„Stefan Raab reicht nicht.“: In Berlin diskutierten bekannte Journalisten und Politiker über die Rolle von Informationssendungen im Privatfernsehen. Christian Richter war bei der Veranstaltung dabei und fasst die wichtigsten Aussagen und die allgemeine Stimmung zusammen.
Berlin an einem frühen Vorabend im Februar. Erstmals seit Monaten war der Asphalt der Bürgersteige unter dem tauenden Schnee flächendeckend zu erkennen. An der schmucklosen Behrenstraße wehte zwischen einer der vielen Baustellen, einem alten Parkhaus und dem Kostümfundus der Komischen Oper tief im preußischen Feindesland einsam eine weiß-blaue Fahne am Gebäude der Bayerischen Landesvertretung. Von außen ließ sich kaum vermuten, dass sich in diesem Gebäude ein paar der wichtigsten Journalisten und Politiker Deutschlands versammelt haben. Sie kamen an diesem Abend zusammen, um über die Zukunft der Nachrichten im deutschen Privatfernsehen zu sprechen - von den öffentlich-rechtlichen Kanälen fand sich übrigens kaum jemand ein.
Zu der Diskussion hatte der Redaktionsausschuss des Nachrichtensenders N24 eingeladen, dem eine ungewisse Zukunft bevorsteht. Nachdem die Leitung des Mutterkonzerns ProSiebenSat.1 Media AG andeutete im Nachrichtenbereich deutlich einsparen zu wollen, stand zuletzt sogar ein Verkauf des Senders zur Disposition (Link). Diese Pläne und die damit verbundene Frage nach der Bedeutung des Programmsegments Nachrichten sollten öffentlich erörtert werden.
Unter den rund 200 Gästen befanden sich auch der N24-Chefredakteur und Sat.1-Anchorman Peter Limbourg, der N24-Korrespondent Steffen Schwarzkopf und der Medienwissenschaftler Joe Groebel. Sie alle folgten der Diskussion zwischen dem Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen Christian Wulff, dem Leiter der Bayerischen Staatskanzlei Siegfried Schneider, dem Vorsitzenden der Landesmedienanstalten Thomas Langheinrich, dem ehemaligen, langjährigen, Geschäftsführer von Sat.1 Jürgen Doetz sowie dem CEO ProSiebenSat.1 Media AG Thomas Ebeling (Foto). Die Einleitung des Symposiums übernahm der N24-Sonderkorrespondent Dieter Kronzucker, der einen persönlichen Appell für den Erhalt des Senders vortrug.
Die anschließende Diskussion verlief sehr allgemein und unkonkret. Handfeste Lösungen wurden kaum besprochen. Ministerpräsident Wulff betonte mehrfach, dass Fernsehen ein Kulturgut und kein Wirtschaftsgut sei. Daher begrüße er jeden noch so kleinen Ansatz zur Meinungsbildung. In diesem Zusammenhang lobte er ausdrücklich Stefan Raab für seine Sendungen zur Bundestagswahl, bei denen Wulff selbst zu Gast war. Gleichzeitig machte er aber auch deutlich, dass ihm nur Stefan Raab nicht reichen würde. Die Vollprogramme bräuchten Nachrichten auf einem hohen Niveau, weil sie eine gesellschaftliche Verantwortung hätten. Darin waren sich die Teilnehmer auf der Bühne und im Saal einig. Es bestand zwar ein allgemeiner Konsens, dass auch die privaten Vollprogramme qualitativ hochwertige Nachrichten liefern müssen und dies auch wollen, doch wie dies in Zukunft gesichert werden könne, blieb größtenteils unklar. Letztendlich wurden lediglich zwei konkrete Ansätze aufgezeigt.
Den einen bot Thomas Langheinrich von den Landesmedienanstalten an. Er vertrat die Meinung, dass es sich für die Sender lohnen muss in Nachrichten zu investieren - also dass es sich lohnen muss ein Vollprogramm zu sein. Dazu müsse man mehr geeignete Anreize schaffen. Bisher galt, dass Vollprogramme bessere Plätze im Kabelnetz erhielten, doch durch die Digitalisierung ist dieser Anreiz kaum noch fruchtbar. Als Alternative wäre demnach ein besseres Auffinden in EPGs denkbar. Ob dieser Schritt ausreicht und man nicht eher über eine allgemeine Lockerung der Werbezeitenregelungen für Vollprogramme nachdenken sollte, wird sich zeigen müssen.
Christian Wulff war es dann, der den konkretesten Vorschlag zur Verbesserung der Situation der Privatsender erbrachte. Er könne sich vorstellen eine allgemeine Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern bei der Nutzung von technischen Infrastrukturen durchzusetzen. Konkret würde dies bedeuten, dass für alle Sender beispielsweise nur noch ein Sendestudio in einer Krisenregion wie Haiti errichtet werden müsste und alle Kanäle die technischen Einrichtungen nutzen könnten. Er nannte sogar die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 09. Mai als ersten möglichen Startpunkt für eine solche Zusammenarbeit.
Für große Verwunderung sorgte unterdessen der Vorstandvorsitzende der ProSiebenSat.1 Media AG Thomas Ebeling als er den publizistisch, wertvollen Anteil des Programms bei ProSieben und Sat.1 auf je 30 Prozent schätzte. Als Beleg nannte er mehrfach «Galileo» als eine wichtige Informationssendung. Bei dieser würden die Informationen nur auf eine andere Art angeboten werden. Das Talent der Sender läge schließlich nicht in den klassischen Nachrichten, sondern mehr im Bereich des Infotainments.
Um die Kosten zu senken schlug er obendrein ernsthaft vor, zukünftig nicht immer nur bewegte Bilder einsetzen zu wollen, denn oft würde auch ein einfaches Foto reichen. Wulff entgegnete dem zu Recht, dass man dann nur noch eine Videotexttafel und keinen Fernsehsender mehr bräuchte.
Nur einmal kurz wurde das Gespräch übrigens auf die RTL-Group gelenkt, die schließlich beweist, dass mit engagierten Nachrichten auch gute Quoten erzielt werden können. Diese Tatsache wurde jedoch von den Anwesenden mit dem Umstand abgetan, dass der Sender in eine Verlagsgruppe integriert sei und damit bessere Voraussetzungen habe. So leicht kann man es sich natürlich auch machen.
«ProSieben Newstime»-Moderatorin Christiane Jörges (geborene Gerboth) leitete die Debatte solide, konnte aber bei den Teilnehmern keine wirkliche Diskussion entfachen. Sie vermochte es trotz Heimvorteil nicht den unangenehm ruhigen Thomas Ebeling aus der Reserve zu locken. Nach rund 90 Minuten brach sie dann die Sitzung mit Hinweis auf das folgende Buffet abrupt und weitesgehend ergebnislos ab.
Trotz der eindeutigen Überzahl an N24-Mitarbeitern war die Stimmung im Saal erstaunlich ruhig. Obwohl deren Arbeitsplätze ernsthaft bedroht sind, blieben sie während der Veranstaltung eindrucksvoll gelassen. Es gab bei den unangenehmen Äußerungen der Konzernspitze weder Buh-Rufe noch laute Proteste und nur eine erbärmliche Anzahl an kritischen Nachfragen. Hier und da flammte bei einigen positiven Statements zwar etwas Applaus auf, aber von einer zornigen Belegschaft und Existenzängsten war nichts zu spüren. Dadurch verpuffte das durchaus ambitionierte Symposium zu einem belanglosen Abend, bei dem für viele Teilnehmer ohnehin das Treffen mit alten Kollegen im Zentrum zu stehen schien. Schade, hier wäre mehr Engagement nötig gewesen, um wirklich ein deutliches Signal zu setzen.