18 Monate lang hat Günter Stampf an dem neuen Sat.1-Format «Urteil Mord» gearbeitet. Welche Probleme bei den Recherchen auftraten und was ihm bei der Produktion wichtig war, verriet er im Gespräch mit Quotenmeter.de.
Herr Stampf, nach dem anhaltenden Erfolg der «Schulermittler» bei RTL, die bis zu über 24 % Marktanteil erzielen, kommt nun eine weitere Stampfwerk-Produktion ins deutsche Fernsehen. Es handelt sich um «Urteil Mord-Spurensuche hinter Gittern», das Sat.1 nun an sechs Sonntagen nach den US-Krimis zeigt. Worum geht es?
Der weltweit anerkannte Kriminalpsychologe Dr. Thomas Müller analysiert in unserer Serie nicht nur die Tatorte von Straftaten, sondern vor allem die Täter. Das ist einmalig in der Fernsehlandschaft. In einer Folge geht es beispielsweise um den Fall der am helllichten Tag verschwundenen Peggy Knobloch – da gibt es bis heute etliche Fragezeichen, ob der verurteilte Mörder Ulvi Kulac tatsächlich die Tat begangen hat. Wir versuchen die wahren Hintergründe von Straftaten zu beleuchten. Im Kern analysiert Dr. Müller jedoch, wie diese Menschen zu Mördern wurden, was in deren Leben geschehen ist, etwa im Fall der so genannten Todeskrankenschwester in Berlin. Was veranlasste diese Frau schwerkranke Menschen, die auf der Intensivstation liegen, sich zur Richterin über Leben und Tod zu erheben und mehrere Patienten tot zu spritzen? Wir analysieren also, warum die Täter dies gemacht haben.
Klingt ein wenig nach «Autopsie», das am Sonntagabend bei RTL II sehr gute Quoten holt.
Von der Thematik her ist es zwar das gleiche Genre – es geht um Mord, nur sehen wir in „Autopsie“ nie die Täter – in „Urteil Mord““ schon. Wir setzen also genau dort an, wo andere aufhören. Dieser Umstand hat die Produktion auch so aufwendig gemacht. Für sechs Folgen haben wir 18 Monate gearbeitet. Oftmals waren es gar nicht die Täter oder deren Familien, die nicht gefilmt werden wollten, es waren auch nicht die Angehörigen der Opfer – die Behörden und die Justiz mussten wir mühevoll überzeugen. Es dauerte teilweise sehr lange und war sehr arbeitsintensiv, dass wir Drehgenehmigungen in den Hochsicherheitsgefängnissen bekamen.
Wie ist die Idee entstanden?
Das Format ist eine Eigenentwicklung. Stampfwerk hat für RTL eine hochwertige Dokumentation über den Kannibalen von Rothenburg gemacht, die bei RTL und in weiteren 21 Ländern mit hohen Einschaltquoten lief. Das hat der damalige Sat.1-Chef Dr. Torsten Rossmann gesehen und hat daraufhin bei uns Reihe für Sat.1 bestellt, die die Analyse von Straftätern im Focus hat.
Manche Menschen sagen, Sie würden Verbrechern nun eine Plattform bieten, die Sie gar nicht verdient haben.
Wie bieten dem Verbrecher keine Plattform, sondern begleiten die Arbeit eines Profilers, der dem Verbrecher ins Visier nehmen muss, um die Hintergründe eines schweren Kapitalverbrechens herauszufinden. Er fragt nach, hinterfragt, analysiert. Der Zuschauer ist hautnah bei der spannenden Polizeiarbeit dabei. Herr Dr. Müller ist auch als Kriminalpsychologe für das österreichische Innenministerium tätig und weltweit bei großen Kapitalverbrechen im Einsatz. Er reist ständig um die Welt und auch vor Gericht als Experte gefragt. Für ihn gehört die Befragung des Täters dazu. Sicherlich ist es auch das Interesse, das man die verurteilten Täter sehen will. Und man ist erschrocken, wie „normal“ oder abgebrüht manche Mörder wirken. Bei Hitler-Sendungen im ZDF sagt aber auch niemand, dass der Sender den Nazis eine Plattform bietet. Oder die ARD mit der RAF. Es ist uns als Produzent sogar extrem wichtig, dass wir den Verbrechern keinerlei Plattform bieten. Dr. Müller ist auf der Suche nach den Gründen für eine Tat. Er versucht festzustellen, ob es denn im Leben des Täters einen Moment gab, an dem die Tat vermeidbar gewesen wäre, wenn der Täter über Probleme gesprochen oder sich sonst irgendwie erleichtert hätte. Das ist seine Aufgabe, Daten zu sammeln um in vergleichbaren Fällen frühe Warnzeichen zu entdecken. Im deutschen Fernsehen wird außerdem regelmäßig nur über bestimmte historische Verbrechen berichtet, siehe RAF oder das Hitler – ist das alles? Nein, wir zeigen als modernes Unternehmen die Verbrechen von heute, die uns alle bewegen und dies zu Recht. Die Gesellschaft interessiert sich dafür, was aktuell passiert.
Guter Journalismus oder doch eher auch etwas Gier nach Sensation?
Das ist ein entscheidender Punkt: Wir begleiten Dr. Müller bei seinem normalen Job – er hat in seiner Laufbahn schon Tausende Analysen von Tätern erstellt – er befragt verschiedene Menschen. Natürlich auch den Täter – aber er wird wie alle als „Zeuge“ gehört. Diese dokumentarische Arbeit ist nicht zugespitzt – es soll nur wichtige Fragen aufarbeiten, die wir uns alle nach bestimmten Schlagzeilen stellen. Da gibt es den Fall eines Mannes, der sich zunächst in einen Familienbund geschlichen hat und später zum Mädchenmörder wurde. Wie tarnte er sein Doppelleben? Oder einen Gartenlaubenbesitzer, der drei Nachbarn erschlug. Wie kann so etwas geschehen? Wie kann man sich schützen? Übrigens: Es gibt in Deutschland nicht viele Sender, die in solche Arbeit investieren. 18 Monate intensive Recherche für sechs Folgen – Sat.1 hat das getan und dafür sind wir dankbar.
Das Format wird am Sonntagabend um 22.15 Uhr gezeigt – ein sehr guter Sendeplatz für Sie?
Katja Hofem-Best, die neue Leiterin des Dokutainment-Bereiches bei Pro Sieben Sat 1, hat die Serie bei Sat.1 auf diesem prominenten Sendeplatz platziert. Wir freuen uns, dass unsere Arbeit am Sonntagabend zu sehen ist. Der «Tatort» im Ersten greift oft ähnliche Themen auf, in Sat.1 sind zuvor starke US-Kriminalserien zu sehen. Das müsste vom Audience Flow her passen.
Sie haben davon gesprochen, dass die Zusammenarbeit mit den Behörden manchmal sehr schwer war, sie lange auf Drehgenehmigungen warten mussten. Gab es denn Fälle, die Sie nicht umsetzen konnten?
Es gibt sicher Fälle, wo es eine Gratwanderung ist – soll man das behandeln, soll man es sein lassen? Der Fall Fritzl wäre beispielsweise einer gewesen, den ich nicht gemacht hätte. Da leiden die betroffenen Menschen heute noch drunter, seine minderjährigen Opfer wollen anonym bleiben. Es ist uns, wie schon erwähnt, wichtig, dass wir den Tätern kein Forum für Ihre abscheulichen Taten geben; diese werden von Dr. Müller auch klar eingeordnet. Wann lügt ein Verurteilter? Wie versucht er zu manipulieren? Das ist hoch spannend. Bei Armin Meiwes, dem Kannibalen von Rotenburg, ist uns das ja auch sehr gut gelungen, wie ich finde. Wir haben seine Beweggründe journalistisch sehr sauber transportiert.
Wäre denn eine zweite Staffel denkbar? Auch angesichts der langen Produktionszeit?
Warum nicht, selbstverständlich! Gut Ding braucht natürlich Weile, die Qualität muss stimmen – wir können das Konzept sicherlich in eine Richtung entwickeln, dass innerhalb eines Jahres weitere Ausgaben möglich sind. Da haben wir schon zwei Ideen in der Schublade. In sechs Monaten könnte man ein solches Projekt jedoch nicht drehen – das ist klar. Somit ist «Urteil Mord» wohl das krasse Gegenteil von unserer erfolgreichen Scripted Reality «Die Schulermittler». Hier drehen wir eine Ausgabe in 18 Stunden, «Urteil Mord» dauerte 18 Monate.
Sie haben vorhin über Katja Hofem-Best gesprochen – und sich dankbar gezeigt, dass Sie «Urteil Mord» so vertraut. Sehen Sie das als Bestätigung für die hohe Qualität an?
Wir kennen und schätzen Katja Hofem-Best als Fernsehprofi – sie weiß genau, was sie tut und ist für alle Produzenten eine kompetente und professionelle Ansprechpartnerin. Die Farbe Crime war schon immer eine wichtige und erfolgreiche Programmfarbe von Sat.1.
Kennen Sie Katja Hofem-Best schon lange?
Noch vor der Zeit bei Sat.1 und DMAX/Discovery war Frau Hofem-Best bei RTL II erfolgreich als Programm-Macherin tätig – damals haben wir für RTL II nicht nur «Megaman» produziert, sondern auch «Die Beauty Klinik» oder «Boat of Love» womit wir auf allen Sendeplätzen die Quote stark gesteigert oder sogar verdoppelt haben. Schon damals verlief die Zusammenarbeit korrekt und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stampf.