Kirschs Blüten

«Kirschs Blüten»: Fernsehgeflunker

von
Für ein gutes Happy End: Das Fernsehen flunkert uns an. Doch wo bleibt eigentlich die Wahrheit?

Mit dem Ausspruch „Das ist der Wahrheit“, den er damals noch bei Heidi Klum und ihren Topmodels bei ProSieben tätigte, hat Bruce Darnell nicht nur die Glaubwürdigkeit seiner aufgestellten Thesen bekräftigt, sondern gleich noch einen Werbeslogan geschaffen, mit dem er heute noch für einen Mobilfunkanbieter wirbt. Erst durch das Fernsehen ist der US-amerikanische Choreograph und Model zur Werbeikone aufgestiegen. Also durch jenes Medium, das uns tagtäglich anflunkert. Denn schon von Kindesbeinen an bekommt man doch eingetrichtert, man solle nicht alles glauben, was im Fernsehen gesagt wird. Die Bestätigung, dass diese Regel noch heute ihre Gültigkeit hat, wollten die Macher der nagelneuen Doku-Soap «Unterm Hammer» bei RTL höchst persönlich auffrischen. Tine Wittler hatte in der als Reality-Serie deklarierten Sendung für die Familie Fischbach, die die Fernsehmoderatorin um Hilfe gebeten hat, deren Haus zunächst komplett renoviert, um es dann gewinnbringend zu verkaufen. Denn Familie Fischbach hat Geldsorgen und brauchte den Erlös aus der Versteigerung ihres Eigenheims dringend. Tine Wittler sollte helfen, hübschte das Haus auch fein auf und flugs ging es auch zur Auktion. Am Ende stand ein Happy End: Haus verkauft, Familie Fischbach glücklich, Auftrag von Tine Wittler erfüllt. So zumindest klang es in der schönen Fernsehwelt. Jener geschaffenen Fernsehrealität der Produktionsfirma und der Produzenten rund um die Sendung «Unterm Hammer». Denn der Zusatz „Das ist der Wahrheit“ am Ende der Sendung wäre eine glatte Lüge gewesen. Obwohl der im Abspann versicherte Verkauf des Hauses durch Bestätigung vom Notar einer solchen ohnehin schon gleichkommt.

Nun, die Realität sah anders aus, wie nach der Ausstrahlung durch die Familie Fischbach selbst bekannt wurde, die sich an eine Boulevard-Zeitung wandte. Unterm Hammer war das Haus zwar gewesen, doch der Käufer trat von dem Verkaufsangebot nach den Dreharbeiten zurück. Außerdem sollen nur Komparsen mitgeboten haben. Familie Fischbach ist immer noch im Besitz ihres Hauses und möchte es nach wie vor verkaufen. Was Tine Wittler offensichtlich nicht geschafft hat, soll jetzt ein YouTube-Aufruf möglich machen. Dabei wäre es für die Sendung gar nicht mal tragisch gewesen, diesen Umstand, dass der nach Abschluss der Dreharbeiten geplante Hausverkauf nicht zustande gekommen ist, einzugestehen. Stattdessen hat man dies einfach verschwiegen, was Fragen offen lässt, die auch RTL sowie dessen Werbekunden jetzt erstmal beantwortet haben möchten. Denn Lügen haben bekanntlich kurze Beine, so wurde «Unterm Hammer» nach der ersten Folge bereits abgesetzt, zwei weitere Folgen waren mindestens noch in Planung und bereits abgedreht. Aus dem Programm ist die Sendung aber erstmal gestrichen worden, RTL musste sich den Schummel-Vorwürfen beugen, wobei auch nicht vergessen werden darf, dass die Einschaltquoten der Reality-Serie mit der ersten Ausgabe ebenfalls zu Wünschen übrig ließen. Doch das Fernsehgeflunker von «Unterm Hammer» ist bei Weitem kein Einzelfall. Am Nachmittag bei Sat.1 verhandeln «Richterin Barbara Salesch» und «Richter Hold» schwierige Fälle, bei «Zwei bei Kallwass» werden menschliche Konflikte gelöst. Doch echt sind nur die Richter, Anwälte und Psychologin Angelika Kallwass selbst. Die Geschichten sind frei erfunden, die Protagonisten Laienschauspieler. Das ist dem Fernsehzuschauer schon lange bekannt, genauso wie die jede Woche neuen Fake-Dokus am RTL-Nachmittag offen zugeben, dass sie komplett der Phantasie entsprungen sind. Auch hier handelt es sich um Laienschauspieler, die von Redakteuren gescriptete Geschichten veranschaulichen sollen. Wie viel Wahrheitsgehalt dann noch an anderen explizit als Reality-Formate gekennzeichneten Sendungen vorhanden ist, ist zumindest fragwürdig. «Teenager außer Kontrolle», «Die Supernanny» oder «Rach, der Restauranttester» - sie alle haben einen realen Hintergrund. Doch ob hier und da nicht manche Szenen gestellt sind oder Einfluss auf den Verlauf, die für eine Sendung so wichtige Dramaturgie, genommen wird, lässt sich nur schwer sagen. Der Verdachtsmoment bleibt.

Oftmals ist es für den regelmäßigen Fernsehzuschauer bei genauerem Hinsehen schnell auszumachen, was der Realität entsprechen könnte oder einfach nur Fake ist. Viele Dialoge und Szenen sind so dermaßen an den Haaren herbei gezogen, dass sie gar nicht echt sein können. Manche (Laien)-SchauspielerInnen entdeckt man zunächst auf ProSieben als reiche Diva in einer Villa, am nächsten Tag als Hartz4-EmpfängerIn in einer Doku-Soap auf RTL. Auch diese Beispiele sind einmal frei erfunden, kommen der Realität aber ganz schön nahe. Und das ist es doch eigentlich, worauf es ankommt, wenn man sich Reality-Formate anschaut. Das Leben erzählt viele Geschichten. Viele kuriose Storys, viele lustige Anekdoten und auch einiges an Dramatik ist dort zu finden. Das Leben schreibt sein eigenes Drehbuch, doch nur selten ist eine professionelle Kamera an Ort und Stelle, um die einzigartigen Momente und Geschichte, die das Leben erzählt, festzuhalten. Natürlich kann auch nicht jede interessante Gerichtesverhandlung von Kameras begleitet werden. Möchte man diese Storys erzählen, braucht man sich in den meisten Fällen nicht viel dazuzureimen. Denn solange Reality-Formate Geschichten nach wahren Begebenheiten erzählen, können sie durchaus interessant und spannend sein, vorausgesetzt es wurden keine abenteuerlichen Nebenhandlungen dazu erfunden, unnötige Dramatik miteingebracht oder abstruse Dialoge vorgefertigt, die unbedingt vorkommen müssen. Es kommt hier eben auf die Umsetzung an: Authentizität wird da sehr groß geschrieben. Erfundene Geschichten darf man als Zuschauer mit Leichtigkeit ins Reich der Fabel verweisen. Der Stil von «Toto & Harry» ist dabei in Sachen Inszenierung einer solchen Reality-Doku als Vorbild gar nicht mal ungeeignet. Solange die Sendung beim Zuschauer den Eindruck erweckt, authentisch und echt zu sein, dann nimmt man auch das Fernsehgeflunker, das die wahre Geschichte aber nur um einige kleine Details dramaturgisch abändert, nicht allzu übel. Der Grundtenor sollte jedoch lauten: „Das ist der Wahrheit!“ Es sei denn, man möchte bewusst Märchen erzählen.

«Kirschs Blüten» gehen auch nächste Woche wieder auf – jeden Dienstag. Nur bei Quotenmeter.de!

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