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Der Zuschauer kann an einer solchen Charakterentwicklung nur zweifeln. Doch die Macher von «True Blood» wirken dieser Unglaubwürdigkeit ansatzweise entgegen, indem sie Jason selbst an dem Kult zweifeln lassen – er fällt in eine Art Lebenskrise und erkennt, dass die Kirche nur ein Versuch sein soll, um seine Aufgabe im Leben zu finden. Doch es ist schon fast zu spät zum Ausstieg, denn Jason steigt innerhalb des Kults schnell in höhere Machtpositionen auf. Derweil werden Sookies und Bills Beziehung auf harte Proben gestellt, weil sie immer mehr von der dunklen Vergangenheit ihres Vampir-Lovers erfährt. Dennoch entwickelt sich die Romanze in den ersten Folgen der zweiten Staffel zu einer fast normalen und menschlichen Beziehung mit ihren Hochs und Tiefs, ihren üblichen Streitereien und Versöhnungen. Eine Weiterentwicklung der Paargeschichte um Sookie und Bill sieht man noch nicht, denn HBO-typisch reduziert man das Erzähltempo der Hauptprotagonisten auf ein Minimum inmitten der Serie.
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Es scheint also, dass ein Krieg zwischen den Vampiren und den Menschen heraufbeschworen wird – immer wieder wechseln die Macher der Serie zwischen der nun in der Story etablierten Menschen-Partei des religiösen Kultes sowie der Vampir-Partei um den verbrecherischen Eric. Das Meisterstück der Serie ist also auch nach Staffel eins weiterhin, dass der Zuschauer einfach nicht weiß, auf welche Seite er sich stellen soll. Diese Ambivalenz und Bipolarität zweier Mächte macht «True Blood» auch in der zweiten Staffel zu einem wahren Fernsehvergnügen.
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Die ersten vier Folgen der zweiten Season machen «True Blood» endgültig zu einem epischen Spektakel, das nun auf eine langfristige Produktion ausgelegt zu sein scheint, denn viele neue Handlungsfäden, spannende neue Charaktere und die sogenannte inhaltliche „Ruhe vor dem Sturm“ zeigen in diesen ersten Folgen, dass HBO mehr als ein weiteres Jahr mit dieser Serie plant. Kein Wunder, denn nach der nur mäßig erfolgreichen ersten Season wurde «True Blood» mit der zweiten Staffel zum absoluten Publikumshit und zur erfolgreichsten HBO-Serie nach dem Ende der «Sopranos». Die dritte Staffel läuft im Sommer 2010 in den USA, eine vierte ist in Planung. «True Blood» ist ein wildes Abenteuer jenseits des anhaltenden Vampir-Hypes. Ohne ihn hätte es diese Serie nicht gegeben, aber sie setzt sich überzeugend als erwachsenes und brutales, ja sogar authentisches Gegenstück zum «Twilight»-Einheitsbrei ab. Und sie schafft das, was fast allen anderen TV-Serien vorbehalten bleibt: den Zuschauer süchtig zu machen. Zwar nicht nach Vampirblut, aber immerhin nach der nächsten Folge.
13th Street zeigt die zweite Staffel von «True Blood» samstags um 20.13 Uhr mit Doppelfolgen in deutscher Erstausstrahlung.