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«Germany’s Next Topmodel» – Was könnte Heidi besser machen?

von
Seite 3
Uwe Walter, der als Berater für verschiedene Sender und Formate arbeitet, hat sich «Germany's Next Topmodel 5» genauer angeschaut. Für Quotenmeter.de hat er eine sehr ausführliche Analyse erstellt.

Die Prüfungen


Ein weiteres Kernelement von «Germany’s Next Topmodel» sind die vielen Prüfungen, die die Mädchen bestehen müssen. Meist sind das Herausforderungen, die offiziell das Erwachsenwerden, die Anpassungsfähigkeit, den Willen zur Modelkarriere dokumentieren sollen. Doch tatsächlich geht es in den Prüfungen häufig darum, ob das Mädchen seine limbischen Schwellen und moralischen Grenzen überwinden kann. In der Sendung vom 22. April 2010 lauten die Prüfungen: Ist ein Mädchen bereit, sich trotz Kälte halbnackt in der Öffentlichkeit fotografieren zu lassen? Ist ein Mädchen bereit, sich eine Tarantel über den Kopf laufen zu lassen oder eine Schlange um den Hals zu legen? Die Sendung wirkt wie ein Käuflichkeitstest mit der Frage: Bringe ich junge Frauen dazu, ihre Tabus und Schamgrenzen für den fernen Traum „Topmodel“ hinter sich zu lassen? Denn wer für seine Werte, Gefühle und Überzeugungen einsteht, wird als unprofessionell eingestuft und fliegt vielleicht raus.

Ständig wird den Mädchen gesagt: Schau interessant, schau emotional, zeige überhaupt was, streng Dich an, gib alles. Aber wer erklärt den Mädchen beispielsweise die „Sense Memory“-Technik, mit der man Gefühle aus anderen Lebenserfahrungen auf die aktuelle Situation übertragen kann? Niemand.

Anstatt dessen geht es um Kälte, Nacktheit und Scham, um niemals endende Selbstdarstellung, Promis, Spinnen und Schlangen. Schön deshalb der Moment, als der Fotograf Rankin in der vorigen Sendung bemängelt, dass die Gesichter leer und langweilig sind. Was sollen sie auch anderes sein, wenn Charakter, Werte, Gefühle und Beziehungen genauso unerwünscht sind und rausgeschnitten werden wie echte Geschichten und Fallhöhen? Feuer, Nebel, Windmaschinen und verrücktes Styling werden es sicher nicht richten.

Letztendlich mündet die Show in der Entscheidung. Das Schicksal bzw. Heidi Klum schlägt zu, denn „An der Spitze ist nur Platz für Eine“. Da die Kriterien nicht klar sind und die Jury nicht wirklich am Thema arbeitet, geht das wie immer. Auftritt der Juryvorsitzenden, dann Daumen hoch oder Daumen runter. Viel besser ist das in der Show vom 29.April, in der Heidi die Mädchen selbst fotografiert. Bei der Entscheidung merkt man, dass sie sich den Mädchen angenähert und ein anderes Verhältnis zu Ihnen aufgebaut hat.

Was wäre, wenn die Prüfungen wie folgt motiviert wären: Es geht um die Bereitschaft, sich auszuziehen. Die Mädchen besprechen das wirklich untereinander, erzählen es ihren Angehörigen. Was, wenn der Schritt und die Veränderung spürbar wären und sich bei den Mädchen was tut? Dann würde die Prüfung ritualisierter stattfinden, mehr im Sinne einer Initiation. Es gäbe eine nachvollziehbare Entwicklung, an der die jungen Zuschauerinnen sich aufrichten und teilhaben könnten.

Oder die Prüfungen sind in echte Storys eingebunden oder entwickeln sich aus diesen. Wie steht es um die Rangordnung, wo sind die Verbündeten und die Feinde unter den Mädchen. Wie beeinflussen diese die Prüfungssituationen? Was denken die Mädchen wirklich? Wer ist anständig, wer gerissen? Mit welchen Eigenschaften macht man Karriere? Und vor allem: Was fühlen die Mädchen?

Die Mädchen


Das wertvollste Gut der Sendung sind die Mädchen. Sie sind die, mit denen sich die Zuschauerinnen identifizieren. Und genau da liegt das Problem. Bei «Germany’s Next Topmodel» sind die Mädchen namenlos in ihrer Herkunft, ihrer Denke, ihren Beziehungen und Bedürfnissen. Sie schaffen bisher nur selten den Sprung zur interessanten Persönlichkeit, bei der man sich was abgucken kann oder bei der Gönn-, Neid-, Hass- oder Bewunderungsfaktoren einsetzen. Sie könnten zu Heldinnen werden, die über alles hinauswachsen. Stattdessen wirken sie wie eine Herde junger Rehe auf dem Weg zur Schlachtbank oder zum nächsten Dinner mit Heidi. Ihre Auftritte bleiben relativ beliebig. Emotionen kommen nur vom Ekel-, Scham- oder Angstfaktor. Ihre Werte müssen sie aus dem Herzen räumen, so dass am Ende nicht viel mehr bleibt als der Satz: „Ich bin die Neele von «Germany’s Next Topmodel». Was soll ich jetzt tun?“

Was würde passieren, wenn jedes Mädchen wirklich jemand sein dürfte? Wenn ihr Charakter, ihre Herkunft, ihre Beziehungen zu Hause und ihre Rolle in der Gruppe eine Bedeutung und Raum bekommen würden? So könnte man auch wieder andere Kandidatinnen zur Teilnahme bewegen als Mädchen aus der verletzten, zu allem bereiten Unterschicht. Wie wäre es, die größten Talente und Potenziale der Mädchen freizulegen? Ihnen freiere Aufgaben zu stellen, in denen sie ihre Talente in Bereichen wie Kreativität, Akquise oder Geschmack zeigen können? Warum zeigt «Germany’s Next Topmodel» nicht immer wieder die Familien zu Hause und wie alle mit der Trennung auf Zeit umgehen?


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