Hingeschaut

«Generation Ahnungslos»: Sex-Talk zwischen Mutter und Tochter

von
Von Gesprächen über Vorlieben & Selbstbefriedigung, Sexualtherapeutin Bettina Kirchmann hat in «Generation Ahnungslos» ein klares Schema.

Das Dr. Sommer-Team vom Magazin „Bravo“ hat es im heutigen aufgeklärten Internetzeitalter nicht leicht, aber in der offensichtlich „sexualisierten“ Gesellschaft auch nicht mehr viel an Aufklärungsarbeit zu betreiben. Denn die Anlaufstellen für Fragen au diesem Gebiet sind bei der heutigen Generation von Teenagern andere. Allen voran das Internet mit seinen ungehinderten Zugangsmöglichkeiten zu erotischen Inhalten oder Beratungsstellen im Netz, die ebenfalls aufklären und Themen wie „Familienplanung“ und „sexuelle Gewalt“ behandeln. Aufklärungsfilme wie die von Oswald Kolle, die der Privatsender ProSieben mit neuen Versuchen und Erkenntnissen in seinem mehrteiligen «Sex-Report 2008» vor einiger Zeit aufgegriffen hat, erscheinen fast gar nicht mehr nötig. Oftmals sind es eben auch die praktischen Erfahrungen der pubertierenden Teenager, die glauben bereits alles über das Liebesleben zu wissen. An dieser Stelle setzt die neue Doku-Soap «Generation Ahnungslos» bei RTL II an. Wie uns schon der Titel verrät, setzt man bereits voraus, dass die Protagonisten – in diesem Fall junge Teenager, also die eigentliche Zielgruppe des Münchner Senders – ahnungslos auf dem Gebiet der sexuellen Themen wie ungeschützter Sex und ungewollte Schwangerschaften sind, dies aber keinesfalls zugeben wollen. Wie es in der Pubertät nicht unüblich ist, ecken die Teenager mit ihren Eltern oft an. Bei gewissen Themen wie Partnerschaft, Beziehung und auch Geschlechtsverkehr entstehen Konflikte, die auch das Familien-Verhältnis, in der ersten Episode von «Generation Ahnungslos» das Mutter-Tochter-Verhältnis nicht nur ins Wanken bringen. Die Sendung «Generation Ahnungslos» von RTL II verspricht diese familiären Streitpunkte zu lösen und das Thema Sexualität so in den Fokus zu stellen, dass eine Kommunikation darüber zwischen Mutter und Tochter (Eltern und Kind) möglich ist.

Doch wie so oft in Reality-Doku-Soaps bleibt es bei der guten Idee, die keine passende, ansprechende Umsetzung findet. Vielmehr wird aus einer gewissen Distanz zu dem Geschehen mit dem Thema Sexualität in der Sendung, so umgegangen, wie man es von der Idee her nicht vorgehabt hatte: Also nicht aufklärend, sondern belustigend. „Let’s Talk about Sex“, heißt der Song von „Salt 'n' Pepa“, der das Konzept der Doku-Soap treffend beschreibt. Die 14-jährigen Debbie, die seit ihrem 13. Lebensjahr immer wieder wechselnde Partner hat, wird dabei gezeigt, wie sie zwar ohne Probleme den Kondom-Test besteht, aber beim Begriff „Blümchensex“ ihre Ahnungslosigkeit zugeben muss und diese passend zum Sendungstitel auch gerne zur Schau gestellt wird. Zuvor wurde sie noch mit ihrem Freund kuscheln und knutschend im Bett abgelichtet, keift darauf ihre Mutter an, die nicht weiß, wie viele Sexualpartner ihre Tochter bisher hatte. Auch hier ist sie wieder zu finden: Die Ahnungslosigkeit. Denn das Mädchen Debbie lehnt jedes Gespräch mit ihrer Mutter darüber ab. Frustration und Missverständnisse sorgen für ein angespanntes Verhältnis zwischen Debbie und ihrer Mutter, die fürchtet, dass ihre Tochter ungewollt schwanger werden könnte. Dass Debbie und ihr Freund das Thema Verhütung allerdings sehr ernst nehmen und sogar glaubwürdig inszeniert vor der Kamera bereden, weiß ihre Mutter natürlich nicht. Und so ist die Ahnungslosigkeit die eigentlich Qual, die die Erziehungsberechtigte in sich trägt. An dieser Stelle wird man als Zuschauer leicht verwirrt: Generation Ahnungslos? Geht es um die sexuelle Aufklärung der Tochter, die tatsächlich nicht unbedarft auf diesem Gebiet erscheint oder schlicht um jene Verdachtsmomente ihrer Mutter, die durch die fehlende Kommunikation und Ungewissheit entstehen. Womöglich die Wurzel allen Übels der familiären Spannungen.

Doch dafür hat RTL II natürlich Hilfe parat. Die «Generation Ahnungslos» bekommt Besuch von Diplom-Sozialpädagogin und Sexualtherapeutin Bettina Kirchmann. Die 40-Jährige aus Düsseldorf, die selbst Kinder hat, ist so etwas wie die «Super Nanny» von RTL II auf dem Gebiet dessen Lieblingsthemas Sex. Da es ja auch um das Themen der ungewollten Schwangerschaften und Verhütung geht, ist Information das oberste Gebot. Werden Internet, DVD, Handy noch als die frühreifen Ursachen von Zugriffen auf erotische Inhalte angeführt, so sind diese Medien doch als Anlaufstelle der Aufklärung gleichermaßen zu sehen. So gesehen kann die Sexualtherapeutin Kirchmann nur eines bieten: Aufarbeitung der Information und Dialoge. Letzteres ist dann auch ihre Hauptaufgabe in «Generation Ahnungslos». Die Produktionfirma Shine Germany, die mit der Herstellung der Doku-Soap beauftragt wurde und schon für «Das Tier in mir» beim gleichen Sender verantwortlich zeichnete, setzt hier aber eher auf Bewährtes als die gute Idee der sinnvollen Aufklärung für die durchaus sich im Teenager-Alter befindlichen Zuschauer von RTL II zu bieten. Das von Shine TV produzierte Originalformat heißt übrigens «Sex with Mom and Dad», woraus wiederum ersichtlich wird, dass die Aufklärung der jungen «Generation Ahnungslos» gar nicht das primäre Ziel ist, sondern der älteren «Generation Ahnungslos» eine Kommunikation mit ihrem Nachwuchs über das Thema Sex ermöglicht werden soll, die am Ende die Erlösung aus der quälenden Ungewissheit bezüglich ihrer Fragen über die Sexualität der Teenager zum Happy End haben soll. Bei diesem Coaching-Format folgt Shine Germany dem Schema F, das auch andere Sendung des gleichen Genres vorzuweisen haben. Dabei verhält sich Sexualtherapeutin Bettina Kirchmann ganz wie die «Super Nanny», wendet teilweise ähnliche pädagogische Methoden an und erreicht auf unorthodoxe Weise ihr Ziel.

In der Praxis sieht das so aus: Die ersten Minuten der Doku-Soap «Generation Ahnungslos» werden damit gefüllt, dass der Konflikt zwischen Tochter Debbie und ihrer Mutter mittels eines Off-Sprechers beschrieben wird, mit O-Tönen versüßt und durch Veranschaulichung mit Hilfe einer perfekten Beispielsituation deutlich gemacht wird. Bei Debbie und ihrer Mutter liegen also die Nerven, weil das familiäre Verhältnis gestört scheint, nicht also, weil Tochter Debbie vollkommen unaufgeklärt durch die Party-Szene tingelt. Mutter und Tochter verhalten sich wie zankende Geschwister, weil das pubertierende Girl ungern im Beisein ihres Freundes gestört werden möchte und ihrer Mutter gleichzeitig böses schwant, wenn sie beide in einem Zimmer oder gar unter einer Decke ahnt. Missverständnisse und mangelnde Kommunikation und Kommunikationsbereitschaft. Immerhin verzichtet die Doku-Soap an dieser Stelle in Klischees abzudriften, auf übertriebenes Dramatisieren und überkandidelte Fluch- und Streit-Szenen. Zwar kommt auch diese Doku-Soap ohne teils vulgäre Dialoge nicht aus, doch der Anfang präsentiert sich wie schon mehrfach erwähnt als überraschend positiv. Doch sobald Bettina Kirchmann mit ihrer Arbeit beginnt, geht der gute Wille dieser Doku-Soap langsam aber sicher verloren. Das erste Gespräch mit der Sexualtherapeutin zeigt auf in welche Richtung es geht und trübt den guten Beginn. Die Standartfragen „Wie fühlen Sie sich dabei?“, wirken hier gänzlich einschläfernd und so reagiert auch Debbies Mutter genervt: „Wie soll ich mich schon fühlen?“. Wie auch schon bei der «Super Nanny» gesehen tauschen Mutter und Tochter in der nächsten Phase des straff eingehaltenen Sendeschemas die Rollen, hier kommt es zu unterschiedlicher Wahrnehmung, was ja auch zu erwarten war.

Nach der ersten Werbeunterbrechung geht es in die nächste Phase, in der Mutter und Tochter auf spielerische Weise den Dialog über das Thema Sex finden sollen. Mit „Blümchensex“ bringt Debbie schmutzigen Geschlechtsverkehr in Verbindung, worüber sich ihre Mutter amüsiert, aber immerhin in diesem Punkt Aufklärung stattfindet. Später kommt Geplauder über eigene Vorlieben und die Männerwelt zum Tragen, so dass die Aufklärung auf der Strecke bleibt, während natürlich nicht ohne ins Lächerliche ziehen des Themas darüber philosophiert wird, warum Männer nur an Sex denken. Zumindest scheint die Barriere des verklemmten Nicht-Redenkönnens zwischen Mutter und Tochter nun überwunden. Bettina Kirchmann geht in die nächste Phase ihrer Therapie. Es werden Penisse geknetet und sich über die gewünschte Form unterhalten (Debbies Muter: „Bisschen krumm, damit das auch schön den G-Punkt erreicht“), erogene Zonen an nackt auf einem Sofa sitzenden Puppen mit blauen Punkten markiert (Debbie: „Ich bin auch eine erogene Zone, wenn die mich sehen“) und fleißig Verhütungsmittel ausgepackt und ausprobiert. Plötzlich ist alles ganz natürlich. Für den Zuschauer sind die Aktionen immerhin phasenweise belustigend, weil die Protagonisten in peinliche Situationen schlittern oder dem Thema unangemessen dumme Kommentare abgeben („Eigentlich ist das ja auch ein Arsch-Kondom“) und Perversitäten nicht vermissen lassen. In der finalen Phase von Bettina Kirchmann nach der letzten Werbepause stellen sich Mutter und Tochter dann noch gegenseitigen Quiz-Fragen, die ihrer sexuellen Geheimnisse lüften sollen. Abermals kommt der Zuschauer auf seine Kosten, auch wenn das für ihn keinen Mehrwert hat. Für Debbies Mutter hatte es einen, denn sie erfuhr, mit wie vielen Partner ihre Tochter schon im Bett war. Die erlösende Antwort kommt zwar zögerlich, aber sie kommt. Auf dem Gebiet war es ihr das Wichtigste. Apropos „kommt“: In den letzten Minuten der ersten Sendung hat Bettina Kirchmann noch eine Kür vor sich. Sie spricht mit der 15-Jährigen Debbie über Selbstbefriedigung und den weiblichen Orgasmus, den sie mit einer Engelsgeduld beschreibt, während Debbie am liebsten im Erdboden versinkt als die Therapeutin auch noch mit einer Zeichnung beginnt: „So, das hier ist die Scheide…“ – auf die Frage, wie sich das Gespräch anfühle, entgegnet Debbie schlicht „komisch“. Manchmal ist eben auch zuviel des Guten. Wenige Sekunden später ist auch Debbie von den Ausführungen der Sexualtherapeutin erlöst. Auch für sie ein Happy End. Und plötzlich ist auch die Harmonie wieder ganz natürlich. Für die Zuschauer von RTL II im Teenager-Alter hatte dieses Schauspiel vielleicht einen Unterhaltungswert auf belustigende Weise und mag sie zum Informieren über Sexualität, Verhütung und die anderen behandelten Themen anregen. Doch die sinnvolle Idee der Aufklärung der «Generation Ahnungslos» hat man verspielt.

Acht Folgen von «Generation Ahnungslos» zeigt RTL II jeweils dienstags ab 20.15 Uhr.

Kurz-URL: qmde.de/43960
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