Vollprogrammen. Dabei komme ich wieder an einige Kochsendungen vorbei. Nun hat mich der Hunger endgültig gepackt. Ich mache mir schnell was zu Essen, während eine weitere Folge von «Niedrig & Kuhnt» bald zu Ende gehen wird. Ein Ermittler ist unter Verdacht geraten, einen Menschen getötet zu haben, doch für das Theater komme ich zu spät. Etwas Zeit bleibt noch: «Taff» ist in der Werbung. Gerade rechtzeitig zu den letzten fünf Minuten «Two and a half Men» auf kabel eins, schalte ich dorthin. Mit der Sitcom lässt sich das Fernseherlebnis noch mit einem Lächeln im Gesicht ausklingen. Ich beschließe derweil noch weiter zu schauen: Denn nach der Newstime auf ProSieben folgen noch die «Simpsons». Der Hunger ist auch gestillt.

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