Wie man auch ohne Talent und durch bloßes Umkippen ins Fernsehen kommt, beschreibt Jürgen Kirsch.
Eine Nachricht geht um die Welt. Soweit nichts Ungewöhnliches. Doch wenn es ein umgefallener Blumenkübel in die Hauptnachrichten von ProSieben schafft und im «heute-journal» des ZDF ebenfalls ganze drei bis vier Minuten ausführlich thematisiert wird sowie anhand von spontan zusammengeschusterten YouTube-Videos behandelt wird, dann hat das auch eine besondere Erwähnung in dieser Kolumne verdient. Denn auch diese Blüten kommen ohne Blumenkübel nicht aus und so ist eine genauere Betrachtung des Übels mit dem Kübel nahezu unumgänglich. Die Tragödie geschah vor einem Altersheim in Neuenkirchen, bei Münster. Ein Blumenkübel: Umgefallen. Der Schaden: 150 Euros. Die Täter: Auf der Flucht. Der Medien-Hype: Grenzenlos. Ausgelöst hatte ihn die „Münstersche Zeitung“, die die Polizeimeldung über den durch Fremdeinwirkung umgekippten Blumenkübel auch im Internet meldete. Schlicht meldete ein Redakteur über den Microbloggingdienst Twitter: „Blumenkübel bei Münster zerstört“. Dies fanden tausende Twitter-User so witzig, dass es gleich mehrmals wiederholt gepostet wurde. Einen Tag später war der Blumenkübel dann die „Trending Topic“, sprich der bei Twitter am meisten gebrauchte Begriff. Das Drama um den umgestoßenen Kübel hatte also schon ein weltweites Echo gefunden, ganz Deutschland zeigte sich entsetzt. Auch die Amerikaner hatten mittlerweile Wind davon bekommen und fragten verdutzt: Wer zum Teufel ist dieser Blumenkübel?
Apropos Amerika. Findige Entwickler von Apple hatten natürlich prompt eine Schutzhülle für Blumenkübel produziert, sie sei für 4,99 Euro im Blumenladen erhältlich und heiße iMer, scherzten die Twitter-User drauf los. Das ermutigte andere Internet-Fans zu Bekenner-Videos der Blumen-Terroristen von „Free the Flowers“ bis hin zu einer melancholischen, traurige Erzählung mit Musikuntermalung von dem tragischen Schicksal des Blumenkübels durch ein Literaturcafé. Es dauerte also nicht lange, bis genügend Material zusammen war, um dies in einer durchaus lustige Comedy-Sendung rund um das Thema Blumenkübel zusammen zustellen. Das dachte man sich wohl auch bei ProSieben und dem ZDF. Man überlege, ob man nicht eine Sondersendung einschieben könne, twitterte das ZDF online, dem nahe gelegt wurde doch seine Ermittler «Wilsberg» oder «Kommissar Rex» loszuschicken, um die Täter, die dem Kübel das Übel zufügten, zu schnappen. Da sich die Comedy-Sendungen «heute show» und «TV total» beider Sender aber in der Sommerpause befinden, fand man doch noch Platz in den Nachrichtensendungen. In den «ProSieben News» berichtete man zuerst über den Blumenkübel und hatte auch schon das Bekennervideo mit einbaut. Zu einem lustigen Beitrag über die Thematik, die eigentlich recht belanglos daher kommt, hat es nicht gereicht, aber immerhin eine guter Nachrichtenbeitrag ist daraus geworden, so dass auch das überwiegend junge Publikum von ProSieben vom Übel des Blumenkübels wusste. Sogar die Leiter des Altenheims von Neuenkirchen kamen zu Wort. „So einen Hype wollten wir gar nicht auslösen“, sagten sie. Doch da war schon alles zu spät. Auf Facebook hatte der Blumenkübel bereits eine Fangemeinde, die heute noch stetig wächst.
Mit etwas mehr Polemik versuchte das «heute-journal» im ZDF in seiner Rubrik «Die Woche im Web» am Samstagnachmittag das Thema des Blumenkübels aufzugreifen. Das gelang, eine amüsante Darstellung der verrückten Nachrichte, die einmal über den Globus ging – nun gut, zumindest einmal durch die Netzgemeinde. Doch genau hieran lässt sich doch die Kraft der neuen Medien des Webs 2.0 festmachen. Eine banale Nachrichte, die man tagtäglich so oder so ähnlich in ganz kleinen Spalten der Tageszeitung liest, wird plötzlich mit einem Masseninteresse überhäuft, dessen Mehrwert sie gar nicht bietet. Vielmehr wurde sich aus der schlichten Meldung „Ein Blumenkübel ist umgefallen“ ein Spaß gemacht, der schließlich eine Tragweite hatte, wo selbst die klassischen Medien wie das Fernsehen nicht mehr drum herum kamen, diesen entfachten Hype aufzugreifen und zu thematisieren. Und so kam der Blumenkübel, der mittlerweile längst kaputt im Müll gelandet ist, ins Fernsehen. Ein Gegenstand wohl gemerkt, der eigentlich so nichts Besonderes an sich hat, außer dass er eben vor dem Neuenkirchener Altersheim umgefallen ist und dadurch mit der Macht der Internet-Medien publik wurde. Angefangen hat alles im Printmedium Zeitung, von dort wanderte die Meldung ins Internet, das sie mit der Intention der Belustigung zu einem Hype machte, der dann auch das Fernsehen entfachte. So kann es gehen! Heutzutage muss man eben nicht mehr gut singen können oder über den Catwalk laufen können, um ein Star zu werden. Manchmal reicht es einfach auch, wenn man einen Blumenkübel hat, der ganz spektakulär unsensationell umfällt. Denn was der Kraken aus Oberhausen schaffte, konnte der Kübel aus Ostwestfalen schon lange: Die Massen mobilisieren. Gar nicht Übel.
«Kirsch Blüten» entstehen nächste Woche in einem nagelneuen Blumenkübel – wie jeden Dienstag! Nur bei Quotenmeter.de!