Glenn Riedmeier über eine interessante Studie zur RTL II-Show.
Es ist schon kurios. «Big Brother» ist mittlerweile in der zehnten Staffel und dennoch ist diese Sendung derart mit negativen Vorurteilen belastet, dass die meisten Zuschauer in der Öffentlichkeit nicht zugeben wollen, dass sie dieses Format gucken. "Wie kannst du dir nur diesen primitiven Müll anschauen? Das hätte ich nicht von dir gedacht." Und schon ist man stigmatisiert und schaut die Sendung nur heimlich, um sein Gesicht nicht zu verlieren.
Die GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) hat nun eine interessante Studie durchgeführt: Demnach haben 47 Prozent der «Big Brother»-Zuschauer das Abitur oder sogar einen Universitätsabschluss. Damit liegt das Bildungsniveau der Zuschauer des Reality-Formats nur knapp hinter jenem der «Hart aber fair»-Zuschauer (48 Prozent). Dies wird sicher einige überraschen und sollte endlich klar stellen, dass der Bildungshintergrund nichts mit den persönlichen Geschmäckern bzw. der TV-Präferenzen zu tun hat.
Warum guckt man nun «Big Brother»? Glaubt man dem, was RTL II und diverse Tageszeitungen suggerieren, sind die Zuschauer alle an möglichst viel nackter Haut, Duschszenen und Bettengymnastik interessiert - sicher ein Grund für den schlechten Ruf der Sendung. Doch die wahren Beweggründe sind in Wirklichkeit viel komplexer. So sehe ich «Big Brother» als eine Art umfassendes gruppendynamisches Seminar an. Es werden Menschen verschiedenster Gesellschafts- und Bildungsschichten zusammengewürfelt und diese müssen sich nun irgendwie arrangieren. Man kann dabei sehr schön beobachten, wie soziale Bindungen entstehen und sich im Laufe der Zeit zum Teil extreme Antipathien und Sympathien herausbilden. Als regelmäßiger Zuschauer findet man bald seinen Lieblingsbewohner, identifiziert sich in gewisser Weise mit ihm und fiebert mit.
Da man als Zuschauer mehr sieht als die Bewohner, bekommt man mitunter auch fiese Lästerattacken mit, von denen die Betroffenen nichts wissen. In der aktuellen Staffel wurde beispielsweise die 42-jährige Iris Katzenberger zum Mobbingopfer und von fast allen Bewohnern auf die Nominierungsliste gesetzt. Zu deren großen Überraschung wurde sie allerdings von den Zuschauern geschützt und zur beliebtesten Bewohnerin gewählt. Daran kann man wiederum sehen, wie emotional der «Big Brother»-Fan zum Teil reagiert. Schließlich handelt es sich bei diesem Format um eine echte Reality-Soap, und nicht um eine der zahlreichen geskripteten Fake-Formate, die momentan die Nachmittage der Privatsender zupflastern.
Man kann nur hoffen, dass sich das Image von «Big Brother» endlich verbessert und etwas mehr Toleranz erfährt. Nicht selten haben die ärgsten Verurteiler des Formats keine einzige Ausgabe der Sendung vollständig gesehen. Mein Tipp: Einfach mal einschalten und sich auf das Format einlassen. Sie wären nicht der erste langjährige Verweigerer, der plötzlich zum Stammzuschauer geworden ist.