Eine neue Staffel ist nicht in Sicht. Unser Kolumnist überlegt warum.
«Big Brother» ist in der Kreativpause. Ziemlich überraschend startet Anfang nächsten Jahres nicht wie gewohnt die nächste Staffel. RTL II gibt sich diesbezüglich relativ wortkarg und erweckt auch nicht gerade den Eindruck, als ob man sich aktuell Gedanken darüber macht, wann der Große Bruder wieder sein Unwesen treiben kann. Dies ist auch insofern verwunderlich, als dass die zehnte Runde die erfolgreichste Staffel des Reality-Formats seit fünf Jahren war. Kein einziger «Big Brother»-Fan hat wohl vermutet, dass die nächste Staffel angesichts dieser Tatsachen auf der Kippe stehen könnte.
Und dennoch, zum aktuellen Zeitpunkt ist völlig offen, ob und wie es mit der Sendung weitergeht. Gute Einschaltquoten sind offensichtlich doch nicht das Einzige, was insbesondere bei «Big Brother» zählt. Das Format hatte es seit jeher in Deutschland schwer und war von Anfang an (zu Unrecht) von negativer Presse begleitet. «Big Brother» hatte schon immer den Ruf dumm, primitiv, niveaulos oder gar sittenwidrig zu sein. Von diesem schlechten Image konnte sich die Sendung bis zum heutigen Tag nicht befreien, und viele Menschen verurteilen das angebliche Unterschichtenformat aufs Schärfste, ohne je auch nur eine Tageszusammenfassung gesehen zu haben. Weder «Deutschland sucht den Superstar» noch «Bauer sucht Frau» ist in der Gesellschaft derart verpönt wie «Big Brother». Im Jahr 2004 wurde die Sendung sogar zur nervigsten TV-Show aller Zeiten gewählt. Dies ist übrigens ein deutsches Phänomen. Das Format läuft als unterhaltsames TV-Event erfolgreich in fast 70 Ländern, und hat nirgends den schlechten Ruf, den es in Deutschland innehält.
Nun muss man allerdings fairerweise sagen, dass in der 10. Staffel inhaltlich alles dafür getan wurde, damit «Big Brother» seinen schlechten Vorurteilen alle Ehre macht. Es gab reichlich nackte Brüste, viel Geschrei und noch mehr Krawall. Von einem familientauglichen Vorabendprogramm blieb nicht mehr viel übrig. Im Gegenteil, mit der Anhäufung von Duschszenen und einem penetranten Textilverweigerer hat man gewisse Teile der Zielgruppe, wie etwa Hausfrauen, immer mehr vergrault. Diese Entwicklung kritisierte kürzlich auch Ex-Endemol-Chef Borris Brandt. Wenn es noch nach ihm ginge, würde er «Big Brother» weitgehend erotikfrei halten, weil man dadurch letztendlich dem Image, dem Werbespotverkauf und der angestrebten Qualitätsoffensive nur schaden kam.
Wer «Big Brother» guckt, möchte in erster Linie interessante Menschen kennenlernen. Man möchte sehen, wie Menschen aus verschiedensten Gesellschafts- und Bildungsschichten zusammengewürfelt werden und sich irgendwie arrangieren müssen. Es ist dabei spannend zu beobachten, wie soziale Bindungen entstehen und sich im Laufe der Zeit zum Teil extreme Antipathien und Sympathien herausbilden. Als regelmäßiger Zuschauer findet man bald seinen Lieblingsbewohner, identifiziert sich in gewisser Weise mit ihm und fiebert mit. Dieses Grundkonzept ist nach wie vor genial und besitzt das Potential für viele weitere Staffeln. Doch dazu benötigt man schlicht die richtigen Menschen, die wissen, wie man es umsetzen muss. Bleibt zu hoffen, dass «Big Brother» in der staffelfreien Zeit die Augen nach fähigen Leuten offenhält.