Am Sonntag den 27.6.2010 startete um kurz nach 13 Uhr die halbstündige Talksendung von Peter Hahne. Sein Coup: Erster Stargast war Margot Käßmann, ehemalige Vorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands mit 25 Millionen Mitgliedern. Sie war im Februar nach einer alkoholisierten Autofahrt zurückgetreten, nachdem massiver Mediendruck entstand. Es war ihr erster Fernsehauftritt danach.
Bravo zum runden Sendekonzept, aber fragwürdige «heute»-Sendung
Was die ZDF Programmdirektion und Herr Hahne idealtypisch gelöst haben:
1. Die Talksendung läuft nach dem quotenstarken «ZDF-Fernsehgarten», sodass sie kaum Gefahr laufen wird, jemals schwach zu performen. Sie profitiert vom goldenen ZDF-Sonntagvormittag.
2. Die Entscheidung, jeden Sonntag den Aufreger oder das Thema der Woche über eine oder zwei Menschen zu machen und die dann ins Studio zu holen, ist gut.
3. Zwischen «ZDF-Fernsehgarten» und «Peter Hahne» liegt die «heute»-Sendung. Sie könnte zum Quotenproblem werden. Oder man schlägt – wie diesmal – zwei Fliegen mit einer Klappe und macht aus der Nachrichtensendung eine programmwerbliche Trailersendung für Hahnes Talk. Da war schon eine leichte Beugung des Nachrichtenkodexes zu spüren, die ein „Geschmäckle“ hinterlässt.
4. Peter Hahnes Vertrag als stellvertretender Studioleiter des ZDF in Berlin lief Anfang des Jahres aus. Was also tun? Dem erfahrenen Kollegen und politischen Journalisten eine eigene Sendung zu gönnen, ist sicher eine Win-Win-Situation für Hahne und den Sender. Besonders da Hahne seine Vortrags-, Buch- und Kolumnenarbeit zum Nutzen der Zuschauer einfließen lassen kann.
5. Nachdem „Der Spiegel“ in der Vorwoche zum 27. Juni Margot Käßmann zum zweiten Mal dieses Jahr als Titelgeschichte hatte, war es ein idealer Start für Hahne, Frau Käßmann als Talkgast ins Studio zu holen. Eigentlich kennen sie sich ja sehr gut, was leider nicht rechtzeitig erklärt wird. Hahne war auch Mitglied im Rat des EKD.
Hefte mit religiösen Titelstories im Jahr 2010 beim Spiegel, zwei davon mit Margot Käßmann.
6. Gemessen an der starken Infragestellung kirchlicher Institutionen und Vertreter sowie dem dramatischen Rückgang an Kirchenmitgliedern ist das Thema sehr bedeutend und voller Zündstoff.
Eine großartige Studiokulisse vor dem historischem „Brandenburger Tor“ stellt die deutsche Frage
Peter Hahne sitzt vor Deutschlands symbolträchtigstem Denkmal, dem Brandenburger Tor mit seiner berühmten Siegesgöttin Viktoria, voran gezogen von einer Quadriga von Rössern. Ein seit Jahrhunderten heiß umkämpftes Symbol für Deutschlands Sehnsucht nach Größe und Stärke, Außen- wie Innenpolitisch.
Dieses Symbol ist Peter Hahnes Rückgrat, Hintergrund und Relevanz-Meßlatte für Gäste, Gespräche und Horizonte. So blickt er aus historischer, moraltheologischer, journalistischer und bundespolitischer Sicht auf Frau Käßmann.
Hinter Frau Käßmann ist nur das «Peter Hahne»-Logo an der Wand zu sehen. Damit schließt sich der Kreis runder Sendungsdramaturgie und erfolgreicher Corporate Identity.
Den Kameraleuten, Beleuchtern und Szenenbildnern des ZDF ist es gelungen, eines der schönsten deutschen Studios zu kreieren: Die Lichtstärke von Außen und Innen sowie die unterschiedlichen Farbtemperaturen sind wunderbar angepasst und ästhetisch angeordnet. Hier ist ein ruhiger, samtglänzender Ort entstanden, an dem gute Gespräche stattfinden können.
Das Ergebnis des Newstalks ist, das Frau Käßmann nicht in die Politik gehen will
Herr Hahne kommt von den News. So ist der Gesprächsanlass auch das klassische Newsthema: Das Alkohol-am-Steuer-Fehlverhalten von Frau Käßmann. Diesem Ereignis widmet er 50 % seiner gesamten Gesprächszeit.
Zweifellos erwarten wir das Thema, dennoch dreht und wendet Peter Hahne es zu sehr – ohne einen wirklichen Mehrwert herauszuholen. Und wieso stellt er ihr eigentlich nicht die Fragen, deren Antworten uns interessieren würden: „Ist es wichtig als Kirchenoberhaupt ein moralisches Vorbild zu sein? Wenn ja, wissen Sie, dass damit Einschränkungen für Ihr Leben einhergehen? Warum haben Sie sich nicht dem entsprechend verhalten? Wenn nein, warum fechten Sie dann nicht alle moralischen Fragestellungen dazu durch, machen einen Lernprozess, bleiben im Amt und führen Ihren Auftrag weiter? Hier wäre die Chance zu Einsicht und Umkehr gewesen, aber es gibt nur einen Rücktritt. Wer sind Sie, Frau Käßmann, wirklich? Was müssen wir aus Ihrem dramatischen Rücktritt lernen?
Wir leben in einer konfliktreichen Wendezeit leben, in der sich Wertesysteme verändern und viele bisherige Tabus aufgehoben werden. Gerade Margot Käßmann hat einige moralische Grenzen vergangener Jahrzehnte (und Jahrhunderte) überschritten und verändert. Sie ist ein Vorbild der Moderne, wie wenige Andere.
1. Eine Frau wird oberste Kirchenvertreterin in der Geschichte deutscher evangelischer Christenheit
2. Eine Bischöfin, die an Brustkrebs erkrankt und die Öffentlichkeit am privaten Schicksal teilnehmen lässt
3. Eine Kirchenvorsteherin, die den heiligen Bund der Ehe durchtrennt
War die Polizeikontrolle der jähe Sturz einer Aufsteigerin aus einfachsten Verhältnissen? Wer ist sie eigentlich? Was steckt hinter dieser Frau? Zu Anfang des Gesprächs wird ein kurzer Film gezeigt, der ihren Werdegang aufzeigt. Doch der Beitrag geht nicht in die Tiefe, stattdessen werden nur schnell die Fakten durchgehechelt. Zusammenhänge aufzudecken, echte Begegnung herzustellen, Katharsis auszulösen – all das ist nicht Gesprächsabsicht.
Nach der Wirkung, nicht nach der Ursache wird gefragt. Dabei könnte man die Geschichte durchaus ganz anders erzählen. Denn – was für eine Entwicklung: Einfaches Elternhaus, Kindheit, Theologin, Mutter, Bischöfin, Todkranke, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Geschiedene, Zurückgetretene, neu und frisch Verliebte, Professorin in den USA? Doch Hahnes Haltung ist klar: Ein Bischof muss unfehlbar sein. Eine gemeinsame Entwicklung im Gespräch ist damit nicht möglich.
Was also ist meine Wahrnehmung: Mir scheint, also ob sich Peter Hahne zwar mit einer Kirchenreformatorin und ihren Anregungen zu innovativen Lösungsansätzen (im Afghanistan-Einsatz) auseinandersetzen will, aber zu festgelegt ist. Seine Ablehnung Frau Käßmann gegenüber ist so starr wie seine Auffassungen. Kein Austausch ist möglich - auch umgekehrt nicht. Anstatt beim Rücktrittstrauma mit einer Miniatur einzusteigen und sich von den Ursprüngen ihrer Entwicklung bis in die Jetztzeit vorzuarbeiten, wird nach dem Prinzip der umgekehrten Pyramide gearbeitet, wie bei den News. So klopft die Sendung zunehmend Themen ab, weitschweifig und unpersönlich.
Am Ende verabschieden sich zwei dicke Bretter, die einander nicht gebohrt haben. Wenn der Sinn eines unvergesslichen Gesprächs ist, miteinander eine Entwicklung zu machen, sich zu bereichern, sich zu wandeln und zu einer neuen Haltung zu finden, dann wurde das hier noch nicht erreicht. Beide bleiben ihren jahrzehntealten Rollenmustern verhaftet, ihre authentischen Gefühle werden nicht offenbart und ihre echten Gedanken werden ausgeblendet. Vielleicht liegen die Rücktrittsgründe ja auch im persönlichen Bereich. „Where you stumble, lies the treasure“ – aber leider wird das von Peter Hahne nicht aufgegriffen.