Hingeschaut

Das Loveparade-Unglück

von
Die RTL II-Sendung «100 Tage» beleuchtete die Loveparade-Tragödie aus der Distanz.

Am 24. Juli 2010 fanden 21 Menschen bei dem Unglück bei der Loveparade 2010 ihren Tod und lösten in den Medien eine Welle der Empörung und Verzweiflung darüber aus, wie Veranstalter der Megaparty das enge Duisburger Gelände für die hunderttausenden von Besuchern auswählen konnten und damit das Risiko eingingen, eine Katastrophe auszulösen. In der RTL II-Reportage «100 Tage» wurde am Sonntagabend nach drei Monaten auf den Tag zurückgeblickt, an dem in Duisburg das größte Unglück bei einer Massenveranstaltung in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg passierte.

Wie soll eine Reportage informieren, die 100 Tage danach auf die Katastrophe zurückblickt? Zum größten Teil sollte sie gegenüber anderen, ähnlichen Sendungen den Vorteil haben, dies distanziert und analytisch zu tun, unterfüttert mit gesicherten Informationen und Belegen, die erst nach und nach bekannt wurden und belegen sollten, wie es zu der Tragödie kam. Dies tut «100 Tage» auch wirklich, doch nicht ohne zu „emotionalisieren“ – was laut RTL II-Pressemeldung gerade nicht geschehen sollte. Aber Augenzeugenberichte, die das Unglück in Interviews noch einmal aus der eigenen Perspektive schilderten, trugen wenig zum Informationsgehalt der Sendung bei, sondern emotionalisierten vielmehr. Auch dies muss in einer Doku über die Loveparade 2010 geschehen, denn der traurige Wahnsinn kann nicht nur in Zahlenkolonnen oder Expertenberichten ausgedrückt werden.

Leider fand «100 Tage» aber letztlich nicht die Balance zwischen angemessenen, emotionalen Interviews und faktischen Informationen, die zu einer Aufklärung des Unglücks beitragen. Letztere wurden zwar immer wieder in der Reportage eingestreut, doch dies eher bruchstückhaft und inkohärent. Oft beschränkte sich die Sendung darauf, ein Schwarz-Weiß-Bild der hilflosen, feierwütigen jungen Opfer auf der einen Seite und der bösen Veranstalter und Polizei auf der anderen Seite zu zeichnen – vermittelt durch diverse Interviews mit 40 Augenzeugen, Betroffenen, Experten, Akteuren und Entscheidungsträger, die laut Pressetext vor der Kamera Stellung nahmen. Teils machte man es sich also zu einfach, die Tragödie zu beschreiben und zu bewerten, verlor dadurch in Ansätzen den eigenen Anspruch, faktisch und belegbar aufzuklären. Die vorher versprochene Distanziertheit zum Geschehen wurde zugunsten diverser von den Besuchern kommentierten, voyeuristisch anmutender Internet-Clips, welche die eingeschlossene Menschenmasse auf der Loveparade zeigten, aufgegeben.

Dennoch bietet die RTL II-Reportage einen Mehrwert, wenn der Zuschauer sich über die erschreckenden Hintergründe der Duisburger Loveparade informieren wollte: Die eklatanten Sicherheitsmängel, der viel zu kleine Geländeplatz und dessen Hinführung, die Methoden, mit denen Loveparade-Veranstalter die Stadt Duisburg zur Freigabe der Pläne drängten und die gefälschten Zahlen zeigen auf, wie eine Kette von Fehlern und strukturelle Verantwortungslosigkeit zu den Toten führten. Von den dargestellten Informationen waren zwar viele schon vorher bekannt geworden, dennoch ist der kollektive Überblick über das Ausmaß des Scheiterns erschütternd und aufrüttelnd.

Positiv zu bemerken ist zudem, dass sich das Format in der dreistündigen Sendezeit auch ausgiebig der Geschichte der Partyveranstaltung widmete, die zwischen 1989 und 2006 in Berlin stattfand und anschließend ins Ruhrgebiet verlegt wurde. Durch die Rückblicke und die Stellungnahmen früherer Loveparade-Größen wie DJ Marusha und Dr. Motte, die mit der ehemaligen Raver-Bewegung in den 90ern zu Stars wurden, wirkte die Doku «100 Tage» auch wie eine Abhandlung über die „Epoche Loveparade“, die mit der Katastrophe im Jahr 2010 ihr Ende gefunden hat. «100 Tage» blickte angemessen auf diese Katastrophe zurück. Durch die redundanten Augenzeugenberichte und die nur bruchstückhaft immer wieder genannten wirklich belegbaren Informationen wirkte die Reportage insgesamt etwas zu aufgebläht – eine kompaktere Sendungsdauer als jene von drei Stunden hätte hier effizienter gewirkt, doch so lief das Format dem eigenen Anspruch hinterher, das Duisburger Loveparade-Unglück distanziert und mit klarem Blick zu analysieren.

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