Hingeschaut

Tränen und Drama aus sicherer Distanz

von
Neue Jury, alte Geschichten: «Popstars» sucht wieder Gesangstalente und menschliche Dramen.

Als dienstältestes der großen Castingformate im deutschen Fernsehen startete «Popstars» am Donnerstagabend ins zehnte Jahr. Eine Jubiläumsstaffel gibt es allerdings noch nicht zu feiern: Da das Format im Jahr 2005 nach der "allerletzten Staffel" für ein Jahr aussetzte, befindet es sich nun erst im neunten Durchlauf. Und der soll wieder einiges an frischen Neuerungen mit sich bringen, allen voran vier Live-Shows am Ende der Staffel, bei denen die Zuschauer über das Weiterkommen der Kandidaten und die Bandzusammensetzung entscheiden dürfen. Davon war man in der Auftaktsendung natürlich noch weit entfernt.

Los ging es stattdessen womit sich das Genre seinen Namen verdient: Casting. Immer noch strömen hunderte Talent herbei, wenn «Popstars» zum öffentlichen Vorsingen ruft und lassen sich auch von der kompletten Bruchlandung des jüngsten «Popstars»-Produktes "Some & Any", das sich nach nur sechs Monaten und einer missglückten Single wieder auflöste, nicht den Traum von der großen internationalen Karriere nehmen. Denn immerhin die «Popstars»-Girlgroups "No Angels", "Monrose" und "Queensberry" können veritable Erfolge aufweisen und so steht die neue Staffel auch unter dem Motto "Girls Forever".

Eine im Laufe der Jahre immer weiter ausgeprägte Regel wurde gleich zu Beginn der ersten Sendung aufgezeigt: Der Star ist die Jury. In den einführenden Einspielern heroisiert, beim ersten Auftritt einen heiligenscheingleichen «Popstars»-Stern der Bühnendeko im Hintergrund nahmen die drei Jurymitglieder dieses Mal über der niederen Meute auf einer Anhöhe gegenüber der Bühne Platz. Zum dritten Mal in Folge wurde die komplette Jury mit Ausnahme des zum «Popstars»-Paten hochstilisierten Detlef D! Soost ausgetauscht. Die Produzentenrolle nimmt nun Thomas M. Stein ein, der bereits einiges an Jury-Erfahrung aus den ersten Staffeln von «Deutschland sucht den Superstar» mitbringt, außerdem ist Sängerin Marta Jandová mit dabei. Beide wollen ehrliche Arbeit mit den Kandidaten leisten, aber schnell stellte sich doch wieder das bekannte Schema ein. Thomas Stein, dessen Ansicht, schlechten Sängerinnen dies auch deutlich mitzuteilen statt um den heißen Brei zu reden, ist begrüßenswert, doch es dauerte nicht lange, dann rutschte ihm mit dem alternativen Karrierevorschlag als Kartenabreißer gleich der erste Tiefschlag raus. Immerhin: Im Gegensatz zum D!, der mit der Hand am Kinn in überlegener Denkerpose während der Auftritte oft keine Mine verzieht, sieht man Thomas Stein direkt an, wenn ihm ein Auftritt Freude bereitet oder er künstlerisches Potential entdeckt: ein erfreutes Lächeln, eine anfeuernde Geste. Auch Marta Jandova ist aus der sporadisch auftretenden Überheblichkeit der Jury leider nicht ganz auszunehmen. Es dauerte nicht lange und auch sie leistete sich verbale Ausrutscher und abwertende Mimik, die verzichtbar gewesen wäre. So tief wie beim Konkurrenzprodukt «Deutschland sucht den Superstar» fiel das Niveau allerdings bei weitem nicht. Trotzdem ist es bemerkenswert, wie distanziert die Jury durch die räumliche Trennung oder auch im wie in Kriminaldokus in eisigem Blau gehaltenen Interviewraum gezeigt wird. Doch kein Kandidat wurde über das Maß hinaus bloßgestellt, das er durch sein bloßes Erscheinen selber zu verantworten hatte. Kandidatinnen, die ihr Gesangstalent maßlos überschätzt hatten, wurden meist schnell und weitestgehend kommentarlos abgehandelt, die vor allem aus «DSDS» bekannten Freaks, die nur der Medienaufmerksamkeit wegen vorbeischauten, suchte man als Zuschauer vergebens.

So standen dann auch die positiven Talente klar im Vordergrund, von denen einige wie üblich mit dokumentarischen Einspielern begleitet wurden. Doch um die starke melodramatische Färbung der Kandidatengeschichten kam man leider auch dieses Mal nicht herum. Da war die stimmlich hervorragende Kandidatin Meike, die von ihrer schweren Kindheit mit zwei alkoholkranken Elternteilen berichten durfte, bevor die nächste Recall-Kandidatin Yasemin - angereist mit knapp vierzig Jahre älterem Lebenspartner - ihren gerade im OP befindlichen Vater ins Spiel brachte und wiederum im direkten Anschluss Rosalie aus dem Armenviertel, ebenfalls mit schwer krankem Papa, einen tränenreichen Auftritt bescherte. Es ist schade, wie offensichtlich der Faktor Mitleid ausgespielt wurde, um Sympathien zu schaffen, während ansonsten kaum andere interessante Hintergründe erzählt wurden.

Zum Schluss des Recalls, von dem aus es für die verbliebenen Kandidatinnen in ein paar Wochen in den "Popstars Talent Check" gehen wird, wurde dann sogar bereits die dramaturgische Keule ausgepackt und ein sogenanntes "Battle" zwischen zwei Kandidatinnen um den letzten verbliebenen Platz ausgerufen, die zwar nicht die schlechtesten aber zu ihrem Pech wohl einfach die beiden letzten im Recall waren. Da sowohl die Entscheidung, die Kandidatinnen noch zittern zu lassen, kaum nachvollziehbar war als auch zuvor keinerlei Bindung zu den beiden noch recht farblosen Charakteren aufgebaut wurde, blieb die große Spannung natürlich aus als Svenja und Betty in Begleitung von Shooting Star Marit Larsen um die Wette sangen. Dass eine renommierte Künstlerin wie Marit Larsen so versteckt und im Dasein von nur zwei Kandidatinnen ans Ende der Sendung gepackt wurde, mutet zudem äußerst seltsam an.

Einen Pluspunkt bekommt die neue Staffel aber definitiv für das neue Aussehen der Studios. Eine moderne Kombination aus altbekannten «Popstars»-Elementen wie dem fünfzackigen Stern mit diversen Skylines in der Deko verschafft der Sendung schon in den deutschen Castings ein internationales Flair. Auch dass beim Recall der Name der jeweiligen Kandidatin groß an der Wand im Hintergrund geschrieben steht, hilft enorm, sich diesen besser einzuprägen.

Bleibt noch die Frage, was Charlotte Engelhardt als rasende Reporterin im Warteraum zu suchen hatte. Auch angesichts der Tatsache, dass sie fast mehr in den vor den Werbeblöcken eingespielten Anruf-Aufrufen zu sehen war als in der Sendung, wird man das Gefühl nicht los, dass ProSieben derzeit Moderatoren einsetzt, einfach nur weil man es kann. Sonya Kraus lässt grüßen. «Popstars» jedenfalls hat acht Staffeln auch so gut funktioniert und an den immer noch vorhandenen Warterauminterviews ohne eine überdrehte Charlotte war unschwer zu erkennen, dass es auch gerne weiterhin so hätte bleiben sollen.

So geht «Popstars» im Jahr eins nach dem "Some & Any"-Debakel vielleicht in eine Staffel mit großen Veränderungen, aber zum Start war fast alles wie sonst: viel Mittelmaß im Gesang, eine Jury, die den Eindruck vermittelte, sich oft selbst am Wichtigsten zu nehmen, viele Tränen und Schicksale, während die Dokumentation der künstlerischen Arbeit weiter in den Hintergrund rückte, und die Aussicht, dass mit einer Girlgroup am Ende zumindest wieder der Sprung zurück aus dem musikalischen Bankrott gelingen dürfte.

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