Richterspruch

Der Richterspruch: Die Fernseh-WM

von
Christian Richters medialer Rückblick auf die Fußball-WM. Wer wird Liebling der WM und wer bekommt den „Haufen der WM“ verliehen?

Die Themen der WM


Nach 64 (mehr oder weniger) packenden Spiele, stand am Abend des 11. Juli 2010 fest, dass Spanien das derzeitig beste Fußballteam der Welt besitzen. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika war aber nicht nur ein sportliches Highlight, sondern vor allem ein mediales Ereignis, das seines gleichen sucht. Gleich drei Free-TV-Sender berichteten über die Ereignisse der 25 Spieltage auf sehr unterschiedliche Weise. Während bei ARD und ZDF vor allem sachliche Analysen im Vordergrund standen, pflegte RTL ausgiebig die Fankultur. Daher meldeten sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten auch aus kleinen Studios in Südafrika ohne Zuschauer und zum Teil aus Logen direkt in den Stadien, unterdessen tourte RTL mit seinem Team quer durch Deutschland und berichtete an jedem Tag von einer anderen Public Viewing-Area. Dort gab es jubelnde Fans, wütende Anhänger und lautstarke Kommentare. All das blieb bei ARD und ZDF abgesehen von einigen Live-Schaltungen außen vor.

Besonders deutlich wurde die unterschiedliche Herangehensweise nach der Niederlage gegen Serbien. Direkt nach dem Spiel arbeiteten Katrin Müller-Hohenstein und Experte Oliver Kahn die spielerische Leistung der Serben heraus und machten eher das Unglück der Deutschen für das 0:1 verantwortlich. An der Leistung des Schiedsrichters wurde zwar bemängelt, dass er zu aktiv ins Spiel eingriffen habe, aber seine Autorität kaum in Frage gestellt. Anders bei RTL. Dort wurde am Abend das Spiel auch noch einmal ausführlich besprochen. Plötzlich war von einem Versagen des Referees die Rede, von glatten Fehlentscheidungen und von maßlos überforderten Spielern. Der Schiedsrichter erhielt sogar einen eigenen Negativ-Bericht, in dem alle seine gegebenen Karten in den vergangenen Monaten aufgezählt waren. Während auch Jogi Löw beim ZDF noch glimpflich davon kam, nahm man bei RTL keine Rücksicht mehr. Taktische Fehler beim Spielerwechsel, falsche Besetzungen der Positionen und mangelnde Vorbereitungen wurden ihm vorgeworfen. Das war weit entfernt von sachlicher Analyse. Hier wurden enttäuschte Emotionen freigelassen.

Es ist nun sicherlich Geschmackssache, welche Art der Berichterstattung einem besser gefällt. Beide Stile haben die Übertragungen der vergangenen Wochen jedoch sehr abwechslungsreich gemacht. Und bei allem, was man dem Sender RTL für sein Programm vorwerfen kann, hat er sich immerhin auf eine wesentliche Komponente konzentriert, die bei ARD und ZDF oft zu kurz kam. Die Fans. Denn Fußball – vor allem zur WM – ist ein Gemeinschaftsphänomen - ein verbindendes Element. Welches andere Ereignis schafft es heute noch, dass das ganze Land für rund zwei Stunden still steht und gemeinsam miteinander fiebert?

Die Zahlen der WM...

... könnten kaum beeindruckender sein: 27,91 Millionen (Australien), 22,01 Millionen Menschen (Serbien), 29,19 Millionen (Ghana), 25,57 Millionen (England), 25,95 Millionen (Argentinien), 31,10 Millionen (Spanien) und 23,62 Millionen (Uruguay). Damit erzielten alle sieben Spiele der DFB-Elf trotz zum Teil ungünstiger Sendezeiten Reichweiten von deutlich über 20 Millionen Zuschauern. Im Halbfinale wurde sogar der bisherige Quotenrekord um über eine Million Zuschauer überboten. Und das, obwohl in diesen Werten nur die Menschen berücksichtigt werden, die die Spiele in einem privaten Haushalt verfolgt haben. Die tatsächlichen Zuschauerzahlen werden zusammen mit den Public-Viewing-Nutzern um rund ein Drittel höher eingeschätzt . Wer weiß, ob der Rekord bei einer deutschen Finalbeteiligung ein weiteres Mal gebrochen geworden wäre? Die Sendezeit wäre ideal gewesen. Quoten in dieser Höhe sind bei der nächsten WM in Brasilien nicht zu erwarten. Aufgrund der Zeitverschiebung werden die meisten Partien angestoßen werden, wenn es bei uns bereits tiefe Nacht ist. Dann ist wohl auch ein Rückgang des Public-Viewing-Anteils zu erwarten.

Die Lieblinge der WM

Bei der diesjährigen WM hatte der langjährige ZDF-Moderator Michael Steinbrecher keine tragende Rolle, musste er doch seinen Kollegen Katrin Müller-Hohenstein und Rudi Cerne den Vorrang bei den Spielanalysen lassen. Dennoch fiel er in seinen Interviews vor allem mit Jogi Löw im Anschluss an die Spiele positiv auf. Seine Fragen waren fachlich gut vorbereitet, respektvoll, aber dennoch kritisch. Insgesamt waren diese kurzen Zwiegespräche in ruhiger, entspannter Atmosphäre in der Regel erhellender als alle Nachbetrachtungen zusammen. Ein Lob geht dabei auch an Jogi Löw, der sich direkt nach den Spielen (auch den verlorenen) bereitwillig und offen den Fragen stellte.

ARD-Fußball-Experte Günter Netzer mag viele Fehler haben. Von der mangelnden Leidenschaft, über seine nervigen Wortfindungsstörungen bis hinzu seinen nervösen Blicken. Und auch seine ewigen Sticheleien gegen Gerhard Delling wirken längst nicht mehr spontan und sind schon seit Jahren ausgelutscht. Doch alles das, was an ihm bisher unsympathisch wirkte, hat er im Anschluss an das Spiel um Platz drei mit nur einem Wort ungeschehen gemacht. Nach einer Vorlage von Delling bezeichnete er sich selbst als kleine „Feiermaus“. Das kam derart trocken und unerwartet, dass alle seine Schwächen während der WM wieder vergessen waren.

Als bestes Moderatorenduo fiel Günther Jauch und Jürgen Klopp auf. Den beiden merkte man deutlich an, dass sie sich gut verstehen und wirklich Freude bei ihrer Arbeit hatten. Das gelang weder Gerhard Delling und Günther Netzer, noch Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn. Vor allem letzterer ist in seiner Rolle als Experte noch immer nicht angekommen. Auch wenn es sichtliche Verbesserungen gab, scheint er noch viel zu angestrengt geeignete Formulierungen zu suchen. Es scheint, als würde er seine wahren Meinungen verdrängen und mit angezogener Handbremse kommentieren. Dabei weiß doch jeder, wie emotional er sein kann. Trau’ Dich Olli. Laß es raus!

Überhaupt stimmte die Chemie zwischen Kahn und Müller-Hohenstein nicht. Beide wirkten so, als sei ihnen der andere Partner ohne Mitspracherecht zugewiesen worden. Auch wenn dem so ist, sollten sie es sich nicht anmerken lassen. Ganz anders bei Klopp und Jauch. Den beiden nimmt man sofort ab, dass sie auch nach der Sendung gemeinsam ein Bier trinken würden. Von solchen Duos sollte es viel mehr aus abseits des Fußballs geben.

Die Stärke von Klopp und Jauch machte allerdings RTL-Experte Jürgen Klinsmann während der eigentlichen Übertragung der Spiele wieder kaputt. Pro Spiel war er nur gefühlt dreimal überhaupt zu hören. Zum Teil musste er vom Kommentator direkt angesprochen werden, damit er sich einbrachte. Dabei hätte er sich bei RTL selbst anhören können, wie ein gelungener Doppelkommentar funktioniert. Bei der «Formel 1» zeigen Heiko Wasser und Christian Danner schon seit Jahren wie unterhaltsam und bereichernd ein gut aufeinander eingespieltes Duo sein kann.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Aufreger der WM, den Haufen der WM und was sonst noch so los war.

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