Eine gute Show lieferte das «Kerner»-Team in Flensburg ab. Am Ende stellte sich eine Frage: Was hatte Veronica Ferres in «2010» verloren?
Zum zweiten Mal machte Johannes B. Kerner für den Privatsender Sat.1 einen Jahresrückblick – aufgezeichnet wurde dieser am Mittwoch erneut in der Flensburger Campushalle, die Platz bietet für knapp 4000 Zuschauer. Es war eine gute Entscheidung des Teams, wieder nach Flensburg zu gehen, in Sachen Studio schlägt der Sat.1-Rückblick die Konkurrenz von ZDF und RTL nämlich deutlich. Darauf kommt es aber nicht an – es geht um die Inhalte, um die Gespräche und letztlich auch um den Moderator, misst sich Kerner in Sachen Jahresrückblick doch mit den Großmeistern Jauch und Gottschalk.
So viel sei gesagt: Verstecken brauchte er sich nicht. Im vergangenen Jahr wurde der Jahresrückblick mit einer Dauer von 225 Minuten noch als eine Hetzjagd mit acht Werbepausen bezeichnet, in diesem Jahr hatte sich alles etwas gebessert. 175 Minuten lang sendete Kerner und das weitaus gemütlicher als noch 2009. Dass man es manchmal immer noch zu eilig hatte, ist wohl ein Überbleibsel des vergangenen Jahres. Nach 30 Minuten Sendezeit hatte man beispielsweise schon die Themen WM und Rettung der Chile-Kumpel komplett abgehandelt. In kurzen Einspielern wurde zudem auch die Sarrazin-Debatte und Missbrauch durch Priester angeschnitten. Das sind alles Themen, die Günther Jauch am Sonntag im RTL-Rückblick ausführlich behandeln wird. Zum Start legte Kerner ein gutes Tempo vor, war manchmal vielleicht sogar zu schnell, was letztlich aber auch an einigen Schnitten in der Sendung lag.
Nach der ersten Werbepause kündigte Kerner Veronica Ferres an, für ihn die Schauspielerin des Jahres. Warum das ist, ist nicht ganz verständlich. Hintergrund: Ferres drehte jüngst den Sat.1-Eventfilm «Marco W.» und sollte den im März laufenden Streifen wohl schon einmal promoten. Ihr Auftritt war mehr oder wenig sinnfrei. Damit sie nicht ganz umsonst nach Flensburg kam, durfte sie später am Abend noch gegen Oliver Pocher in einem Boulevard-Quiz antreten – dies geriet zu einer launigen Runde, die für angenehme Auflockerung sorgte.
Zurück zum Thema Tempo: Der Talk mit Ferres, die Filme des Jahres und ein Ausschnitt auf «Marco W.» wurden in sagenhaften acht Minuten abgehandelt, Kerner moderierte sozusagen im fünften Gang. Danach ließ man sich mehr Zeit – was auch gut war. Mit dem Auftritt von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ging es zurück zu harten Themen. Politik schnitt Kerner gerade einmal eine knappe Minute an, man wollte den typischen Sat.1-Zuschauer wohl nicht allzu sehr verschrecken. Mit ihr und ihrem Sohn besprach Kerner dann auch das wohl stärkste Thema des Abends: Das Unglück bei der Loveparade.
Um 21.53 Uhr war es dann soweit. Rainer Schaller, Veranstalter der Loveparade, trat bei Kerner auf. Ausschnitte zeigte Sat.1 den ganzen Tag über schon bei Bild.de, es war ein richtig starkes Gespräch, das aber auch eins klar machte: «Kerner» talkt in seinem wöchentlichen Magazin viel zu wenig – aus Angst die Quote damit zu drücken laufen vermehrt Einspieler und das, obwohl solche Gespräche mit Kerner oftmals unglaublich intensiv sind. Zehn Minuten lang spricht er mit Schaller und zwei Betroffenen. Im Studio herrschte dabei absolute Stille.
Ohnehin gewann die Show an Klasse, je länger sie lief. Es machte sich auch bezahlt, dass ein Großteil der Gäste die ganze Sendung über auf der großen Couch sitzen blieb. So sangen Ferres und Kraft „Geboren um zu Leben“ mit. Ab 22.52 Uhr wurde es dann sogar politisch im Sat.1-Jahresrückblick: Joachim Gauck sprach über die Bundespräsidentenwahl – fünf Minuten lang. Das Tempo der Sendung war inzwischen angenehm geworden. Die zweistärkste Phase hatte die Show nach dem letzten Werbeblock, als Kerner unter anderem mit einem Taxifahrer sprach, der Gäste wegen des Flugverbots im April von Köln bis nach Griechenland fuhr.
Auch außergewöhnliche Torjubel nach einem Fußballspiel waren kurz vor Schluss noch Thema des Sat.1-Jahresrückblicks, der – ganz wie früher im ZDF – mit dem Gedanken an in diesem Jahr Verstorbene endete. Mit elfeinhalb Prozent Marktanteil erreichte die Show mit Sicherheit nicht die Quote, die sie eigentlich verdient hatte. 14 oder 15 Prozent wären angemessen gewesen, dennoch kann Johannes B. Kerner mit dem Ergebnis sehr zufrieden sein. Es war eine gelungene Show, die er und sein Team auf die Beine stellten. Und so blieb am Ende nur eine Frage: Was genau hatte Veronica Ferres in dem Jahresrückblick verloren?