Unser Kolumnist rechnet mit Doku-Soaps ab.
Sie sind allgegenwärtig und leider auch erfolgreich: «Bauer sucht Frau», «Schwiegertochter gesucht» und «Die Super-Nanny» sind nur ein paar Vertreter der sogenannten Doku-Soaps, mit denen vor allem RTL hohe Einschaltquoten verzeichnet. In all diesen Formaten kommt der voyeuristische Zuschauer voll auf seine Kosten, denn man dringt tief in die Privatsphäre anderer Leute ein. Unter dem scheinheiligen Vorwand, den Menschen helfen zu wollen, werden die Kandidaten in Wirklichkeit auf höchst zynische Art und Weise vorgeführt.
Dies fängt schon bei der Auswahl der Protagonisten an. So gibt es erwiesenermaßen gutaussehende, intelligente Bauern und potentielle Schwiegersöhne, doch diese sind für die Macher schlichtweg uninteressant. Stattdessen setzt man ganz bewusst auf Menschen, die offensichtliche körperliche Makel haben und relativ einfach gestrickt sind. Über Grobmotoriker und Fettsäcke lässt es sich halt am leichtesten lachen. Der angebliche Help-Aspekt dieser Sendungen ist eine einzige Farce. Die Formate beruhen völlig auf dem Prinzip "Der Intellektuelle lacht sich über die bekloppten Freaks kaputt". Für solche Sendungen werden immer Extremfälle ausgesucht, über die sich Akademiker, die einen Großteil des Publikums ausmachen, amüsieren können. Würden "normalere" Kandidaten dabei sein, wäre die Sendung kein Gesprächsthema und die Quoten nicht so hoch.
Nun könnte man sagen, dass keiner der Kandidaten gezwungen wird, bei der Sendung mitzumachen und sie ja wissen, worauf sie sich einlassen. Doch diese Entschuldigung ist relativ dünn. Die Kandidaten sind zum großen Teil keine medienaffinen Menschen, die ausreichend einschätzen können, wie sie im Fernsehen gezeigt werden. Sie legen eine gewisse Gutgläubigkeit und Naivität an den Tag, die vom Sender gnadenlos ausgenutzt wird. Man pickt sich genau solche Figuren heraus, die sich in den Augen der Produzenten und Zuschauer anormal verhalten. Mit Hilfe von sarkastischen Einblendungen und gehässigen Bemerkungen aus dem Off ist es für die Macher ein Leichtes, sich im großen Stil über sie lustig zu machen und sie in einem möglichst armseligen Licht darzustellen, damit sich Millionen von Zuschauern über die "hinterwäldlerischen Deppen" amüsieren können.
Moral, Toleranz und Antidiskriminierung sind hier fehl am Platz. Es ist völlig egal, ob die Teilnehmer ihr Einverständnis für die entsprechend entwürdigende Ausstrahlung gegeben haben oder nicht. Fakt ist, sie werden vorgeführt und das Publikum lacht sie aus. Alle Fehler und Macken werden ausführlich ausgeschlachtet, und niederste Instinkte wie Schadenfreude und Voyeurismus werden dabei bedient. Man kann sich bildlich vorstellen, wie sich die Macher auf die Schenkel klopfen und kontinuierlich überlegen, auf welche Art und Weise sie ihre Teilnehmer wohl als nächstes bloßstellen können. In diesen Sendungen wird genau das gemacht, was uns unsere Eltern schon im Kleinkindalter aus gutem Grund ausgetrieben haben: Lachen über und Eintreten auf Schwächere und Jene, die es sowieso schon schwer haben. Die Redakteure erheben sich über die Kandidaten und geben sie ganz gezielt der Lächerlichkeit preis.
Doku-Soaps sind leider oftmals nicht mehr als eine öffentliche Demütigung. In früheren Zeiten hat man Menschen, weil sie anders waren, auf dem Marktplatz ausgelacht und mit Tomaten beworfen. Im Medienzeitalter gibt man sie auf der Mattscheibe zum Abschuss frei und macht sich im Internet über sie lustig. Die meisten Zuschauer gucken sich die Sendungen wahrscheinlich aus purem Vergnügen an, und machen sich keine weiteren Gedanken. Doch ab und zu wäre es vielleicht angebracht zu überlegen, ob es angebracht ist, über diese Menschen zu lachen.
Teil 2 der Kolumne erscheint am nächsten Sonntag. Darin befasst sich Glenn Riedmeier mit Scripted Realitys.