Wenn Komiker nicht witzig sein wollen, und Filme absichtlich dämlich sind. Unser Kolumnist geht dem Reiz am gewollten Makel nach.
Der nordrhein-westfälische Radiosender 1Live öffnete mir letztens die Augen: Sämtliche pseudowissenschaftlichen Diskussionen sind vollkommen umsonst, wir leben in einer postmodernen Gesellschaft, Basta! Im Programm von 1Live treibt nämlich seit einiger Zeit die Radio-Comedy von Jimmy Breuer ihr Unwesen. Jimmy Breuer ist ein fiktiver Stand-Up-Comedian, der mit ausgelutschten Witzen und dämlichen Sprüchen wie „Seid ihr gut drauf, äh, drunter?” und „Tschau mit Vau” als Parodie auf die Flut an peinlichen Witzgestalten in Funk und Fernsehen zu verstehen ist. Und genau diese fiktive 1Live-Gestalt macht es anderen Radio-Kunstfiguren gleich und geht auf Tour. So weit ist es mit uns also schon gekommen, dass wir derart postmodern wurden, dass wir uns Karten für einen Komiker kaufen, der schlecht sein will. Wir lachen über Witze, die nicht zum Lachen sind, weil sie nicht zum Lachen sein sollen. Oder eben genau deshalb doch zum Lachen sein sollen, denn wir sollen darüber lachen, dass man nicht darüber lachen kann.
Ja, Metakonzepte wie absichtlich schlechte Komik können einem schon Knoten in die Gehirnwindungen wirren.
Ich finde es wahrlich erstaunlich, wie weit es der postmoderne Metahumor geschafft hat. Zwar finde ich die gezielt schlecht abgefeuerten Kalauer von Jimmy Breuer zu vorhersehbar, diese Parodie eines talentbefreiten Komikers zu einfallslos, um ihn witzig zu finden, aber ich hege Respekt vor dieser Idee. Dessen ungeachtet bleibe ich lieber bei absichtlich schlechten Projekten anderer Genres. Parodien auf Komik (oder schlechte Komik) zünden einfach zu selten. Anders sind ihre Vorlagen glorifizierende Parodien auf schlechte Genrefilme, wie etwa der derzeit in den Kinos laufende C-Actionfilm «Machete» (mit angebracht unangebrachter Star-Besetzung). Kultregisseur Robert Rodriguez imitiert den Stil blutiger und anspruchloser Rachestreifen, wie man sie von Charles Bronson kennt. Allerdings lässt Rodriguez viel mehr Liebe und Bedacht in «Machete» fließen, als es beim Fließband-Actionfilm Usus ist. Das entscheidende Element bei Rodriguez: Die meterdicke Schicht Ironie. «Machete» ist zu gleichen Teilen eine Verehrung, wie eine hyperaktive Parodie genau solcher Schund-Gewaltfilme. Das Blut spritzt weiter und höher, die Sprüche sind trockener und die Schurkengehilfen dämlicher, als es sich jeder ernst gemeinter Gewaltfilm wagen könnte.
Ein noch besseres Beispiel für solche selbstironischen, mit Metahumor befrachteten Hochglanz-Schundfilme ist Quentin Tarantinos und Robert Rodriguez‘ «Grindhouse». Das filmische Doppelpaket, bestehend aus dem Zombie-Splatter «Planet Terror» und dem Exploitation-Thriller «Death Proof» übt sich schwer im Mimikry eines 70er-Jahre-Double-Features in einem heruntergekommenen Auto- oder Bahnhofskino. Um die Filme herum sind Fake-Trailer und dröge Restaurant-Werbespots drapiert (darunter ein Trailer für den damals noch nicht realisierten «Machete»), das Filmmaterial ist zerkratzt, an einer Stelle brennt sogar der Film durch. Statt aber einfach nur so zu wirken, als wären die Kopien schlecht behandelt worden, interagieren Inhalt und Form von «Grindhouse» auf geistreiche Weise. Dass das Bildmaterial ausgerechnet in besonders sinnlichen Szenen von Brandblasen durchlöchert ist, lässt den aufmerksamen Filmfreund hämisch grinsen, während andere nur hohl auf die Leinwand starren. Und wenn man die vermeintlichen Materialschäden ignoriert, wird der Zuschauer mit offensichtlicher und feierlicher Genredekonstruktion bombardiert. Vor allem «Planet Terror» feiert sich als dämlicher Splatterfilm, macht aber unentwegt auf die Schwachstellen solcher Filme aufmerksam und karikiert stereotype Handlungsabläufe und sonstige B-Movie-Klischees.
Selbstredend ist der Bruch mit der Filmrealität keine Erfindung der Neuzeit. Selbstironische Randbemerkungen machten schon den Actionfilm der 80er aus. Und von den 60er-Jahren an gab es immer häufiger gerade in Komödien Figuren, die mit dem Publikum kommunizierten (und sei es nur via Blickkontakt). Allerdings waren dies zumeist nur kleine Spitzen. Mittlerweile bestehen komplette Werke aus diesen selbstgewissen und/oder selbstkritischen Brüchen. Man kann den Fiktionsbruch sogar noch weiter zurückverfolgen, schließlich machte die Dekonstruktion der Illusion schon Brechts episches Theater aus. Jedoch muss man kein Theaterwissenschaftler sein, um festzustellen, dass er mit seiner Dramentheorie wohl kaum Komödianten wie Jimmy Breuer oder Filme wie «Machete» beabsichtigte. Mit diesen postmodernen Spielarten der Komik und des Films wird viel weniger eine Läuterung beabsichtigt (wie bei Brecht), als ein mehrere Ebenen umspannendes, ironisches Amusement. Die mehr oder minder versteckte Cleverness im augenscheinlich geistlosen Opium für den Verstand.
Doch woher kommt diese sich steigernde Begierde nach Medienprodukten, die auf ihre Schwächen hinweisen und sich gegebenenfalls gerade ob ihrer Mängel umfeiern lassen? Meine Theorie ist, dass diese Begeisterung für solche Spielarten des Metahumors aus dem gestiegenen Medienkonsum resultiert. Vor einigen Jahrzehnten mussten die Leute noch ins Kino, um sich einen Film anzusehen. Erst mit dem Videorekorder kam die Welt des Films in fast jedes Haus. Seither ist es viel einfacher, einen großen Filmkonsum zu pflegen und sich besonders geliebte Filme immer und immer wieder anzuschauen. Mit DVDs und dem Internet stieg das Potential noch weiter an. Man muss kein Filmnarr mehr sein, um wiederkehrende Schemata zu durchschauen und die Stärken und Schwächen seines Lieblingsgenres zu begreifen.
Auch wenn Politiker es nicht wahr haben wollen und weiterhin Stein auf Bein schwören, der Mensch ließe sich von Gewaltfilmen und Videospielen zum Massenmörder heran erziehen (klar, ich stöpsle jetzt meine Tastatur aus, stelle mich in die Fußgängerzone und drücke so lange auf die Feuertaste, bis sich alle um mich herum in dampfende rote Fetzen aufgelöst haben): Wir leben in einer zunehmend medienkompetenten Gesellschaft! Leider nicht kompetent genug, um Abzocksender wie 9live und Schmierenjournalismus wie in der BILD in den Ruin zu treiben oder Fremdschämprogramme wie «Bauer sucht Frau» den Quotentod sterben zu sehen, aber kompetent genug, um die Fehler in unserem Unterhaltungsprogramm zu sehen. Insbesondere in Sünden, an denen wir unser Vergnügen haben. Wie etwa schaler Stand-Up-Comedy oder hirnlosen Action- und Horrorfilmen. Wenn diese dann einen selbstreflexiven Blick entwickeln und uns die Medienkritik bereits abnehmen, dann ist die Freude daran im besten Fall doppelt so groß. Schade bloß, dass sich diese Haltung nicht auf alle Genres und Programme übertragen lässt. Oder kann sich jemand vorstellen, dass 9live mit einigen Jahren Verzögerung endlich Stefan Raabs Vorschlag befolgt und sich in «Scheiße hoch 9» umbenennt?