Die Kritiker

«Eine Frau in Berlin»

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Inhalt:


Es scheinen Sekunden vergangen zu sein. Wenige Sekunden, die Frieden und Sicherheit von Krieg und ständiger Angst trennen. Im Berlin des Jahres 1941 feiert Anonyma mit Freundinnen und Bekannten den eingeschlagenen Weg Hitlers – lediglich das Fehlen ihres Gatten Gerd, der tapfer an der Front für seine Heimat einsteht, vermag Anlass zur Trauer zu geben. Vier Jahre später findet sie sich in den Trümmern der Hauptstadt wieder, die kurz darauf von den Sowjets gestürmt wird. Sie und Massen an anderen Frauen fallen Vergewaltigungen zum Opfer. Die strikte Verdrängung dieser Ereignisse wird zur Fassade und die Fassade entwickelt sich zu einem Fluch, der es unmöglich macht, zurück zur Normalität zu kehren.

Dieses Bestreben wird von den Horden an mutmaßlichen Befreiern ohnehin verhindert, Anonyma und die restlichen Bewohners ihres Wohnhauses sind keinesweges sicher. Obwohl sie sich der Gefahr bewusst ist, lässt Anonyma ein Flüchtlingsmädchen mitsamt deutschen Deserteur in ihren alten Räumlichkeiten unterkommen. Während sich ein schweigsamer Russe bei Familie Hoch einnistet, verfasst Anonyma ein Tagebuch, das es zu Weltruhm bringen wird. Ein Tagebuch, das von ihrem Bemühen handelt, einen Beschützer zu finden, dem sie sich dennoch hingeben muss. In Major Rybkin hat sie diesen Mann gefunden. Doch diese Rolle ist bei weitem nicht alles, was ihn und Anonyma verbindet.

Darsteller:


Nina Hoss («Yella») ist Anonyma
Jewgeni Sidichin («Die Baracke») ist Andrej Rybkin
Irm Hermann («Mein Bruder ist ein Hund») ist die Witwe
Rüdiger Vogler («Anatomie») ist Eckhart
Ulrike Krumbiegel («Antikörper») ist Ilse Hoch
Rolf Kanies («Die Bienen») ist Friedrich Hoch
Jördis Triebel («Emmas Glück») ist Bärbel Malthaus
Juliane Köhler («Der Untergang») ist Elke
August Diehl («Die Fälscher») ist Gerd

Kritik:


Die erste Ausgabe des Buches «Eine Frau in Berlin» wurde 1954 veröffentlicht und zwar in den Vereinigten Staaten. Unter dem Titel «A Women in Berlin» schossen die Verkaufszahlen in die Höhe, die Anonymität der Autorin reizte Leser nur umso mehr. Hierzulande erschien das autobiographische Werk erst fünf Jahre später und stieß auf vehemente Ablehnung, gelang es ihm doch das mithilfe immerwährendem Schweigen gewahrte Bild der deutschen Frau zu erschüttern. Erst als Magnus Enzenberger die Aufzeichnungen der so genannten Anonyma 2003 in «Die andere Bibliothek» aufnahm, erhielten sie verdientes Rampenlicht und wurden zum Stoff von Diskussionen. Produzent des gleichnamigen Filmes Günter Rohrbach habe daraufhin laut eigenen Angaben nicht gezögert und sich in Verhandlungen mit einer Freundin der 2001 verstorbenen Anonyma und der Ehefrau von Journalist C.W. Ceram begeben, die die Rechte inne hatten. Gemeinsam mit Regisseur Max Färberböck, der auch das Drehbuch verfasste, wurde das Projekt in Angriff genommen. Im Oktober 2008 fand «Eine Frau in Berlin» mit Nina Hoss in der Hauptrolle seinen Weg in die Filmtheater – und nun auch in das öffentlich-rechtliche Programm des ZDFs.

In obigem Rückblick erwähnte Diskussionen führten nur alsbald zu lautstarken Vorwürfen, die Anonymas Tagebuch als Fälschung entlarven zu gedachten. Um die Authentizität zu beweißen, wurde Gutachter Walter Kempowski durch den Verlag Zugang zu den Originalen gewährt. Im Zuge der Entwicklungen wurde zwar der Wahrheitsgehalt derer, aber auch der in dieser Kritik ungenannt bleibende wahre Name der Autorin öffentlich. Fest steht, dass Anonyma Fotografin und Journalistin war und die Welt bereist hat, was auch Färberböcks Drehbuch nie müde wird, zu erwähnen. Etwas ungewisser werden die Fakten da schon bei ihrer Macht über das Russische, das sie zu Beginn des Filmes noch mit wenigen und unsicheren Worten preisgibt. Früheren Recherchen zu Folge, sprach Anonyma fließend Französisch und Russisch, was ihren Aufenthalten in Paris und Moskau zu verdanken ist. Ein winziger Storyschnitzer, der seine Wirkung nicht verfehlt und die Szenerie so etwas interessanter gestaltet. Interessant und überaus prominent besetzt ist «Eine Frau in Berlin» ohnehin, doch unglücklicherweise kann die Produktion auf Ebene des Filmes keineswegs überzeugen.

Dies lässt sich recht simpel erklären: «Der Herr der Ringe» hätte auch auf Tolkiens Art und Weise verfilmt hätte werden können. Den Großteil der Laufzeit hätte das gewillte Publikum dann allerdings damit verbracht, die unterschiedlichen Abstufungen der Farbe Schwarz im Schatten der Taverne 'Zum Tänzelndem Pony' auszumachen, die Frodo und seine Freunde aufsuchen. Auch J.D. Salingers großartiges «Der Fänger im Roggen» hat mit Sicherheit eine Realisierung für die Leinwand verdient, doch ohne deutliche Änderungen der Geschichte, wäre Holdens mehrfach gespielte Schusswunde selbst mit einem Voice-Over ungeeignet für eine Szene von zwei Minuten. Lange Rede, kurzer Sinn: Das Buch «Eine Frau in Berlin» hat nicht viel als Filmvorlage zu bieten, jedenfalls insofern man sich an die Tatsachen hält. Und genau das hat man getan, was man den beiden federführenden Männern hinter der Verwirklichung jedoch gleichermaßen zu Gute halten muss. Ein gänzlich anderes Projekt wäre vermutlich einfach die bessere Alternative gewesen. Obgleich Nina Hoss beachtenswerte Schauspielkunst zum Besten gibt, das Szenario Potential offenbart und das Gesamtpaket zum Einschalten verführt, werden es die unaufhörlichen Stummfilm-Momente sein, die in Erinnerung bleiben. Kontinuierlich bewegt sich Hoss von Punkt A zu Punkt B und wechselt dabei Blicke mit vermutlich jedem einzelnen Rotarmisten vor Ort. Von Anonyma auf die Trümmer, von den Trümmern zu einem Russen, von einem Russen zu Anonyma, immer und immer wieder.

Hoss spielt äußerst stimmig, holt alles aus ihrer Figur heraus, was es zu holen gibt. Das Ergebnis ist somit sachgemäß kühl und resigniert. Anonyma war schonungslos in ihrem Schreibstil. Ihr Buch scheint weniger zu richten, als zu berichten. Ihr Schicksal anerkennend, beginnt diese Frau einen “Wolf unter Wölfen” zu suchen, dem sie die notwendige Zuneigung schenken wird, um Schutz zu erlangen. Was in einer Inhaltszusammenfassung spannend klingt, wirkt wie eine kalte, leere Hülle auf dem Schirm. Zuschauern, die «Eine Frau in Berlin» nicht nur auf Grund des spärlichen Informationsgehaltes sehen möchten, sondern daneben auch ein Drama erwarten, das ihren Abend füllt, können mit den unnahbaren Charakteren und Storylines schlicht nichts anfangen. Letztere sind darüberhinaus sowieso lachhaft. Immer wieder erhascht man Blicke auf die verstörte Frau und den besorgten Soldaten in der Dachgeschosswohnung sowie Frau Hoch und ihren heimgekehrten Ehemann. Die Figuren bleiben dabei bis kurz vor dem Ende farblos und mehr oder minder unnötig. Dass der Major für Anonyma eintritt, als ihr Verschulden der Vertuschung aufgedeckt wird, wird als Wendungspunkt gesehen, macht letztlich aber kaum etwas aus. Womöglich sind die Schweigeminuten zwischen Anonyma und ihrem persönlichem Wolf dadurch noch länger geworden, aber davon abgesehen war die potentielle Liebe seit dem Sieg der Rotarmisten ohenhin zum Scheitern verurteilt.

Zweifellos hätten Färberböck und Rohrbach noch einige Stufen besteigen können, doch die ersehnte Türe der informativen Unterhaltung wäre gleichwohl geschlossen geblieben. Sicherlich, «Schindlers Liste» hatte weitaus abwechslungsreichere Vorkommnisse zur Angelegenheit, doch Spielbergs Film hatte ebenfalls tiefer begründete Motive, die ihn zu einer Verfilmung trieben, die man nach «E.T.» und «Jurassic Park» zum Scheitern verurteilte. Mit «Eine Frau in Berlin» nutzte man auch die neue Popularität des Stoffes und nicht zuletzt die Gewissheit, dass eben dieser ob seiner Wurzeln zünden würde. Schwächelt der Plot, versagen die Nebengeschichten und ziehen Szenen wie die Unterhaltungen der Frauenrunde über die Vergewaltigungen die traurige Atmosphäre ins Lächerliche, um eine angebliche Verarbeitung zu demonstrieren, kann ein Film nicht zu empfehlen sein. Wie schade es darum auch sein mag.

Das ZDF zeigt den ersten Teil von «Eine Frau in Berlin – Anonyma» am Montag, den 10. Mai 2010, um 20:15 Uhr. Part zwei folgt am Abend des Mittwochs, 12. Mai 2010, ebenfalls um 20:15 Uhr.

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