Kolumnist Sindey Schering genießt seine Soundtrack-CDs und ärgert sich über die Neider Hans Zimmers.
Ich habe ein wahres Faible für Filmmusik. Es fing, wie bei wohl vielen, mit den Disney-Zeichentrickfilmen und ihren unvergesslichen Liedern an. Doch mit meiner zunehmenden Leidenschaft für das Medium Film generell entdeckte ich nach und nach auch die etwas weniger prominente Welt innerhalb der Filmmusik für mich: Scores, die instrumentalen, für einen Film geschrieben Stücke, die Darth Vader erst zum ikonischsten Filmbösewicht der Science-Fiction und aus einem Schatten im Wasser den Schrecken erregenden weißen Hai machten.
Einer meiner absoluten Lieblingskomponisten ist „unser“ Hans Zimmer, der deutsche Exportschlager, der mittlerweile für weit mehr als 100 Filme komponierte und acht Mal für den Academy Award nominiert wurde (wobei er ihn einmal gewann). Zimmer ist aufgrund seiner hohen Produktivität und seines großen Erfolges, sowie dank seines markanten Stils, auch einer der bekanntesten Komponisten Hollywoods. Und somit auch ein häufiges Opfer der Kritik. Etwas, worüber ich mich ein ums andere Mal aufregen könnte. Derzeit läuft sein fulminanter, beklemmender und unerwartet schwarzromantischer Score zu «Inception» bei mir rauf und wieder runter, und wenn ich mir Zimmers großartige Arbeit so anhöre, bekomme ich erneut die Krise, wenn ich an seine Neider denke. Denn trotz seiner offensichtlichen Beliebtheit bei den Studiobossen, Produzenten und Regisseuren bleibt Zimmer einer der meist unterschätzten Künstler in Hollywood, da genügend (selbsternannte) Cineasten seine Arbeit als stumpfen Einheitsbrei und „dumm“ verpöhnen. Somit klafft bezüglich Zimmer eine gewaltige Lücke: Entweder man liebt ihn abgöttisch, oder man sieht in ihm den Untergang der Filmmusik.
Selbstverständlich ist es gerade bei Musik schwer über Geschmack zu streiten. Doch selbst wenn man einige von Zimmers Kompositionen nicht mag, sollte man meiner Meinung nach wenigstens davon absehen dieses ständige Totschlagargument „das ist dumm“ heranzuziehen. Es stimmt, dass Zimmer für einige typische Actionfilme, wie etwa «The Rock» sehr simple und lautstarke Stücke komponierte. Das ist natürlich nicht mit den esoterischen Walgesängen und den singenden Kristallgläsern zu vergleichen, die ein exzentrischer Kunstfilm auf die Ohren seines Publikums loslässt, doch wer möchte schon während einer spannenden Verfolgungsjagd das Gebetsmantra einer Mönchsgruppe aus dem Hindukusch hören?
Was mich aber vor allem stört, ist die Tatsache, dass gerade die übertrieben versnobten Filmliebhaber in Hans Zimmers jüngsten Arbeiten einen immensen Service für ihre ach so verwöhnten Sinne sehen müssten. Stattdessen aber jammern sie unbeirrt weiter, dass Zimmers Musik ja immer genau gleich klinge und er jedem Film eine überkandidelte «The Rock»-Klangästhetik verpasst. Da frage ich mich immer wieder, ob diese Leute vielleicht mit eingeschaltetem iPod ins Kino gingen, denn Zimmer lieferte die letzten Jahre einige der exzentrischsten und experimentellsten Scores ab, die das Blockbusterkino seit langem erleben konnte. Dank Zimmers, je nach Film, besonders emotionalen oder eingängigen Melodien bleiben diese Stücke trotz ihrer Außergewöhnlichkeit leicht hörbar, statt zu avantgardistischer Kunst zu verkommen, die nur ein Bruchteil das Publikums versteht. Ich zum Beispiel werde nie dahinter steigen, weshalb Musik erst dann Kunst sein soll, wenn die Leutchen hinter den Musikinstrumenten neue Noten erfinden (oder zu deutsch: so schief spielen, dass selbst meine Nachbarskatze vor Scham im Boden versinkt). Zimmer ließ sich unter anderem von Punk und der Band Kraftwerk inspirieren und schuf so das Nerven zerfetzende und packende Leitthema für den Joker in «The Dark Knight», er vereinte irische Saufmentalität, Banjos und krachende Streicher zu einem spaßig-exzentrischen «Sherlock Holmes»-Thema und er wagte es tatsächlich eine gewisse Piraten-Action-Abenteuerkomödie mit Fantasyelementen namens «Pirates of the Caribbean - Am Ende der Welt» mit einigen der traurigsten Melodien zu versehene, die man je im Multiplex zu hören bekam. Zimmers Erfolgstrick, aber sein Pech bezüglich seiner nie still werdenden Kritikern, war wohl, dass er beim gigantischen Piraten-Projekt das Publikum gleichermaßen mit dem kraftvollen Ohrwurm „He’s a Pirate” umhaute, so dass die ewigen Nörgler sich natürlich wieder an „diesem überhaupt nicht authentischen Actionthema“ aufhängen konnten. Ja, und Ennio Morricone machte ja ebenfalls ein Vermögen mit stupider Musik. E-Gitarren in einem Western, welcher Idiot kommt nur auf so was?
Wie ich das betrachte, greifen viele von den Kritikern Hans Zimmers, lediglich auf das gleiche nervige Mittel zurück, das zum Standardrepertoire all jener gehört, die sich für etwas besseres halten: Die „Mainstream ist für Idioten“-Keule. Natürlich fällt die Masse dank Marketing hin und wieder auf irgendwelche dämlichen Phänomene rein, und da wird sich wohl jeder an seine eigene Nase fassen können. Doch der elende Gedanke, dass alles, was vielen Leuten gefällt dumm sein muss, ist genauso stumpfsinnig. Klar, auch ich als Fan Zimmers muss zugeben, dass er sich häufig von sich selbst inspirieren lässt. Allerdings ist es kein ständiger Selbstklau, sondern nur eine trotz aller Wandlungsfähigkeit wieder erkennbare Handschrift, bei der jemand, der nicht auf Scores achtet, paradoxerweise mehr Parallelen vermuten wird, als jemand, der genau hinhört. Im Score zu «Sherock Holmes» gibt es 30 Sekunden, die sehr an die Begleitmusik eines gewissen, betrunkenen Piraten erinnern und in «Inception» könnte ich vielleicht fünfzehn Sekunden ausmachen, die mich Batman erwarten ließen. Es sind kleine Kontinuitätsnoten, und wenn der gleiche Komponist zwei Actionkomödien mit exzentrischer Hauptfigur und zwei düster-nachdenkliche, pompöse Actionthriller bearbeitet, dann sind kurze Parallelen unvermeidbar, doch ich finde so was mehr erfreulich-amüsant. Wer bei einem Score nur halb hinhört und dann mit dieser kurzen Parallele im Ohr direkt „Plagiat” brüllt, ist entweder ein verbitterter Neider oder er lässt sich von den eigenen Sinnen täuschen. Es verwundert ja nicht, dass die einem bekannt vorkommende halbe Minute länger im Gehör hängen bleibt, als der originelle Rest. Aber man muss dann ja nicht gleich das gesamte Werk eines Komponisten als dumm und seine Fans als idiotisch bezeichnen.