Fein. Ihr wollt Krieg? Dann lasst mich einmal ausholen…

Strikte Gegner der deutschen Synchronisationstradition argumentieren sicher, dass solche festen Symbiosen zwischen Sprecher und Schauspieler allein aus Gewohnheit entstehen. Ich sehe das nicht so und traue dem Synchrongucker selbst ohne Kenntnisse des O-Tons genügend Gespür zu, eine passende von einer unpassenden, eine technisch gelungene von einer ungelungenen Synchronarbeit zu unterscheiden. Dass solche Ehen zwischen dem Sprechorgan einer Person und dem Gesicht einer anderen zustande kommen, ist demnach auch der großen Expertise zu verdanken, mit denen sich hierzulande der Synchronisation gewidmet wird. Dass Hollywood uns regelmäßig wissen lässt, wie gut bei uns synchronisiert wird, ist tatsächlich mehr als nur schales Promo-Gewäsch. Das weiß auch jeder, der mal aus Jux die eine oder andere osteuropäische Sprachfassung eines seiner Lieblingsfilme antestete.
Wie fähig Synchronsprecher sind, bewies dieses Jahr beispielsweise auch Stallones Testosteron-Spektakel «The Expendables»: Thomas Danneberg sprach im Aufeinandertreffen der Actiongrößen zwei seiner Stammschauspieler, den Terminator Arnold Schwarzenegger einerseits und Sylvester Stallone andererseits. In einer äußerst amüsanten Szene hielt das Action-Macho-Triumvirat Stallone, Willis und Schwarzenegger eine mit Seitenhieben gespickte Verhandlung ab. In einigen Momenten war die Kamera auf Willis gerichtet, während Stallone und Schwarzenegger aus dem Off weitersprachen. Und dennoch war der deutsche Zuschauer nie verwirrt, stets war klar, wer gerade redet. Drei Schauspieler, zwei Synchronsprecher, drei Stimmen.
Während Dannebergs Haupt-Darsteller ähnliche Typen darstellen, decken andere Sprecher eine größere Bandbreite ab. Das männliche Sexsymbol Brad Pitt und der kugelige Komiker Jack Black werden beide von Tobias Meister gesprochen. Unterschiedlicher geht’s kaum noch, und dass Meister tatsächlich beide Schauspieler sprechen kann, ohne dass der Kinogänger dauernd die falsche Person vor dem geistigen Auge hat, spricht für eine große Synchronleistung.

Auftritt Captain Jack Sparrow: Als die Synchronarbeiten zu «Fluch der Karibik» begannen, holte man für diese Figur David Nathan ins Studio, Johnny Depps und Christian Bales immens talentierten Stammsprecher. Die Legenden sind sich uneinig, ob Nathan den Großteil seiner Zeilen oder den kompletten Film einsprach, jedenfalls kam dem Supervisor sehr spät der Gedanke, dass Nathan es irgendwie nicht richtig gemacht habe und bitte alles wiederholen soll. Nathan quittierte, bei einer solchen Anweisung gar nicht mal zu unrecht, und man brauchte dringend einen anderen Sprecher für Jack Sparrow. Also holte man Marcus Off ins Boot, damals sicherlich noch nicht ahnend, welch Glückstreffer dem Synchronteam damit gelang. Off klingt im lallenden Piratensprech Nathan ähnlich genug, um nicht vollkommen befremdlich auf Depp zu wirken. Gleichzeitig bringt er viel neues in die Rolle ein. David Nathans Jack Sparrow war in den Trailern zu «Fluch der Karibik 1 & 2» und erst kürzlich im Trailer zu «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» zu hören, und es war für sich betrachtet eine vollkommen normale Synchronleistung. Weder ein glorreicher Simon Jäger als Joker, noch ein Totalaussetzer wie Matze Knop als Adam Sandler. Nichts auffälliges.
Off jedoch machte den deutschen Jack Sparrow zu einer dieser Synchro-Sternstunden. Während Nathan halt wie Johnny Depps Synchronsprecher in der Rolle des Jack Sparrow klingt, ist Marcus Off schlichtweg Captain Jack Sparrow. Er bringt nicht nur das Versoffene besser rüber, allein schon stimmlich passt er besser auf das Erscheinungsbild dieser ikonischen Leinwandfigur. Er hat eine höhere Stimme als Nathan, wodurch das Angetrunkene bei ihm weniger an den prügelnden Säufer aus einer dunklen Eckkneipe erinnert, sondern mehr an einen schlacksigen Typen, der, wenn er einen über den Durst getrunken hat, richtig komisch sein kann. Man muss sich Sparrow nur anschauen, wie er ohne Hut und Mantel bei einem Fechtduell mit den Armen in der Luft wabernd einem Schluck Wasser gleicht, und letztlich doch (mehr oder weniger) ungeschoren davonkommt. Das sieht so aus, wie Off in dieser Rolle klingt: Ein Teil Versagerfassade, zwei Teile Trantüte, drei Teile verwegener Freibeuter und auch drei Teile verschmitztes Bübchen im besten Alter. Einmal geschüttelt, nicht gerührt, fertig ist der unberechenbarste Pirat der Karibik.
Kurzum: Off trifft von der Stimmfarbe und seinen Changierungen her genau Jack Sparrows Erscheinungsbild. Die verplante Mimik, die verworrene Gestik, das alles reflektiert auch Offs Stimmbild auf einmalige Weise.

Wieso David Nathan wieder als Jack Sparrow zu hören ist und der Verleih ihn einigen Berichten zu Folge auch im fertigen Film hören möchte, ist strittig. Von der Verleihseite aus werden geschäftliche Differenzen mit Off genannt, dessen Agentur jedoch beteuert, es habe bislang nicht einmal Verhandlungen zwecks «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» gegeben. Wie sollen da also finanzielle Streitigkeiten entstehen? Und seit wann geben Studios eigentlich zu, dass eine frühere künstlerische Entscheidung aufgrund finanzieller Begierden revidiert werden muss? Denn man hätte Nathan bei Teil eins wohl kaum ziehen lassen, wäre sein Sparrow in Disneys Ohren perfekt gewesen. Nun aber, nach den Streitigkeiten mit Off, holt man ihn zurück. Was sagt das denn nun über Disney aus?
Eigentlich sind mir die Hintergründe aber egal. Wichtiger ist, dass Marcus Off den einmaligen Jack Sparrow wiedererlangt. Vielleicht geschieht bis Mai 2011 ein neues Synchronwunder, und beide Parteien, Verleih und Off, können sich einigen. Es wäre mein Weihnachtswunsch für dieses Jahr. Also, bitte, macht einen armen Filmkolumnisten glücklich…
Wer sich für Marcus Off auf Jack Sparrow einsetzen möchte, findet hier eine Onlinepetition zum Thema.