Inhalt:
Andrea Jahn, Lehrerin aus Überzeugung, ist der Auffassung, jeder einzelne habe eine zweite Chance verdient. Im Falle ihres Schülers Niklas Matuschka handelt es sich allerdings um die gefühlt hunderste Möglichkeit der Rehabilitation, die dieser nur zu gerne ausschlägt. Als Niklas beginnt, Andrea Avancen zu machen und ihr schließlich seine Liebe gesteht, gerät das geruhsame Leben der Pädagogin aus den Fugen, nicht zuletzt, da sie sich selbst zu dem selbstbewussten, aber gleichermaßen verstörten jungen Mann hingezogen fühlt.
Die vermeintliche Ignoranz ihres Ehemannes Michael trägt das Übrige zur wankenden Gefühlslage bei. Doch bevor tatsächlich etwas geschieht, hat der Skandal bereits seinen Anfang genommen – das Gerücht eines Verhältnisses zwischen Andrea und Niklas flutet die Schulkorridore und kurz darauf die Schlagzeilen.
Darsteller:
Ursula Karven («Tatort») ist Andrea Jahn
Sergej Moya («Der beste Lehrer der Welt») ist Niklas Matuschka
Axel Milberg («The International») ist Michael Jahn
Katrin Sass («Polizeiruf 110») ist Gwendolyn Scherbach
Johanna Gastdorf («Adelheid und ihre Mörder») ist Ingrid Hoch
Oliver Breite («Nachtgestalten») ist Roland Häcker
Isolda Dychauk («30 Tage Angst») ist Lisa Benz
Kritik:
Kein Zweifel, Thomas Oliver Walendys Drehbuch «Stille Post», das seiner Arbeit an «Ein Dorf sieht Mord» (2009) voraus ging, liegt Zoë Hellers Buch bzw. vielmehr der entsprechenden Filmadaption «Tagebuch eines Skandals» (2006) mit Cate Blanchett und Judi Dench in den Hauptrollen zu Grunde. Dieser war für zahllose Preise nominiert – neben diversen Ehrungen der beiden Darstellerinnen, erhielt auch Patrick Marber eine Auszeichnung für das Screenplay. Sieht man einen Augenblick von der allgemein sehr faszinierenden Prämisse und dem großartigen Kammerspiel der zwei Damen ab, so hatte «Tagebuch eines Skandals» nur wenig zu bieten. Zum einen ist es dem Publikum in Richard Eyres Regiewerk kaum möglich, Seiten einzunehmen und notwendige Sympathie zu Blanchetts Figur Sheba zu entwickeln, zum anderen blieb vor allem der Charakter Steven Connolly (Andrew Simpson), mit dem die Lehrerin eine Affäre eingeht, mehr als blass. Dem Film fehlte ein Höhepunkt sowie die eigene Handschrift. Deshalb ist «Stille Post» die bessere Alternative, wenngleich Ursula Karven keine Judi Dench an ihrer Seite hat.
Amüsant an letzterer Tatsache ist, dass man ohne Vorwissen der Unterschiede zwischen den beiden Filmen, zunächst durchaus an ein Duo glauben könnte: Katrin Sass, die Schulrektorin Scherbach verkörpert, hat nicht nur eine ähnliche Frisur, wie sie Dench damals trug, sondern bietet sich in ihrer Funktion als vernünftiges Lehrorgan zusätzlich für die unterbewusst intrigante Rolle an. Doch «Stille Post» verzichtet auf dieses kontrollierende Element und zentriert die Geschichte gänzlich um Andrea Jahn und ihr näheres Umfeld, das erst nach und nach von der Beziehung zu Schüler Niklas erfährt. Der Film ist bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt: Axel Milberg als unnachsichtiger, aber liebende Gatte, Johanna Gastdorf als teure Freundin und Oliver Breite als cholerischer Kollege. Zu einem gewissen Punkt in der Erzählung brechen diese Figuren zudem aus ihren Mustern aus und entwickeln sich in nachvollziehbaren Handlungsweisen weiter, wenngleich diese selbstverständlich mehr beeinflussend als ungebunden sind. Der Schwerpunkt liegt schließlich auf der jungen Lehrerin Andrea, an der man von Anfang an Gefallen findet - was ganz im Gegensatz zu «Tagebuch eines Skandals» im Verlauf der Geschichte auch so bleibt, denn noch bevor zwischen ihr und Niklas wirklich etwas geschieht, hat das Unheil schon seinen Lauf genommen. Üble Nachrede und Gerüchte sind es, die Andreas Privatleben und Beruf im Folgenden überschatten, obwohl sie keinen direkten Fehler begangen hat. Ursula Karven spielt die Facetten ihrer Figur gekonnt aus und kann mit Blanchetts Darstellung durchaus konkurrieren.
Star des Filmes ist aber fraglos Jungschauspieler Sergej Moya, der der restlichen Besetzung mit seiner einnehmen Darstellung des verliebten Niklas scheinbar mühelos die Schau stiehlt. Mit einer natürlichen Leichtigkeit mimt Moya erst die sehr vordergründige Figur, deren Motive einfach, aber träumerisch wirken. Ohne wirklich etwas über Niklas und seine Hintergründe zu erfahren, wird Moyas Darstellung immer undurchschaubarer und interessanter. Man kann beobachten, wie der heute 21-Jährige mit seiner Rolle wächst und sich immer weiter in deren Abgründen, die offensichtlich dem Tod der Mutter zuzuschreiben sind, versinkt.
Auch aus Sicht der Iszenierung gibt es nichts zu beanstanden. Regisseur Matthias Tiefenbacher, der noch vor Kurzem mit den zwei «Liebe am Fjord»-Teilen des ZDFs zu wünschen übrig ließ, setzt bei «Stille Post» relativ ruhig und charmant ein, steigert sich mit der Storyline und den Akteuren vor der Kamera und lässt den Film daraufhin in einem ausgezeichnetem Finale münden. Der Film mag nicht vor Innovation oder Neuerung strotzen, doch allein die erinnerungswürdige Darstellung Moyas belohnt das Einschalten.
Das Erste zeigt «Stille Post» am Mittwoch, den 26. Mai 2010, um 20.15 Uhr.